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In der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts hat der 1889 geborene Dresdner Hermann Glöckner einen festen Platz durch das einzigartige "Konstruktivistische Tafelwerk", das er 1930 als 40-Jähriger begann und ungeachtet der ihm feindlichen Kunstdoktrin im NS-Staat bis 1937 fortführte; andere Künstler - selbst ein Oskar Schlemmer - fühlten sich damals verunsichert, Glöckner nicht; er hatte das Glück, weniger bekannt zu sein, nicht dem verfemten "Bauhaus" anzugehören. Als Broterwerb hatte er ein Arbeitsgebiet, auf dem geometrische Muster nicht ganz verpönt waren: "Die Kunst am Bau". (...)

So konnte Glöckner mit seiner Frau Frieda unangefochten von 1937-67 etwa 125 Bauten dekorieren, während er gleichzeitig unbemerkt von der Öffentlichkeit konstruktivistische Formen ins Bild setzte. - Auf die transparenten Seidenpapier-Collagen folgten monotypieartige Drucke, informelle Tempera-Blätter und zuletzt seine spielerisch entwickelten, dynamischen Faltungen.

All das wurde gleichsam auf einer Insel geschaffen, die von den Wellen des sozialistischen Realismus umspült, aber nicht berührt wurde. Die Wellen sind verebbt, Glöckner ist geblieben.

Glöckner ist zum Konstruktivismus auf deduktivem Wege gekommen, d.h. durch Erfahrung; er war alles andere als ein Theoretiker oder Dogmatiker. Die Formation von Giebeldächern hat ihn inspiriert; erst hat er sie bereits 1911/12 in Boxdorf und dann 1927/29 abstrahierend gemalt; darauf hat er ihre winkeligen Formen in Papier gefaltet, in Seidenpapier, das er delikat einfärbte und auf schwarz lackierte Tafeln montierte; dort wurden sie zu schwerelos schwebenden Raumkörpern. Das geschah in den 30er Jahren trotz materieller Not und politischem Druck.

Das Faszinosum dieses in 150 Formen variierten "Tafelwerks" - eines zentralen chef d'oeuvres nicht nur im Schaffen Glöckners, sondern in jener kritischen Epoche überhaupt - ist seine fassbare Spiritualität. Das rote Material Papier beginnt unter Glöckners Händen zu sprechen, wird transparent, gleichsam ein Stück konkreter Poesie. Die spürbare Handwerklichkeit erweckt alle seine Arbeiten zum Leben.

Gunther Thiem

Auszüge aus dem Katalog "Hermann Glöckner - Raum, Zeit, Figur. Ein Dresdner Beitrag zur Moderne", Hg. Brigitte Reinhardt/Ulmer Museum, Verlag Beatrix Wilhelm, Stuttgart 1991.

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Hermann Glöckner - Raum, Zeit, Figur