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Seit 1998 arbeiten die Künstlerinnen Sabine Haubitz (geb. 1959) und Stefanie Zoche (geb. 1965) zusammen. Unter dem Namen Haubitz+Zoche positionierte sich das Künstlerpaar mit seinen fotografischen und installativen Werken im internationalen Kunstgeschehen; zuletzt stellten sie in der Großschau Dreamlands im Centre Georges Pompidou in Paris aus, in der Haubitz+Zoche mit ihrer Serie Tropical Island vertreten waren. Die Fotografien dokumentieren den Bau eines tropischen Freizeitparks in Brandenburg und richten das Augenmerk auf die planmäßige Konstruktion einer Traumlandschaft beziehungsweise eines Urlaubsidylls, in das jedermann flüchten kann, um sein Fernweh in den künstlich erzeugten Tropen zumindest kurzweilig zu stillen. Das Interesse an der Bildung und Wirkung von Illusionen oder Scheinrealitäten kennzeichnet das Werk von Haubitz+Zoche. Auch in der Ausstellung Facelift bei Nusser & Baumgart wird die Spannung zwischen Realität und Fiktion thematisiert, wobei hier Gebäude und architektonische Elemente des städtischen Außenraums im Zentrum stehen.

In der Fotografieserie Facelift, an der die Künstlerinnen seit 2009 arbeiten, rücken großformatige Baustellenplanen, die an Gebäudefassaden angebracht werden, in den Fokus. Der seit einigen Jahren anhaltende Trend der Fassadensimulation, für die im Neu- oder Umbau befindliche Bauten mit bedruckten Planen verkleidet werden, kann als neuartiges urbanes Phänomen beschrieben werden, das sich zu den traditionellen Werbeplakaten und -tafeln gesellt und das Bild heutiger Großstädte prägt. Für diese gigantischen Leinwände werden meist Werbemotive, gerne riesengleiche Schönheiten, die uns in vielerlei Hinsicht mickrig fühlen lassen, oder maßstabsgetreue Abbildungen der dahinterliegenden, erneuerten bzw. entstehenden Fassaden gewählt. Dafür werden die Schauseiten der Gebäude fotografiert (oder mittels eines Computerprogramms simuliert) und nach Vergrößerung und Bildbearbeitung auf die Planen gedruckt.

Gelingt es einigen dieser Scheinarchitekturen bereits in der faktischen Begegnung im Stadtraum, die Unterscheidung zwischen Abbild und konkreter Architektur zu erschweren, so wird der illusorische Effekt in den Fotografien von Haubitz + Zoche noch gesteigert. Das Fotografieren einer Fotografie kann zur Nivellierung jener Hinweise führen, die beim tatsächlichen Betrachten die Maskerade des Gebäudes verraten hätten. Zugleich kann eine solche Verdoppelung jedoch den Prozess der Illusion geradezu entlarven. Wenn etwa die auf den Planen zu sehenden Spiegelungen in den Fensterscheiben und die Farbe des Himmels nicht mehr mit der von Haubitz + Zoche fotografierten Momentaufnahme übereinstimmen. Oder wenn die Künstlerinnen festhalten, wie eine solche Verkleidung über das Baugerüst gestülpt wird und dahinter noch kaum Bausubstanz der fingierten, zukünftigen Architektur vorhanden ist. Die Facelift-Serie verdeutlicht, dass Illusionen fester Bestandteil unserer Lebensrealität sind.

Konzeptionell eröffnet das angewandte künstlerische Verfahren ein komplexes Spiel mit unterschiedlichen Realitätsebenen und deren Wahrnehmung. Dabei werden kunsttheoretische Kernfragen nach dem Repräsentationscharakter von Kunst ebenso aufgerufen wie Jean Baudrillards epochenprägende Theorie der Simulation oder mediumreflexive Fragestellungen an die Fotografie. In den Aufnahmen von Haubitz + Zoche kommt die im Medium Fotografie enthaltene Ambivalenz, ein inszenatorisches und damit illusionsbildendes sowie ein dokumentierendes, realitätsgetreues Abbildungsverfahren zu sein, deutlich zum Ausdruck.

Die Auseinandersetzung mit dem Stadtraum und die Sensibilisierung für darin wirkende Mechanismen ist ein weiteres zentrales Anliegen der Künstlerinnen. Dabei interessiert sie nicht nur die architektonische Gestaltung des öffentlichen Raumes, sondern auch die inszenatorischen Strategien, die den städtischen Raum zu einer Art Bühne werden lassen. Stephan Berg hat bereits darauf hingewiesen, dass Haubitz + Zoche „die Stadt als eine theatrale Konstruktion“ und Raum und Architektur „nicht im Sinne seiner faktischen Gegebenheit, sondern als wahrnehmungsabhängige Konstruktion“ begreifen. Diesen Gedanken setzen die Künstlerinnen auch in der Ausstellungspräsentation für die Räume von Nusser & Baumgart um. Indem sie einige Wandstücke mit Fototapete versehen, die wiederum Architekturaufnahmen zeigen und mit den gerahmten Facelift-Bildern korrespondieren, schaffen sie nicht nur einen motivisch geprägten Raumbezug, zudem verdeutlichen sie die Abhängigkeit räumlicher Wahrnehmung von sozialem Verhalten und allgemeingültigen Raumvorstellungen. Die Umkehrung von Innen und Außen, wie sie in der Ausstellung von Haubitz + Zoche durch das Eindringen des Stadtraums in den Galerieraum erfolgt, ist eine Methode zeitgenössischer Künstler, um die Vielschichtigkeit und soziale Verfasstheit von Räumen zu verdeutlichen. Damit einher geht der irritierende Effekt, den das Außerkraftsetzen des konventionellen Raum-Zeit-Kontinuums beim Betrachter evoziert. Diese Wirkung machen sich die Künstlerinnen auch für die gezeigten Wandobjekte zu Nutzen. In den gewählten Motiven und Materialien reflektieren die Arbeiten den Topos des Fensters als Membran zwischen Innen und Außen, als Schnittstelle zwischen privatem und öffentlichem Raum. Dass zum einen Fenster, aber auch Fassaden und Galeriewände auf den ersten Blick statische Raumgrenzen sind, die allerdings bei genauerem Hinsehen zugleich wie osmosefähige Membrane fungieren, die ein Durchdringen beider Sphären und weiterer Realitätsebenen erlauben, das veranschaulichen Haubitz + Zoche in den ausgestellten Werken und ihrer Präsentation aufs Beste. Damit stellen die Künstlerinnen eine die gegenwärtige Gesellschaft bewegende, existenzielle Frage: Wie erfahren wir Raum heute?

Text: Anne Vieth

Stephan Berg: „Katastrophal schön“, in: Florian Matzner (Hg.): Haubitz + Zoche fliegende Bauten, Nürnberg: Verlag für moderne Kunst, 2009, S. 81-88, hier S. 83. Und ders: „Die Welt als Bühne“, in: Haubitz + Zoche. Sinai Hotels, Salzburg: Fotohof Edition, 2006, S. 80-84, hier S. 80.

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Haubitz & Zoche
Facelift. Fotografien und Wandobjekte