press release only in german

Galerie Nagel Draxler
Elisenstraße 4–6
50667 Cologne

HELL GETTE

03/09/2021 – 06/11/2021

Die Bodenheizung in der Wüste ist aufgedreht. Selbst die Hitze scheint zu schmelzen. Darin streckt sich ein Regenbogen lang aus und verabschiedet sich von seiner romantischen Krümmung. Die Bildwelten von Hell Gette sind Landschaftsmalereien von digitalen Erscheinungen, an Orten von Kindheit und Retro-Videospielen. Die Geisterheimsuchung materialisiert sich durch aktuelle Emojis. Die Gesichter und Zeichen, die Geister und Dinge stehen für Gefühle, persönliche Hoch- und Tiefpunkte, Wirtschaftssysteme oder Sonne, Mond und Brandflammen - ultrahocherhitzt und homogenisiert, als Gettes „#Landschaft 3.0.“ - Ein transzendentales Photoshop-Nirwana, in klassischer Ölmalerei festgehalten.

Auf „#????????“ weinen der schwarze Mond und die gelbe Sonne, oder ist es eine verdunkelte Sonne und ein gelber Mond, die sich verliebt anschielen? Beide Kugelwesen schicken rote Laser-Blitze auf die Planetenoberfläche, vielleicht befeuern sie die brennenden Dollarscheine. In der Ferne liegen Berge und Backsteine. All das gehört zu Hell Gettes Naturgesetzen, überall herrschen Kausalitäten, die in ihren Welten der Logik von mythischen Pop-Landschaften auf fremden Planeten folgen.
Währenddessen brechen Vulkane aus, täglich, ständig, eine Grafikplatte im Loop. Zerstörung und Wiederaufbau dominieren das Geschehen auf „#????????“, wo die Steine backen. Die Folge daraus ist die Arbeit „#????“, hier agieren die Hand-Geister und tragen die Steine zu den ausbrechenden Vulkanen, um sie zu verschließen. Ob dieser Eingriff in die planetaren Naturgewalten gelingen wird, bleibt offen.
Auf „#????????“ ist die Atmosphäre bereits rot, ausbrechen kann hier nichts mehr. In der Landschaft fließen abstrahierte Berge wie Flüsse in Bögen nach oben, die Wolken bringen keinen Regen, sondern sind lediglich Formspuren von digitalen Pinselwerkzeugen. Die Regentropfen bleiben ein virtuelles Phänomen, in Öl werden sie zum Andachtsbild der Fata Morgana 3.0.
Auf „#????“ und „#????????“ wird der Regenbogen zum Himmel ausgedehnt, der Teufel kreist im Wasser, die Vulkane zischen wieder. Keine Backsteine. Dafür eine dichte Collagen-Komposition, wie sie die Dadaisten noch mit Schere und Klebstoff anfertigten oder die Künstler der 80er und 90er Jahre mit dem Kopiergerät. Hell Gette greift zur Maus und klickt den Zauberstab und das Verlaufswerkzeug an. Woanders hält sie die Taste gedrückt, verzerrt die Figuren, malt mit dem runden Pinselzeichen oder benutzt die Radierer-Funktion um Elemente erscheinen und verschwinden zu lassen. Der halbtransparente Regenbogenverlauf auf „#????“ und „#????????“ verbirgt Palmen, ein stolzer Trick jedes veralteten Bildbearbeitungsprogrammes. Die Übersetzung in das klassischste Kunstmedium, die Ölmalerei, ist nicht nur ein Rückschritt in die Malerei, sondern auch ein Schritt nach vorne; aus der digitalen Kunst der Jahrtausendwende in einen ganz und gar zeitgenössischen Ansatz.
Das Virtuell-Glatte der originalen Emojis wird aufgebrochen, die virtuelle Oberfläche zerstört, denn Hell Gette bringt die haptische Farbmaterie ins Spiel. Speckig ist die Farbpaste der Emoji-Imitationen aufgetragen, Windungen und Dellen bestimmen ihr Relief.

Die Kompositionen der Landschaften, besonders in den Dreiecken der Berge und Vulkane, aber auch in den Vertikalen der Himmelsräume und Himmelselemente, erinnern an die abstrakten Landschaftsgemälde der Transcendental Painting Group (TPG), die in den 30er und 40er Jahren in New Mexiko malten. Zu ihnen gehörten Agnes Pelton oder auch Lawren Harris, sie alle verfolgten das TPG-Credo: „to carry painting beyond the appearance of the physical world through new concepts of space, color, light and design, to imaginative realms that are idealistic and spiritual.“ Auch sie ließen sich durch die Wüste inspirieren, die in der Nachkriegszeit als künstlerischer Ort ihren Durchbruch in der Land-Art-Bewegung erlebte. Heinz Mack oder Nancy Holt installierten ihre wichtigsten Arbeiten in der unendlichen Sandkulisse. Die Wüste birgt im Vergleich zu anderen Naturräumen besondere Qualitäten. Sie scheint außer Zeit und Raum zu stehen, der gleichförmige Sandboden, die Hitze und die Weite sind perfekt surreale Kulissen in denen alle Objekte und Figuren stets wie von einem Ufo abgeworfen erscheinen. Gleichzeitig erinnert die Wüste an die alten Ägypter, an Pharaonen und besonders an ihre Geister, die durch sie wanderten und aus Sandstürmen emporstiegen. Für Hell Gette steht die Wüste aber auch für sehr persönliche Erinnerungen. Ihre Kindheit verbrachte die Künstlerin in Kasachstan. Hitze und Wüste prägen das Land, Gette erinnert sich an einen Sommergarten mit Badewanne, Wassermelonen, Schildkröten und Weintrauben. Ihre Erzählungen lassen an Alice im Wunderland denken, nur eben in einer Wüsten-Version. Die gemaserten und gefleckten Bildpartien symbolisieren übrigens das Flirren der heißen Luft. In der hitzigen Atmosphäre sprechen das Greifbare und die Erinnerung eine digitale Sprache, übersetzt in Ölmalerei.

Wichtige Recherchezeit verbringt die Künstlerin beim Reisen. Vor neuen, fremden Landschaften fertigt Gette Aquarellstudien an, die sie später am Computer zu Vorlagen für neue Gemälde verarbeitet. Auch die Renaissance-Malerei und die darin entwickelte Luftperspektive inspirieren sie. Die Farbverläufe und Fernblässe der historischen Artefakte findet Gette in den Verlaufswerkzeugen von Photoshop und anderen Apps wieder. Ihre Räume werden wie Level von Videospielen angelegt, man will nach rechts und nach links hüpfen, daher stammt auch ihre Vorliebe für Dip-/ Triptychen, die den Bildraum ebenfalls nach beiden Seiten hin erweitern. In „#✖️✖️✖️“ wird das Triptychon durch die Hydra bestimmt, deren Köpfe und Leben sich in alle Richtungen schlängeln. Ein exotischer, popartiger Dschungel in dem nichts Geheuer bleibt. Der Okkultismus der digitalen Erscheinungen treibt auch hier sein hitziges Unwesen.

- Larissa Kikol