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03.12.2022 - 14.01.2023
Eröffnung der Ausstellung laden wie Sie und Ihre Freunde am SAMSTAG, 3. Dezember, um 15 Uhr
Es spricht: Dr. Günter Baumann

HAP Grieshaber / Von Gauklern, Engeln und Tieren

Weltbürger, trotz allem
»Im Herzen der Welt / Schneidet er / Die Welt / In unser Herz ...«. (Rose Ausländer)

HAP Grieshaber, dessen Schaffen wie ein Bollwerk des Geistes gegen die äußeren und inneren Unfreiheiten erscheint, sah sich als Gaukler im Zirkus namens Welt und als Kosmopolit in seinem Refugium auf der Achalm, als Beschützer der Kreatur und der Natur genauso wie als Homo politicus, der sich einmischt und Partei ergreift: ein Monolith unter all den Künstlerpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts, deren Arbeiten er aufmerksam wahrnahm, ohne dass er sich jemals von ihnen vereinnahmen ließ. Hölzel, Baumeister, Feininger, Picasso u.a.m. beeindruckten ihn, die Bandbreite seiner Inspirationsquellen reicht von den Holzschneidern der Einblattdrucke im 15. Jahrhundert bis hin zu Joseph Beuys. Er selbst wirkte auf seine Zeit – als Lehrer beeinflusste er unmittelbar auf junge Kollegen wie Antes, Krieg, Schanz, Stöhrer, als Wegbereiter und Apologet der neuen Figuration nahm er die neuen Wilden wie Baselitz oder Lüpertz vor- weg: Sein »Weltgericht« in Form eines Altar-Triptychons von 1970, das den Sit- zungssaal des Verteidigungsausschusses im damals gerade fertiggestellten Abgeordnetenhauses der Bundesregierung in Bonn zierte, reagierte auf den Kal- ten Krieg: das apokalyptische Flammeninferno mit Atompilz und einem richten- den Engel, flankiert von Adam und Eva, könnte als gewaltiger Auftakt dessen gesehen werden, was später die Neuen Wilden auszeichnete – der Aufruhr der Kunst, insbesondere der Malerei. Der Entwurf zur monumentalen Mitteltafel ist in der aktuellen Ausstellung der Galerie Schlichtenmaier zu sehen, und er macht schlagartig klar, wie zeitgemäß dieses ganze Werk ist in einer Zeit, die erneut Gefahr läuft, in einem atomaren Weltkrieg zu entflammen. Dieser Entwurf zeigt eindrucksvoll, dass der Holzschneider auch malerisch auf der Höhe der Zeit war, was auch durch seine gestisch expressiven Gouachen und durch die erst spät rezipierten ›Malbriefe‹ imposant bestätigt wurde. So konnte er in der traditionell der Malerei nachgeordneten Technik des Holzschnitts zum Spirtus rector der modernen Figur werden und zugleich an die Höhepunkte des Hochdrucks in der Dürerzeit und des deutschen »Brücke«-Expressionismus anknüpfen und so selbst Kunstgeschichte schreiben.

Die Wanderschaft des kreativen Geistes begann für Grieshaber mit der Schrift- setzerlehre in Reutlingen und der anschließenden Ausbildung zum Gebrauchs- grafiker in Stuttgart, gefolgt von tatsächlichen Fernreisen nach London, Paris, Ägypten und Griechenland, bevor er 1933 seine ersten Wurzeln auf der Achalm schlug – ausgerechnet im Jahr der Machtübernahme durch die Nazis. Im Abseits des Terrorregimes widmete er sich der mittelalterlichen Mystik, der »Passion« oder der Darstellung der Schwäbischen Alb, scheinbar unpolitisch, doch immer auf die großen Themen der Menschheit ausgerichtet – Leben, Liebe und Tod, auch das Miteinander von Mensch und Tier. In den 1930er Jahren ist Grieshaber ein Suchender: Mit groben Linien oder fragilen Stakkato-Hieben formt er die Druckstöcke und lotet seinen Stil aus. Berufsverbot, Zwangsrekrutierung, Kriegs- gefangenschaft und Hungerwinter werfen seine Generation zurück auf existen- zielle Überlebensstrategien. 1946 festigt sich Grieshaber auf der Achalm, wo er seinen Weltgeist entfalten kann – mit einem trotzigen »malgré tout« (›trotz allem‹), das zu seinem Lebensmotto wird. Er wird zum Vorkämpfer eines ökologi- schen Bewusstseins, das den Einklang von Natur, Tier und Mensch einfordert; er sucht den Kontakt zu angehenden Künstlern, deren Lehrer er zunächst an der legendären Bernsteinschule, dann als Heckel-Nachfolger an der Karlsruher Kunstakademie wird, fordert von den Jungkünstlern den Aufstand gegen die etablierte Kunst und ist sich nicht zu schade, seine Professur im Jahr 1960 hinzu- werfen, weil die Prüfungsordnung noch aus dem Dritten Reich stammte; er macht seinem rebellischen Naturell auch später alle Ehre, als er mit seinen Mitteln die Vergehen der Diktatoren in Chile und in Griechenland anprangerte; er scheut nicht zuletzt, Kontakte zum anderen Teil Deutschlands aufzubauen und sich laut- stark für die Demokratie einzusetzen. Seine ihm ungeliebten Vornamen Helmut Andreas Paul verkürzte er zu einem großgeschriebenem »HAP«, welches das Zeug zu einem Markenzeichen hatte.

Grieshaber – in seiner Signatur betont klein geschrieben – brach mit dem Aka- demismus, aber auch mit dem Formalismus. Er propagierte eine engagierte figurative Kunst, die aufbegehrt. Der komplexen Wirklichkeit sollte mit einer komplexen Bildsprache begegnet, das Angelernte durch die Schulung des emp- findenden Sehens ersetzt werden. Nicht das Abbild des Gesehenen zählte, sondern die freie Bildfindung. Was er den Lernenden beibrachte, war auch sein eigenes Credo: die Vorbilder hinter sich lassen, immer gegenwärtig bleiben, andere mitnehmen, aber »im kollektiv einsam und selbständig« sein, nie stehen bleiben, begeisterungsfähig dem eigenen Herzen und den eigenen Augen fol- gen, allen »mätzchen« misstrauen und – durchaus irritierend –: alles vernichten, »was nach kunst aussieht durch größere lebendigkeit und stärkeren ausdruck der form«. Sein Siegeszug des modernen, avantgardistischen Holzschnitts beginnt nach 1946 malerisch, melancholisch, auch hoffnungsfroh (»Ein guter Geist weht um die Achalm«). Um die Jahrhundertmitte ist der reife Stil zu verankern, der einen figurativen Parallel-Kosmos zu Willi Baumeisters fabulierender, experimen- tierfreudiger Abstraktion prägt. Mit symbolischer Vielschichtigkeit widmet er sich den Tages- und Jahreszeiten, den Mythen, der Tierwelt. Raffiniert verzahnt er in mehreren Druckstöcken die verschiedenen Existenzen so miteinander, dass ein hochkomplexes Gefüge aus Farben und Formen entsteht. Die 1960er und 70er Jahre sind Grieshabers Zeit der Vollendung. Bedeutende Themenkomplexe entstehen, beispielsweise die Arbeiten zum »Totentanz«, zur »Baumblüte«, zum »Feuervogel« oder zu Orffs »Carmina Burana«, auch zum »Prometheus«-Mythos von Aischylos, den Grieshaber notgedrungen – mit zersplitterter Schulter – als Serigrafie ausführte. Der nahezu barocken Sinnenfreude, unbändigen Faszinati- on am Formspiel und phantastischen Erfindungskraft sind keine Grenzen gesetzt. So entstehen grandiose Einzelblätter wie die »Siamkatzen«, Hommagen wie die für Caspar David Friedrich, Pablo Picasso, Samuel Beckett (»Godot«) u.a., auch allegorische Drucke wie die »Mutter«, deren ungeborenes Kind wie in einem Gefängnis im Bauchraum festsitzt, die Mutter mit betrübtem Blick, die Arme hilflos nach unten hängend – wir werden gewahr, dass über dem werdenden, schutzbedürftigen Leben immer auch der Schatten existenzieller Not, Bedro- hung und Gewalt liegt. Der Zeitkritiker, Bukoliker, Naturhymniker, Intellektuelle, Humanist und Weltbürger lebte und dachte gegen die Norm, erklärtermaßen ›unsymmetrisch‹, partisanengleich. Rose Ausländers Gedicht auf Grieshabers Grabstein, dem die Verse des obigen Mottos entstammen, lautete in der Folge- strophe: »Menschen Tiere Pflanzen / Dinge / Atmen / in unendlichem / Formen- und Farben-Spiel / Wir schauen / und / staunen«. Sein großer künstlerischer Atem reicht bis in unsere Gegenwart.

Günter Baumann