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Eröffnung: Freitag, 1. Juni 2007, 18 Uhr

Henrik Olesen (*1967 in Dänemark, lebt und arbeitet in Berlin) benutzt seit Mitte der 1990er Jahre die Mittel der Collage, der Skulptur und der minimalistischen Raumintervention, um die gesellschaftliche Konstitution und Konstruktion von Identität und Geschichtsschreibung zu untersuchen. Durch das Verfahren der Appropriation von Bildquellen und der kontextuellen Verschiebung scheinbarer Selbstverständlichkeiten sondiert Olesen den Umgang mit Homosexualität und ihre Kriminalisierung in der Vergangenheit wie auch in der heutigen Zeit. Seine Arbeit am Archiv beleuchtet die fortdauernde Existenz anderer, homosexueller Räume und schreibt die homosexuellen Subkulturen wieder in die Geschichte der Kunst und der Kultur ein.

Henrik Olesen visualisiert in seinen Arbeiten die geschlechtspolitischen Implikationen alltäglicher Konventionen, die, wie Michel Foucault es mit dem Begriff des Diskurses beschrieben hat, Ein- und Ausschlüsse produzieren. Anpassungsdruck und Zwang gegen das von der Norm Abweichende drängen es verschleiernd an den Rand oder verhindern durch Verzerrung historischer Dokumente die Erinnerung – machen sie unsagbar. Durch Aufklärungsarbeit und Strategien wie die des détournement, der „Umlenkung“ bzw. Verfremdung, kann diese schwul-lesbische Kultur- und Bildergeschichte aus ihrer Randstellung befreit werden; durch die Einfügung positiver Beispiele funktionierender homosexueller Räume und Kulturen in den hegemonialen Diskurs wird dieser um eine Lesart bereichert.

Im Kunstverein Braunschweig unterteilte Henrik Olesen 2001 den Ausstellungsraum in zwei Teile, deren erster, leer gelassener einem White Cube glich und in seiner Leere elliptisch auf die modernistische Fiktion der Autonomie verwies. Durch eine verkleinerte „Hintertür“ als Schwelle gelangte der Betrachter in einen Nebenraum. Hier wurde auf Bildern und kleineren Texten über den juristischen Umgang mit Homosexualität informiert. Die Arbeit an Paragraphen des Strafgesetzbuches griff Olesen im Sprengel Museum in Hannover 2003 erneut auf, indem er den Paragraphen 175 des Deutschen Strafgesetzbuchs in Kupferstiche des surrealistischen Künstlers Max Ernst einschrieb. Dessen Interieurs sind in Olesens Version nicht mehr von Männern und vogelköpfigen, auf ihre Körper reduzierten Frauen besetzt, sondern zeigen homosexuelle Situationen. Dieses Verfahren einer parallelgeschichtlichen Um- und Einschreibung in historische Dokumente setzte der Künstler 2004 in der Secession in Wien fort, deren Hauptraum in der Kunstgeschichte als einer der ersten Ausstellungsorte mit White-Cube-Bedingungen gilt. Indem er homosexuelle Subjekte in Bilder dieser Räume integrierte – nun unter Bezugnahme auf den erst 2002 abgeschafften Paragraphen 209 des Österreichischen Strafgesetzbuchs, der für Homosexuelle andere Regelungen verlangte als für Heterosexuelle –, verwies er auf implizite Ausschlussmechanismen und den verborgenen historischen Resonanzboden einer Institution wie der Secession.

Im migros museum für gegenwartskunst präsentiert Henrik Olesen eine raumfüllende Installation aus Bildtafeln, die das Resultat seiner zweijährigen Recherchen sind und den Rahmen von Bildern des Mittelalters bis zum 20. Jahrhundert spannen. Die Bildtafeln erinnern an die Mnemosyne-Serie des Kunsthistorikers Aby M. Warburg (1866–1929), die darauf abzielte, eine gegen Kunstschwärmerei und rein formale Ästhetisierung gerichtete Bildwissenschaft zu entwickeln und Kunst im Rahmen einer gesellschaftlichen Einbettung und Produktion zu denken. Mit und gegen diesen geistigen Vater erarbeitet Henrik Olesen eine andere Kunstgeschichte, in der die Produktion von same-sex-communities Platz findet – Maler homoerotischer Sujets wie Jean-Frédéric Bazille (1841–1870) begegnen ikonischen, heterosexuellen modernen Malern wie Édouard Manet (1832–1893), dessen favorisiertes Modell mit Victorine Meurent (1844–1927) eine lesbische Künstlerin war. Gruppiert unter Titel wie „the appearance of sodomite in visual culture“ oder „sex in america“, eröffnet der didaktische Anschein der Bildcollagen einen neuen Denkraum und beleuchtet die politische Funktion der Machthabe über Geschichtsschreibung und Repräsentation.

Durch dieses Durchqueren der im kollektiven Gedächtnis gespeicherten Genealogie macht Henrik Olesen nicht nur verborgene Bildkulturen der schwul-lesbischen Kulturgeschichte sichtbar; er arbeitet auch deren Existenz und die Verbindungen in die Sphäre der Kulturproduktion des common sense heraus. Der Schulterschluss von Bild und innovativem Denken erinnert an die immer schon politische und aneignende Geste der Bildwissenschaft, anhand von Quellen zu argumentieren und dadurch Alternativen zu allzu natürlich anmutenden oder ideologisch gewordenen Paradigmen des Denkens und der Geschichte entwickeln zu können.

Zeitgleich ist ein Projekt von Judith Hopf und Henrik Olesen zu sehen.