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In den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts setzte in Deutschland eine Welle der Begeisterung für den amerikanischen Wilden Westen und dessen Klischees von Gut und Böse ein. Genährt wurde sie zuerst von James Fenimore Coopers „Lederstrumpf“-Erzählungen, danach von Karl Mays „Winnetou“-Romanen und schließlich von „Buffalo Bill’s Wild West“-Aufführungen. Die Ausstellung befasst sich mit den Beweggründen des deutschen Enthusiasmus für den amerikanischen Westen und durchleuchtet erstmals anhand der bildenden Kunst, in welchem Maß das deutsche Verständnis der Figur des Cowboys und des Indianers von der amerikanischen Bildkultur beeinflusst wurde. „I Like America“ wird mehr als hundertfünfzig Gemälde, Filme, Zeichnungen, Fotografien sowie Dokumentationsmaterial präsentieren, darunter Arbeiten von amerikanischen und deutschen Künstlern wie George Catlin, Karl Bodmer, Albert Bierstadt, George Grosz, August Macke, Emil Nolde, und Carl Wimar, und den Irrungen der Fiktion des Westens nachgehen.

Gefördert wird die Ausstellung durch die Bank of America, N. A. und Mayer, Brown, Rowe & Maw LLP. Zusätzliche Unterstützung erfährt sie durch American Airlines und die Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika.

Max Hollein, Direktor der Schirn: „‚I Like America‘ ist eine komplexe, facettenreiche Ausstellung über Amerika als Projektionsfläche deutschamerikanischer Sehnsüchte und Rezeptionsmuster und schließt neben zahlreichen Gemälden, Zeichnungen und Filmen auch Dokumentationsmaterial verschiedener Darbietungen und Werke ein, mit denen führende amerikanische und deutsche Künstler sowie kommerziell orientierte Unternehmer die Öffentlichkeit im 19. und 20. Jahrhundert konfrontierten.“

Dr. Pamela Kort, Kuratorin der Ausstellung: „Weder die amerikanische noch die deutsche Vorstellung vom Wilden Westen haben viel mit der Wirklichkeit gemein. Doch sind sie zuverlässige Indikatoren dafür, auf welche Weise man in beiden Ländern Bilder vom Westen schuf, die ideologischen Zwecken dienten. Die Ausstellung erkundet erstmals umfassend die Beweggründe der andauernden deutschen Begeisterung für den Wilden Westen und ihre Beziehung zur amerikanischen Bildkultur bei der Gestaltung eines spezifisch deutschen Verständnisses der Figuren der Grenzer und des Indianers.“

Der Titel „I Like America“ bezieht sich auf jene Faszination des deutschsprachigen Europas für den amerikanischen Wilden Westen, die im 19. Jahrhundert ihre Wurzeln hat. Damals begann eine wachsende Zahl von Deutschen in der Hoffnung in die Vereinigten Staaten auszuwandern, dort einen Platz in der noch unberührten Landschaft zu finden. Zwischen 1830 und 1840 waren es mehr als 150.000, allein 1848 über 100.000. Viele von denen, die in Deutschland blieben, lasen begeistert James Fenimore Coopers erstes Buch der Lederstrumpf-Erzählungen „Die Ansiedler“ („The Pioneers“, 1823), das 1826 übersetzt worden war. Im weiteren Verlauf des Jahrhunderts stillten illustrierte Wochenschriften wie „Die Gartenlaube“, die Leipziger „Illustrierte Zeitung“ und das „Pfennigmagazin“ den Hunger nach Information. Die Bilder, die darin vom Wilden Westen gezeichnet werden, sind ebenso vielfältig wie die Berichte selbst. In ihrer Gesamtheit präsentierten sie ein höchst lebendiges Bild eines Landes, das sich durch Schönheit, Abenteuer, Isolation und Freigiebigkeit auszeichnete.

Die Bereitschaft, den Indianer als eine Art Blutsbruder aufzufassen, ist eine deutsche Besonderheit. In Amerika dagegen galt der „rote Mann“ meist als gefährlicher Wilder, den Grenzer, Soldaten und später Viehzüchter bis zum Ende des 19. Jahrhunderts unter Kontrolle bringen sollten. Die Öffnung des Westens zwischen den 1830er und den 1850er Jahren ermöglichte es Forschern und Künstlerpionieren wie dem Amerikaner George Catlin in die „Frontier“, das Grenzgebiet zwischen „Zivilisation“ und „Wildnis“, zu reisen und Leben und Rituale der Indianer zu dokumentieren, die in Amerika als gewissermaßen per „Naturgesetz“ zum Aussterben verurteilt galten. Durch Alexander von Humboldts Beschwörung der Verbindung zwischen Naturwissenschaft und künstlerischem Empfinden angeregt, luden deutsche Entdecker wie Prinz Maximilian zu Wied-Neuwied und Herzog Paul Wilhelm von Württemberg Künstler wie den gebürtigen Schweizer Karl Bodmer und den Deutschen Balduin Möllhausen ein, sie auf ihren Reisen in den amerikanischen Westen zu begleiten.

Umgekehrt reisten auch Indianer nach Deutschland. Einer der ersten und sicherlich der berühmteste war George Copway, ein Ojibwa namens Kah-ge-ga-gah-bow, der die Einladung annahm, die christlichen Indianer Amerikas 1850 auf dem dritten Weltfriedenskongress in Frankfurt zu vertreten. Die liberal-revolutionäre Einstellung, die dort noch im Sinn der deutschen Vormärzpolitik das wachsende Interesse an Amerika kennzeichnete, sorgte dafür, dass Copway, der einzige Indianer, der dieser Versammlung beiwohnte, zur Sensation derselben wurde. Dies führte nicht nur zu einer umfangreichen Berichterstattung in zahlreichen Zeitungen, sondern auch zu einem Porträt mit dem romantisch verbrämten Titel „Der letzte Mohikaner“, das Emanuel Leutze im selben Jahr von ihm malte. Leutze, ein gefeierter amerikanischer, in Deutschland geborener Maler, der zwischen 1845 und 1858 in Düsseldorf tätig war, erhielt dort Gesellschaft von anderen amerikanischen, ebenfalls in Deutschland geborenen Malern wie Carl Wimar und Albert Bierstadt. Wimar, der vor allem Indianer und nur wenige Pioniere malte, war in Düsseldorf als „Indian Painter“ bekannt. Die begeisterte Aufnahme seiner Werke in Deutschland zeugt von der Wahrhaftigkeit des Phänomens der „deutschen Indianerbegeisterung“, die Wimar nicht nur erkannte, sondern auch gebührend auszuschlachten wusste.

Nach dem Bürgerkrieg sollten die Amerikaner ihre Vorstellungen vom Westen sowohl aus den illustrierten Berichten der blutigen „Indianerkriege“ wie aus der Heldenliteratur beziehen. George A. Custer, Geronimo, Sitting Bull und vor allem Buffalo Bill wurden in Jahrzehnte zuvor geschaffene Schablonen gepresst und für die endgültige Lösung des „Indianerproblems“ herangezogen. In Buffalo Bills Aufführungen, die als authentische Schilderungen des amerikanischen Westens verkauft wurden, herrschten die anständigen Cowboys vor, die wilde Indianer zusammentrieben und gefährliche Tiere mit dem Lasso einfingen. Nicht lange danach spannten Theodore Roosevelt und Frederic Remington diese aufregenden Zirkusbilder für eine funktionale Mythologie ein, die sich im Rahmen der neuen Herausforderungen gegenüber dem spanischen Amerika gewinnbringend einsetzen ließ. Roosevelts höchst erfolgreiche Bücher „Ranch Life and the Hunting Trail“ (1888, mit Illustrationen von Remington) und „The Winning of the West“ (1889–1896) sowie sein wachsender Ruf als Kriegsheld trugen dazu bei, dass er 1901 ins Weiße Haus einzog und bis 1909 dort blieb.

Unterdessen erschien 1893 die erste Ausgabe von Karl Mays „Winnetou“-Trilogie, die ihn schon bald zum meistgelesenen deutschen Schriftsteller machte. Bis 1950 hatten sich über 50 Millionen seiner Bände verkauft. Die Leserschaft findet in Mays Geschichten ein vielfältiges Angebot vor, das unterschiedlichste Bedürfnisse befriedigt: von identifikatorischer Selbstbestätigung über wirklichkeitsflüchtige Tendenzen bis hin zu antizivilisatorisch-naturromantischen Haltungen. Bewunderer seines literarischen Schaffens hat er viele, darunter Ernst Bloch, Hermann Hesse, Peter Handke – und Adolf Hitler, der in Mays Romanen eine arische Heldenlektüre sah. Inspiration zu seinen Erzählungen erhielt Karl May von den „ethnographischen Gesellschaftsromanen“ Balduin Möllhausens, der auch als „The German Cooper“ bezeichnet wurde (u. a. „Der Halbindianer“, 1861; „Die Mandanenweise“, 1865), sowie von den Bildberichterstattungen George Catlins und Karl Bodmers.

Während Buffalo Bill für Zigtausende den Cowboy verherrlichte, begann der ehemalige Tierhändler Carl Hagenbeck damit, in seinem Tierpark in Hamburg-Stellingen Indianer in Völkerschauen zu präsentieren und ihren exotischen und wissenschaftlichen Reiz auszubeuten. 1910 feierte er mit den Sioux seinen größten Erfolg. 1903 hatten Filmproduzenten in Amerika begonnen, das Unterhaltungspotenzial des „Western“ anzuzapfen und exportierten diesen schon bald nach Deutschland. Zu den populärsten zählten mehr als 350 Filme, die zwischen 1907 und 1914 von der kalifornischen Filmfirma Essanay produziert wurden und in denen der Cowboy Broncho Billy auftrat. 1909 entdeckte dann die Selig Polyscope Company aus Chicago Tom Mix, der zum zweitpopulärsten Cowboystar aller Zeiten wurde.

Inspiriert von diesen Filmen und durch ihre Cooper- und May-Lektüre begannen Künstler wie August Macke ab 1911 und später auch Otto Dix, George Grosz und Rudolf Schlichter Bilder zu malen, die von ihrer anhaltenden nostalgischen Identifizierung mit Indianern und Cowboy-Desperados und ihrer Lebensweise zeugen.

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs kamen Westernfilme in Deutschland wieder in Mode. Aufgrund des knappen Angebots und der wachsenden Nachfrage nach diesem Genre erschienen auf dem Markt erstmals „Sauerkraut“-Filmraritäten wie „Bull Arizona, der Wüstenadler“, der in Heidelberg mit deutschen Schauspielern produziert worden war. Bereits während des Krieges begannen sich deutsche Künstler wie George Grosz auch immer stärker für die autonome Welt des unverwüstlichen Cowboys zu interessieren. Otto Dix und Rudolf Schlichter diente der Wilde Westen als Fluchtperspektive, die es ihnen ermöglichte, die Augen vor dem wirklichen Gemetzel zu verschließen, das im zeitgenössischen Deutschland vor sich ging. Ihre von Barschlägereien, Indianermassakern, Cowboybanditen und raubgierigen Goldgräbern beherrschten Bilder zeugen von einer Welt, die sie nur aus Romanen und Filmen kannten. Sie stehen für den Anfang vom Ende einer deutschen Liebesaffäre, die noch ganz dem Indianer vorbehalten war.

Die Ausstellung endet mit einem zeitlichen Sprung von fünfzig Jahren in die Zukunft und einem 40-minütigen Film, den Helmutz Wietz in Zusammenarbeit mit Joseph Beuys und René Block erstellte: der Dokumentation von Beuys’ erster öffentlicher Aktion in den Vereinigten Staaten: „I like America and America likes Me“ in Blocks Galerie in New York 1974. Der ironische Titel und Beuys’ Entscheidung für einen Coyoten als „Gefährten“, mit dem sich der Künstler mehrere Tage lang einsperren ließ, deuten darauf hin, dass diese Aktion zumindest das Ziel hatte, die Fabrikation amerikanischer und deutscher Indianermythen aufzudecken.

KATALOG: „I Like America – Fiktionen des Wilden Westens“. Hg. von Pamela Kort und Max Hollein. Mit einer Einleitung von Max Hollein und Texten von Eric Ames, Eugen Blume, Peter Bolz, Pamela Kort, Karl Markus Kreis, Barbara McCloskey, H. Glenn Penny. Deutsche und englische Ausgabe; je ca. 400 Seiten, 380 Abbildungen, Prestel Verlag, München, Berlin, London, New York.

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I LIKE AMERICA
Kuratorin: Pamela Kort

Künstler:
George Catlin, Carl Wimar, Albert Bierstadt, August Macke, George Grosz, A. Zeno Shindler, Emanuel Leutze, Max Seliger, Carl Wimar, Aby Warburg, Alexander Pope, Charles Schreyvogel, Charles Russell, Frederic Remington, D.W. Griffith, Raoul Walsh, Luis Trenker, John Ford, George Marshall, Max Slevogt, George Grosz, Emil Nolde, Otto Dix ...