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Die Ausstellung Das Erbe Pygmalions zeigt einen thematischen Querschnitt durch das Werk des deutschen Fotografen Herbert List (1903–1975), der zu den Protagonisten der deutschen Avantgarde-Fotografie zählt. Die Auswahl von rund 140 Fotografien umfasst seine Formexperimente vor dem Zweiten Weltkrieg und reicht bis zu den am Menschen und der „conditio humana“ orientierten Fotografien Anfang der 1950er Jahre.

Den thematischen Schwerpunkt legt die Ausstellung auf die für Lists Werk zentrale Idee der Verlebendigung, wie sie im Mythos des antiken Bildhauers Pygmalion überliefert worden ist. Es sind bestimmte Motive, die in diesem Zusammenhang Lists Interesse erregen: die Körper junger Männer, Schaufensterpuppen, das Wachsfigurenkabinett und Skulpturen aller Art.

Herbert List steht zwischen den verschiedenen Kunstströmungen seiner Zeit: Seine Stillleben zeigen Interesse an Strukturen, wie sie für die Neue Sachlichkeit typisch sind. Seine Faszination für das Schaufenster, das Wachsfigurenkabinett und das Stillleben erinnern an den französischen Surrealismus, und bereits in den 1930er Jahren wurden seine Fotografien mit der Pittura metafisica in Zusammenhang gebracht. Die Lichtsetzung hingegen ist von der Strömung des Neoklassiszismus beeinflusst, wie sie auch in der Werbe- und Modefotografie seiner Zeit deutlich wird.

List spielt mit den illusionistischen Fähigkeiten der Fotografie: Er lässt die Körper junger Männer zu Skulpturen werden. Dieses Spiel setzt er im Motiv einer romantischen Skulpturenverlebendigung fort, wie etwa in seinen Aufnahmen in den Pariser Tuilerien bei Nacht.

Wie Pygmalion, der sich in eine von ihm geschaffene Statue verliebt, wählt List in seinem gesamten Werk den Blick des involvierten Liebhabers. Seine Kamera scheint die Körper junger Männer zu berühren, und im Fall marmorner Statuen verwandelt sie den kalten Stein in lebendige, pulsierende Haut. Wenn List die Körper seiner Freunde 1933 am Ostseestrand verewigt oder einen zerschossenen Torso in der Münchener Akademie 1945 fetischisiert, dann setzt er sich dabei über die Zwänge der Zeitumstände hinweg.

Die Zeitlosigkeit, die uns seine Aufnahmen von Personen erstaunlich gegenwärtig erscheinen lässt, triff jedoch im Falle seiner Ruinenfotografien bei den Zeitgenossen in der Nachkriegszeit auf Unverständnis. Statt den Alltag des kriegszerstörten Münchens zu dokumentieren, überhöht er die Ruinen des zerbombten „Isar-Athens“ und lässt sie in gleißendem Licht und in ihrer bizarren Schönheit den antiken Ruinen gleich erscheinen. Er ästhetisiert die Dinge und entrückt sie damit ihrer realen Gegenwart.

Der in Hamburg geborene Fotograf war Autodidakt. Ausgebildet als Kaffeehändler, verstand er sich zeitlebens als ein durch seine humanistische Bildung geschulter Amateur. 1935 flüchtete er als Homosexueller jüdischer Abstammung vor den Nationalsozialisten nach Paris, gab damit seinen Beruf und seine Firma auf und arbeitete als Fotograf. 1941 kehrte er nach Aufenthalten in England und Griechenland nach Deutschland zurück, wo er als „Nicht-Arier“ nicht mehr publizieren konnte und mit einem Berufsverbot belegt war. In der direkten Nachkriegszeit arbeitete er als Redakteur von Heute, konzipierte für seine verschiedenen Werkkomplexe eine Reihe von Künstlerbüchern und publizierte gelegentlich in Zeitschriften.