press release only in german

Frankfurt am Main, 19. Januar 2017. Mit einer Ausstellung über die Darstellung von Raumkonzepten in Zeichnung und Druckgrafik startet das Städel Museum ins Ausstellungsjahr 2017. Vom 15. Februar bis 14. Mai zeigt das Frankfurter Museum „In die dritte Dimension. Raumkonzepte auf Papier vom Bauhaus bis zur Gegenwart“ in der Ausstellungshalle der Graphischen Sammlung. Die Schau geht der Frage nach, wie Raum bildende und Orientierung stiftende Merkmale wie Grenzen, Form und Volumen, Innen und Außen in Zeichnung und Druckgrafik, also in der Fläche, dargestellt werden. Sie setzt bei den geometrischen Kompositionen von El Lissitzky und László Moholy-Nagy aus dem Jahr 1923 an und führt bis zu Druckgrafiken der gegenwärtigen Konzeptkunst. Zu sehen sind ausgewählte Arbeiten von insgesamt 13 Künstlern, darunter Lucio Fontana, Eduardo Chillida, Sol LeWitt, Blinky Palermo, James Turrell und Michael Riedel. Lithografien mit konstruktivistischen Perspektivdarstellungen treffen auf in den Raum drängende Prägedrucke. Schlitzungen, die imaginative Räume eröffnen, werden Entwürfen für Wandarbeiten gegenübergestellt. Dreidimensionalität suggerierende Druckgrafiken von Künstlern der Minimal Art, der Raum- und Lichtkunst begegnen Kreidezeichnungen, Faltungen und Collagen von Bildhauern des 20. Jahrhunderts. Es sind keine vorbereitenden Skizzen oder nachträglich angefertigte Dokumentationen, die hier gezeigt werden, sondern eigenständige Werke, in denen die Künstler ihre Raumkonzepte unter den formalen Bedingungen druckgrafischer und zeichnerischer Techniken fortgeführt haben. Die Ausstellung versammelt bedeutende Blätter aus der Graphischen Sammlung des Städel Museums, ausgewählte Werke der Sammlung Deutsche Bank im Städel Museum, Dauerleihgaben der Commerzbank AG, Frankfurt am Main und Leihgaben aus Privatbesitz.

„Viele bedeutende Künstler haben sich mit dem Thema Raum und Dreidimensionalität auf dem zweidimensionalen Medium Papier auseinandergesetzt. Dass wir diese Ausstellung nahezu vollständig aus den eigenen Beständen heraus konzipieren konnten, zeigt, wie hochkarätig unsere Graphische Sammlung bestückt ist“, so Städel Direktor Dr. Philipp Demandt.

„Wenn man genau hinschaut, dann liegen in den Schubladen unserer Graphischen Sammlung einige Skulpturen“, konstatiert die Kuratorin der Ausstellung, Jenny Graser. „Viele Künstler haben im 20. Jahrhundert die Grenzen zwischen den Medien hinterfragt. Die Differenzen zwischen Skulptur, Zeichnung und Druckgrafik wurden aufgeweicht.“

In sieben Kapiteln präsentiert die Sonderausstellung ganz unterschiedliche Ansätze in der Darstellung von Räumlichkeit auf dem Papier und zeigt dabei Differenzen wie auch über Jahrzehnte hinweg bestehende gemeinsame Anknüpfungspunkte der einzelnen künstlerischen Positionen auf.

Am Ausgangspunkt der Ausstellung steht die von Martin Heidegger (1889–1976) in seiner Schrift Die Kunst und der Raum (1969) gestellte Frage nach dem Unterschied zwischen einer künstlerischen Erkundung des Raumes und einer auf mathematischen und physikalischen Gesetzmäßigkeiten beruhenden Erforschung von Raum. Gleich im ersten Kapitel der Präsentation werden etablierte Vorstellungen von Raum aufgebrochen. Den Auftakt bilden zwei Mappenwerke des russischen Avantgardisten El Lissitzky (1890–1941) und des ungarischen Künstlers und Bauhaus-Lehrers László Moholy-Nagy (1895–1946), in denen utopische Raumkonzepte vorgestellt werden. Lissitzky hat in den 1920er-Jahren das Modell eines idealen und universellen Raums entwickelt, der sich einer auf mathematischen Gesetzen beruhenden Messbarkeit entzieht. Dieser Raum weist keine Grenzen auf, er ist offen, unabgeschlossen. Die Charakteristika dieses Raumgefüges lassen sich in Lissitzkys Grafikmappe Proun (1923) nachvollziehen. Zur selben Zeit fertigte auch Moholy-Nagy ein druckgrafisches Mappenwerk an. Er widmete sich allerdings dem Phänomen Licht. Seine Auseinandersetzung mit dem Facettenreichtum transparenter Wirkungen fand Ausdruck in der sechs Lithografien umfassenden Mappe Konstellationen (1923). Das Medium der Lithografie mit seinem Reichtum an Schattierungen und feinsten Tonalitäten ermöglichte es dem Maler, die Untersuchung von Transparenzen in einer für ihn neuen Technik fortzuführen.

Das zweite Kapitel der Ausstellung widmet sich dem in Cotta bei Dresden geborenen Künstler Hermann Glöckner (1889–1987). Ein scheinbar simpler konstruktiver Akt, das Falten, beschreibt die Arbeitsweise, die sein gesamtes Schaffen prägte. In seiner Reihe der 3 Phasen (1980) schuf er Formen, indem er ein Blatt Papier mehrmals knickte und die so entstandenen Flächen mit Farbe bestrich. Glöckner untersuchte aus Flächen gestaltete dreidimensionale Gebilde nicht allein auf Papier und Leinwand, sondern ebenfalls anhand von Plastiken, wie das Werk Ein Paar symmetrischer Körper aus gefalteten Elementen (1968) veranschaulicht.

Die von den ersten beiden Kapiteln der Ausstellung vorbereiteten konstruktivistischen Ansätze finden ihre Fortsetzung in den linearen Konstruktionen des deutschen Bildhauers Norbert Kricke (1922–1984) und des amerikanischen Künstlers Fred Sandback (1943–2003). In seinen Zeichnungen erkundete Kricke die freie Bewegung der Linie im Raum. Die für das Medium der Zeichnung charakteristische Erscheinungsform der Linie überführte er auch in seine aus Stahldraht gebogenen Plastiken. Fred Sandback gelangte auf der Suche nach einem skulpturalen Körper ohne feste Masse, ohne Inneres, ebenfalls zur Linie. In seiner ersten Plastik zog er 1967 mit Stahldraht und Gummischnüren die Umrisse eines plastischen Körpers nach und reduzierte diesen auf seine grafische Substanz. Noch im selben Jahr weitete er seine Skulpturen auf Wände und Decken aus, wo er mit Schnüren verschiedenste Varianten von U-Formen, Diagonalen, Rechtecken, Dreiecken, Trapezoiden und Polygonen spannte. Das serielle Prinzip und die Vielfalt an Modulen führt uns der Künstler in der Mappe Twenty-two Constructions from 1967 (1986) vor Augen.

Die klare Formensprache geometrischer Figuren sowie das serielle Prinzip der Minimal Art findet im nächsten Kapitel seine Fortsetzung. Hier werden Druckgrafiken von Sol LeWitt (1928–2007) und James Turrell (*1943) präsentiert, die vor allem durch den Einsatz von Farben und Helligkeitsabstufungen die Wirkung dreidimensionaler Körper hervorrufen. Seine Experimente mit Raster- und Raumstrukturen führte LeWitt unter anderem in nahezu 300 druckgrafischen Projekten durch. Seit 1982 widmete sich der Künstler vorrangig Darstellungen dreidimensionaler Formen, wovon auch die fünf Linolschnitte der Serie Distorted Cubes (A–E) aus dem Jahr 2001 zeugen. Die dreidimensionale Wirkung der hier dargestellten verzerrten Würfel wird allein durch die Wirkkraft der Farbe erreicht. Ausschließlich mit projiziertem Licht untersucht der amerikanische Künstler James Turrell seit Mitte der 1960er-Jahre die illusionistische Dreidimensionalität geometrischer Körper. Die Aquatinta-Serie Still Light (1990–1991) geht auf Turrells Projection Pieces aus den Jahren 1966 bis 1967 zurück, bei denen Licht in Form von geometrischen Körpern auf Ecken abgedunkelter Räume geworfen wurde. Je nach Betrachterstandpunkt wurde der Eindruck eines grell leuchtenden Objekts, mal auf dem Boden aufsetzend, mal schwebend, erzeugt. Die vier ausgestellten Druckgrafiken greifen jeweils eine abstrakte Form der Projection Pieces auf: Dreieck, Würfel, Trapez und Balken.

An die raumkonstituierende Wirkung von Licht und Farbe knüpft das fünfte Kapitel der Ausstellung an. Wie einst Moholy-Nagy, so begann auch Blinky Palermo (1943–1977) die räumliche Wirkung transparenter, geschichteter Farb-Formen zu untersuchen. Während Palermos Drucke auf feinen, durchlässigen Farbschichten beruhen, sind die abstrakten Formen der Siebdruck-Reihe Rot Gelb Blau seines Freundes Imi Knoebel (*1940) in dicken, opaken Farbschichten gedruckt. Die glatten Farbflächen stehen auf dem Papier und bringen ein Relief aus übereinander gelagerten, konkaven und konvexen Formen hervor, das die dreidimensionalen Schichtungen der Wandarbeiten Knoebels auf die Fläche überträgt.

Die plastischen Qualitäten von Radierungen gelangen in den Prägedrucken des italienischen Bildhauers Giò Pomodoro (1930–2002) und des in Argentinien geborenen Künstlers Lucio Fontana (1899–1968) vollends zum Ausdruck. Hohe Wölbungen und tiefe Furchen durchziehen die Druckgrafiken Pomodoros, die an Gebirge und Gesteinsformationen erinnern. Dicke Farbkrusten kennzeichnen die Reliefs der Radierungen Lucio Fontanas aus dem Jahr 1964. Die Papierarbeiten der beiden Künstler weichen die scharfe Trennung von Skulptur und Grafik auf, indem sie mit Volumen, Höhen und Tiefen spielen. Kombiniert werden die Prägedrucke mit Werken des in Rüsselsheim geborenen Künstlers Michael Riedel (*1972), dessen raumbezogene Arbeiten nahezu sämtliche Medien umfassen, darunter Zeichnungen auf Transparentpapier, Wandbehänge aus Stoff und ganze Räume vereinnahmende Schriftbilder.

Den Höhepunkt der Ausstellung bildet das letzte Kapitel, das dem spanischen Bildhauer Eduardo Chillida (1924–2002) und seinem künstlerischen wie philosophischen Austausch mit Martin Heidegger (1889–1976) gewidmet ist. Besondere Berühmtheit erlangte das Buch Die Kunst und der Raum (1969), in dem Chillida einen Text von Martin Heidegger mit Collagen versah. Diese Collagen versinnbildlichen Chillidas in der zweiten und dritten Dimension formuliertes Raumkonzept: Raumüberschreitungen und -verschränkungen, Relationen zwischen Volumen und Formen, Zerstückelung und Dynamik, die Leere als raumbildendes Material. Das Buch wird von einer Schallplatte begleitet, die den eingesprochenen Text Martin Heideggers wiedergibt. In der Ausstellung wird diese Aufnahme für die Besucher in einer Hörstation präsentiert.

IN DIE DRITTE DIMENSION. RAUMKONZEPTE AUF PAPIER VOM BAUHAUS BIS ZUR GEGENWART

Kuratorin: Jenny Graser (Städel Museum)
Ausstellungsdauer: 15. Februar 2017 bis 14. Mai 2017