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Wie schaffen wir es, uns auf Reisen, bei der Untersuchung eines örtlichen Kontextes zu verständigen und zu verstehen? Und was entsteht künstlerisch aus einem solchen Prozeß? Dies ist die übergeordnete Fragestellung, der sich die Ausstellungsreihe "I Know the World" widmet.

Die Reise durch Zeit und Raum, so wie historische Nachforschungen sind die Arbeitsinteressen der Künstlerin Tamar Guimaraes. Aus dem Archivmaterial erwächst eine Erzählung, die das historische Material in die Gegenwart transportiert. Die Geister lang vergangener Koloniezeiten, Amnesie, Rasissmus und nationaler Romantisierungen zeigen hierbei ihr Gesicht mit zeitgenössischer Authentizität.

Ähnlich der Laientheateraufführungen aus Skagen, die Tamar Guimaraes in ihrer Arbeit einbindet, kreiert die Künstlerin Amalia Pica gemeinschaftliche Aktionen in der Innenstadt von Amsterdam. Mit ihrer Performance erschafft Amalia Pica Bilder der Vergangenheit im Rahmen der Stadtlandschaft, und läßt uns durch das Déjà-vu zeitgeschichtliche Momente erfahren.

Mit ihrer Fensterarbeit melden sich die Künstlerinnen Tanja N. Poulsen und Grete Aagaard zu Wort und streiten für Aufrichtigkeit und Political Correctness. Es ist schön, daß es solche Aspekte menschlichen Wesens zu veraunschaulichen gibt und man nicht nur in den Überbleibseln nationaler Träume sich suhlt, – die Träume der Moderne sind gestrandet.

Gestrandete Träume und fiktionaler Verfall finden sich in dem Raum von Tommy Støckel wieder. Um seine Skulptur, eine im Zerfall begriffene Säule, hat er ausgewählte Werke versammelt, wie die Fotografie von Matti Blind, dass das verfallene Model eines nie realisierten, modernistischen Gebäudes zeigt; Markus Willekes hingeschmissenen Aquarelle von Hollywood Logos und Antonia Lows lang vergessene Zeichnung eines Popstartraumes.

Die Ausstellung

Die Künstlerin Tamar Guimaraes ist in Brasilien geboren, lebt in Dänemark, und ist momentan Stipendiatin im Witney Program, New York. Ihre erzählerische Dokumentation "Jan Leton and The Archive", in dem ersten Raum gezeigt, handelt von einem Forscher der den Versuch unternimmt, die Hintergründe des Mannes zu klären, der als Geschenk an den Stadthalter Skagens ging und dort als Sklave bis zu seinem Tod im Jahre 1827 lebte. Geboren auf den Westindischen Inseln belegt als einziges offizielles Dokument - zu seiner 'Lebenszeit'- die Sterbeurkunde Letons von seinem Verbleib in Skagen. Abgesehen von seiner Sterbeurkunde wurde Leton ab 1877 perodisch in lokalen Zeitungen und Geschicht-saufzeichnungen erwähnt. Die Dias sind Rerpoduktionen des historischen Skagener Archives, und wurden gemacht, während der 1989er Aufführung der lokalen Theatergruppe Egnspil, die auf Letons Ankunft in Skagen basiert.

Neben "Jan Leton and the Archive" zeigt die Künstlerin die Arbeit "A Man Called Love" auf einem Monitor. "A Man Called Love" beruht auf den Nachforschungen zu Francisco Candido Xavier (1910 - 2002), einem brasilianischen spiritistischem Medium und Psychografen, der eine spezielle Technik des Geister-channeling nutzte, um die ihm so von Geistern vermittelten Botschaften nieder zu schreiben. Dieser Aufgabe widmete er sein gesamtes Leben. Er wurde als einer der größten und produktivsten Psychografen aller Zeiten beschrieben, mit mehr als 400 verfassten Büchern. Xavier, der seine größte Popularität während der militärischen Diktatur der Jahre 1964 - 85 erreichte, erzählte in seinem Buch "Unsere Heimat" die tropische Version einer Sozialdemokratie, deren Haupstadt in der näheren Umgebung Rio de Janeiros liegt und von ihm als eine Stadt mit großen Plätzen mit Bänken für Millionen von Menschen beschrieben wird, und beleuchteten Springbrunnen umpflanzt mit zarten Blumen. Die Videodokumentation beschäftigt sich mit der materialistischen Deutung des Phänomens Francisco Xaviers und der 'spirituellen' Deutung der brasilianischen Linken.

Im selben Raum wird die Arbeit "To everyone that waves", ein 16 mm Film gezeigt. Zudem werden die beiden anderen Arbeiten der argentinischen Künstlerein Amalia Pica "Island" und "Drained" im Keller und ausserhalb des Sparwassers gezeigt. Alle drei Arbeiten basieren auf einer Performance und ihrer Beziehung zu einem (fremden) Platz (irgendwo in Amsterdam). Allerdings ist eine gefilmte Performance nicht immer unmittelbar mit einer Dokumentation gleich zu setzten. Der Film "To everyone that waves" wurde während des Events "Good Bye" gedreht, wo weisse Stofftaschentücher ohne weitere Instruktionen an Menschen verteilt wurden, die damit von bzw zu einem ablegendem Schiff winken. Der Film porträtiert das allgemeine Bild des Abschieds, in einer auf den ersten Blick schwer festzulegenden Zeitepoche.

Die Arbeit "Islands" besteht aus einer 35mm Diaschau, die kleinformatig bei Tageslicht auf die Wand geworfen wird. Die Künstlerin geht durch den Schnee und zeichnet mit ihren Abdrücken das Abbild einer tropischen Insel.

Die Arbeit "Drained" bezieht sich auf die Nostalgie einer bestimmten Lebensfreude von Gemeinschaften. Die ausserhalb am Gebäude und im Baum angebrachte Partylichterkette mit ihren bunten Birnen korrespondiert mit der umliegenden Kneipenlandtschaft und vermittelt dem Vorbeikommendem Feierstimmung. Die Lichterkette wird in den Ausstellungsraum erweitert und die Farbe ändert sich in klares normales Weiß.

Die Fensterinstallation "SET UP TOURS - navigations in the periphery of freedom" besteht aus einer digitalen Zeitung die über ein Diodenschriftband läuft und einem Poster. Die Arbeit wurde von den beiden Künstlerinnen Tanja N. Paulsen/ Grete Aagaard erstellt, die während der nächsten zwei Monate im und um das Sparwasser HQ arbeiten werden, dank eines AIR (artist-in-residence). "SET UP TOURS" präsentiert alternative Wege und Möglichkeiten sich in der wachsenden Touristik und Lifestyle-Industrie zu bewegen.

Die beiden Künstlerinnen kommentieren kritisch und trotzdem mit Humor die Konzepte der Touristik und ihre Verbindung zu exotischen Reisezielen, dem freien kosmopolitischen Leben, die Möglichkeit in jeder nur denkbaren Stadt zu navigieren - keine täglichen Verpflichtungen - Hotels - Restaurants - einem mobilen Leben in dem man Netzwerke aufbaut - Vereinbarungen trifft - und inspiriert wird oder ganz einfach relaxt.

Obwohl für manchen das Reisen ein Privileg ist und etwas zu dem nur Andere die Möglichkeit haben. Seit 2005 kolaborieren Tanja Nellemann Poulsen und Grete Aaagaard und arbeiten gemeinsam an dem Projekt das unter anderem "Speak Up! - The Magazin" (für allgemeine Anmerkungen und ungleiche Identitäten) beinhaltet, sowie dem Abhalten und orgenisieren von Workshops. Während ihres Künstleraufenthaltes im herbstlichen Berlin werden die Beiden eine Serie an Kurzfilmen drehen und Nachforschungen für die dritte Ausgabe von "Speak Up" tätigen.

Im hinteren Raum präsentiert Tommy Støckel begleitend zu seiner Skulptur ”Broken Pillar (for Berlin)” . Werke von Künstlerkollegen, die in ähnlicher Weise die Themen Fiktion, Geschichte und Verfall behandeln.

”Broken Pillar (for Berlin)” erscheint gleich einer tragenden Säule in der Mitte des kleinen Raumes. Im Einklang mit der schwarz gestrichenen Wand und Decke dieses Raumes ist die Säule ebenfalls von schwarzer Farbe und ihr 'Verfall' gibt eine Einsicht in ihre innere Struktur: An den Stellen, an denen die Oberfläche dem Schein nach abblättert und bröckelt kommen weitere Materialien - wie Papier und Styropor - zum Vorschein; billiges Material also, das dem gleicht, welches für Filmsets in Hollywood verwendet wird.

Diesen 'Hollywood-Aspekt' von Støckels fiktionalem Verfall spiegeln die Aquarelle von Markus Willeke in einer Auswahl gemalter Logos von verschiedenen Filmgesellschaften wider. Auf trashige Science Fiktion und Horror Filme wird nur durch die Titel der Arbeiten verwiesen, aber diese Assoziationen werden durch harte Pinselstriche verdeutlicht – alles in allem ein völlig unglamouröser Umgang mit der Ikonographie Hollywoods. "Burned 20th Century Fox (Alien)" ist ein solches Beispiel, in dem Willekes Aquarell das Gebäude auf dem bekannten Logo der Filmgesellschaft als verfallenes altes Monument erscheinen läßt.

Zu einem Beispiel vergangenen Glamours wird der Beitrag von Antonia Low, die eine Zeichnung aus dem Jahre 1985 präsentiert, die sie 13-jährig verfertigt hatte. Die Zeichnung "Candy" ist der Entwurf eines LP Covers für eine fiktionale Popband, die alles aufweist, was ein Plattencover in den 80-zigern aufzuweisen hatte: Die Gruppe ist mit raffinierter Kleidung, Frisur und Make-up in einer futuristischen Landschaft perspektivisch angeordneter Muster und Neon Farben dargestellt. Heute - also Jahre später - erscheint der Teenagertraum nach Popstartum genauso vergänglich gewesen zu sein wie der Traum der New Romantics – und genauso alt und abgenutzt wie die Zeichnung selbst mit ihren verblichenen Neofarben einem erscheint.

Matti Blind zeigt die photographische Arbeit "Sediment of Time", eine Darstellung eines nie realisierten Gebäudes Mies van der Rohes. Dieses Gebäude, das große Ähnlichkeit zu der Neuen Nationalgalerie in Berlin aufweist, sollte der Hauptgeschäftssitz von Bacardi Rum in Kuba werden, jedoch vereitelte die kubanische Revolution den Bau. Matti Blind hat anhand von Bauplänen und Photos des originalen Models ein neues architektonisches Model dieses Gebäudes rekonstruiert. Zusätzlich dessen ist er der Vorstellung nachgegangen, in welchem Zustand das Gebäude sich befände, wäre es vor dem Abzug Bacardis aus Kuba wirklich gebaut worden – und wäre es dem Verfall seither ausgeliefert gewesen.

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I Know the World 2

mit Matti Blind, Tamar Guimaraes, Antonia Low, Tanja N. Poulsen / Grete Aagaard, Amalia Pica, Tommy Stockel, Markus Willeke