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Heilige und verfluchte Orte
EINE AUSSTELLUNG IM RAHMEN DES PROJEKTES „STADT UND RELIGION“
Guardini Galerie 16.09.2019 - 22.11.2019 Eröffnung: 13.09.2019 19:00 Uhr Orte – Gott nah und Gott fern –, besondere Orte des Nachdenkens über unser Dasein, über die menschliche Existenz, ihre Sehnsüchte und Hoffnungen, über Zerstörung und Zersetzung. „Heilige und verfluchte Orte“, so lautet der Titel dieser Ausstellung, die in der Guardini Galerie vom 13. September bis zum 22. November 2019 im Rahmen des Projekts „Stadt und Religion“ gezeigt wird. Sie spürt künstlerischen Perspektiven auf gesellschaftliche, religiöse und mythische Orte nach und vereint fotografische Arbeiten von else (Twin) Gabriel, Bertram Haude, Barbara Klemm, Ola Kolehmainen, Anton Roland Laub, Oliver Mark, Andreas Rost, Hans-Christian Schink, Maria Sewcz und Andrej Tarkowskij. Heilige Orte, vom alltäglichen Leben abgesonderte Stätten mit einer sakralen Bedeutung, werden verbunden mit besonderen Symbolhandlungen ritueller Natur und sind insofern auch Kultstätten, die der Konstituierung gemeinschaftlicher und individueller Identität dienen. Auf unterschiedlichste Weise beschreiben Künstler*innen die Transformationsprozesse, die bei der Entstehung heiliger Orte, ihrem oft über viele Jahrhunderte währenden Betrieb, ihrem Niedergang und ihrer neuerlichen Nutzung im Spiel sind. Verbunden durch die Frage nach Diskontinuität und Kontinuität der Wirkungsgeschichten heiliger Orte und Räume sowie jener der Zersetzung beleuchten die Künstler aus sehr verschiedenen Perspektiven Zusammenhänge, die nicht auf den ersten Blick sichtbar sind. Während Hans-Christian Schink ein Jahr nach der Zerstörung der Region Tōhoku durch das große Erdbeben und den Tsunami am 11. März 2011 – und damit auch ein Jahr nach der Katastrophe von Fukushima – sich mit größter Besonnenheit diesen verwundeten Schauplätzen fotografisch nähert und damit Sichtbares und Unsichtbares visualisiert, fotografiert Bertram Haude 2015 am Himmelstempel in Peking das erstaunliche touristische Treiben einer digitalen Selfikultur. Einst brachte auf dem Himmelsaltar der chinesische Kaiser jahrhundertelang das Großopfer dar, das die Ordnung der Menschheit und die Harmonie zwischen Himmel und Erde aufrechterhalten sollte. Was aber treibt heute Millionen von Besuchern zu diesem Ort, der sich in zahllose beliebte Fotomotive auf der ganzen Welt einreiht? Wird die alte Welt auf dem „Altar der Digitalisierung“ einer radikalen Wesensverwandlung unterzogen und entsteht im Zuge dessen ein neuer Himmel aus Daten und Bildern? Aus dieser Perspektive wird der Altar tatsächlich zum symbolischen Ort für den Übergang von einer alten zu einer neuen Welt. Die Arbeiten von Ola Kolehmainen sind eine visuelle Reise durch Raum, Zeit und Licht. Als erfolgreichster Vertreter der ersten Generation der „Helsinki School“, mit der Reduktion von Fassaden zu minimalistischen Detailansichten, setzte er heilige Orte großer Baumeister in Szene. Inspiriert von seinen Erkundungen islamischer Architektur in Istanbul porträtierte er auch Synagogen, Moscheen, Kirchen und Kathedralen quer durch Europa. Kolehmainen arbeitete hier stärker erzählerisch und rückte Ähnlichkeiten, geteilte Geschichte und damit die Universalität von Glauben und Kultur ins Bewusstsein. Die Fotografin Barbara Klemm wandte sich 2004 in ihrer Arbeit zum Landart-Projekt von James Turell dem Roden Crater in Arizona zu, jenem stillen, meditativen Ort zwischen Himmel und Erde mit geradezu sakralem Charakter. Dabei kam es ihr in besonderem Maße auf die genaue Komposition und Geometrie sowie auf das richtige Zusammenspiel von Licht und Schatten, von Schwarz und Weiß an.

Anton Roland Laub befragt in seiner Serie „Last Christmas“ den Ort der Hinrichtung Nicolae Ceaușescus und seiner Frau Elena, die am Weihnachtstag 1989 von einem eilig zusammengestellten Militärgericht, angeklagt des Völkermords und der Schädigung der Volkswirtschaft, im Schnellverfahren zum Tode verurteilt wurden. Fast zwei Wochen lebte und fotografierte Oliver Mark in zwei Klöstern Rumäniens, zunächst im Frauenkloster Moldovița und dann im Männerkloster Sf. Ioan Iacob Corlățeni (Pojorata). Seine eindrücklichen Bilder gewähren nicht nur Einblicke in das alltägliche und damit auch religiöse Leben der Mönche und Nonnen, die Ausstellung ist gleichsam Teil des kulturellen Austausches mit dem Bukowina Museum in Suceava. Maria Sewczs Fotografien aus der Serie „TR 34; Istanbul“ geben eine überraschende bildanalytische Interpretation der sich ständig wandelnden Stadt, ihrer Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die geprägt ist durch die brutale Dynamik religiöser, politischer, wirtschaftlicher und sozialer Transformationsprozesse. Durch Sewczs fotografischen Anschnitte und Herauslösungen aus dem realen Stadtbild und durch genaues Hinschauen schafft sie surreal anmutende oder auch abstrakte Werke von großer poetischer Kraft und Klarheit. In Auseinandersetzung mit dem Gulag schafft Andreas Rost mit seinem Fotofilm „Perm 36“ eine künstlerische Annäherung an einen Ort totaler Hoffnungslosigkeit und Zersetzung, die heutige Gedenkstätte der Geschichte politischer Repressionen „Perm-36“. In hartem Schwarz-Weiß, gesteigert durch die eisige Kälte des Winters und die Abwesenheit von Menschen, gibt er ein eindrückliches Zeugnis, das ein Nachdenken über Geschichte und Diktaturen anstößt. Unter dem Gesichtspunkt der Verwandlung des Museums von einem Ort des Gedenkens an die Opfer der Repression zu einer Institution der Ehrung des Lagers als Beitrag der Häftlinge zum Aufbau des Sozialismus (seit 2015) wird die Aktualität und Brisanz dieses Themas in Anbetracht der politischen Situation im heutigen Russland offenkundig. In einem performativen Akt vor der Kamera setzt sich else (Twin) Gabriel intensiv mit einem jüngeren Kapitel deutscher Geschichte auseinander. „Faschonista“ ist der Versuch einer Befragung der Identität von Beate Zschäpe durch detailgetreue Nachstellung vor historischer Kulisse aus der Zeit des Nationalsozialismus. „Stadt und Religion“ ist ein Projekt der Nationalen Stadtentwicklungspolitik des Bundes. Gefördert durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat.

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PROGRAMM

Vernissage am 13. September 2019 | 19:00 Uhr

Begrüßung: Prof. Michael Rutz, Präsident der Guardini Stiftung Einführung: Frizzi Krella, Kunsthistorikerin und Kuratorin, Guardini Stiftung

Künstlergespräch am 13. November | 19:00 Uhr

Mit Maria Sewcz und Bertram Haude 
Moderation: Frizzi Krella, Kunsthistorikerin und Kuratorin, Guardini Galerie 
Der Eintritt in die Ausstellung und zu allen Veranstaltungen ist frei.

Führungen auf Anfrage: info@guardini.de