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In Hannes Böcks dreiteiligem Film "Kindheit - childhood", der teils aus vorgefundenem, teils eigenem Material entstanden ist, blickt ein Ich-Erzähler auf Szenen auf Szenen seiner Kindheit zurück, anhand derer er die Geschichte seiner Familie analysiert. Die anfänglich scheinbar konstruktive Bindung von Text und Bild wird im Laufe des Filmes lose assoziativ und bruchstückhaft, es treten Leerstellen und Widersprüchlichkeiten in der Kohärenz des Erzählflusses auf, die Erinnerung und Identität als Konstruktionen spürbar werden lassen. Die Aneignung von fremdem Bildmaterial und der Ausweg in eine Fremdsprache zur Vermittlung der subjektiven Geschichte zeigen, dass die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität über einen Prozess der Distanzierung führt, der nicht ohne Verfremdungen und Verletzungen geschieht.

Stef Burghards stetig anwachsender Pfeiler aus aktuellen Flyern, Foldern und Einladungskarten der Wiener Kunstszene, die er während der Dauer der Ausstellung regelmäßig dem Fluss der Ankündigungspraxis entzieht, macht die Ambivalenz der Kunstausübung zwischen öffentlicher Praxis und institutionalisiertem Habitus deutlich. Die gebündelte Masse der Einladungskarten wird, ihrer Funktion als Ankündigungsobjekte entzogen, in ihrer Objekthaftigkeit sichtbar, im Gegenzug verweisen die leeren Flyerauslagen auf die Unterbrechung des Ankündigungskreislaufs.

Julien Diehns Fotografien sind Teil einer Serie, die während eines Aufenthalts in Kanada und den USA entstanden sind. Zentrales Motiv sind amerikanische Wagen aus den 70er Jahren, die zugleich als Statussymbole als auch als Mittel zur Identitätsbildung dienen. Die Aufnahmen sind in dem Moment entstanden, in dem sich ein Mann daran macht, die Autotür zu öffnen, und damit zugleich auch seinen Besitzanspruch manifestiert. Durch diese szenische Einbindung erinnern die Fotografien an filmstills und machen dadurch auch die starke Symbolhaftigkeit der Autos deutlicher sichtbar, die eine Vielfalt an Referenzen aus der Populärkultur eröffnen.

Der "Trickster" unter den AusstellungsteilnehmerInnen heißt Leopold Kessler. Einfache Gebrauchsgegenstände bekommen durch kleine technische Eingriffe ein Eigenleben oder werden in andere Funktionen überführt. Betritt ein/e BesucherIn den Galerieraum, so springt ein paar Meter weiter ein Kühlschrank auf und ergießt seinen Inhalt auf den Boden. Versucht man einen unbequem im Weg stehenden Stuhl aus dem Wege zu rücken, so schlägt dieser unvermittelt aus. Ein Fernseher schaltet sich erst durch einen kräftigen Schlag auf seine Oberseite ein. Und auch das Leuchtschild über dem Eingang der Galerie wird interaktiv, es kann durch die BesucherInnen wie eine Lampe ein- und ausgeschaltet werden.

Die Textarbeiten und an "ready-mades" erinnernden Pappschachteln von Christian Kobald arbeiten mit zahlreichen Referenzen auf Pop-Art und Minimalismus. Die stark vergrößerten Verpackungs-kartons, in denen sich fastfood-Schachteln als gleichwertige Formobjekte neben dem Entwurf einer Kaviarverpackung von Arne Jacobsen behaupten können, erlangen in ihrer strengen ästhetischen Reduktion eine ähnliche Polykontextualität wie die Standardwerken der Kunstkritik - in diesem Fall einen Aufsatz von Clement Greenberg - entnommen Textarbeiten, die in ihrer Präsentation ebenso monumentalisiert, wie auch in ihrer referentiellen Abhängigkeit sichtbar werden.

Die Fotografien von Doris Krüger erscheinen wie verlockende Gartenlandschaften, die jedoch in einem kleinen Ausschnitt zu viele Grüntöne und eine zu große Variation unterschiedlicher Pflanzen kombinieren. In diesen computergenerierten Collagen aus schnittlos zusammengesetzten Einzelbildern, die die Künstlerin einem botanischen Archiv entnommen hat, wird eine fiktionale fantastische Mikrowelt konstruiert.

Die zarten Bleistiftzeichnungen Tatiana Lecomtes zwingen den/die BetrachterIn direkt vor die Motive, die auf den ersten Blick wie Illustrationen aus einem Kinderbuch erscheinen. Dieser Eindruck kippt jedoch bald: Die dargestellten Szenen bleiben verstörend unklar zwischen harmloser Unverfänglichkeit und der Andeutung von Missbrauch und Gewalt und machen damit die Ambivalenz des Machtverhältnisses zwischen Kindern und Erwachsenen deutlich. Eine ähnlich beunruhigende Vorahnung rufen zwei Fotografien eines Waldweges hervor, die den Tatort eines Kindesmissbrauchs darstellen.

Lone Haugaard Madsen visualisiert in ihren Arbeiten die Funktion von Mobiliar als Raumobjekten. Diese Fragestellung wird, in ihrer Präsentation im Galerieraum, um die Dimension der Geschichte des "white cube" als formalistischem Konstrukt erweitert. Die ausgestellte Bank wird, in der Beschränkung auf ihre minimalistischen Grundbestandteile "Kubus - Sitzfläche" auf die wesentlichen funktionalen Elemente reduziert und das Gebrauchstück zugleich zu einem Formobjekt abstrahiert.

Yves Mettlers Arbeit "Allaman/CH - bauliche Landschaft einer misslungenen Spekulation" macht auf die unkontrollierbaren Auswirkungen von Urbanisierung aufmerksam. Die beiden auf mobilen Baustellenständern angebrachten Fotografien vergessener, untätig ruhender Baustellen verweisen auf Momente der Bauspekulation ebenso wie auf die Darstellung von Landschaft als spekulativem Sinnobjekt.

Matthias Meyers kurzes loop eines Balkons im Münchener Olympiadorf arbeitet mit der suggestiven Kraft eines kollektiven Erinnerungsbildes: Die Aufnahme eines Palästinensers, der während des Attentats auf die israelische Sportmannschaft bei der Olympiade 1972 auf dem Balkon gefilmt wurde, ist als Pressefoto und TV-Bild bekannt, hier sind jedoch die entscheidenen, klärendenen Elemente - die Figur des Terroristen - herausretuschiert. Die zurückbleibende kurze Bewegung der Kamera in der Aufnahme verweist auf die fehlende szenische Einbindung, auf das Vakuum im Handlungs-zusammenhang, es bleibt ein stoischer Blick auf einen Ort, an dem sich nichts ereignet, der damit auf die nüchterne Studie eines Elements des architektonischen Modernismus reduziert wird.

Misha Strojs Arbeiten entspringen dem Fundus eines Denksystems, das sich einer wissenschaftlichen Aneignung ebenso widersetzt wie verdankt. Die Installation "Schrödingers Küche", gemeinsam mit "dem vielleicht letzten Foto, das Schrödinger zeigt" ausgestellt, ist in Verbindung mit Strojs Künstlerbuch "MoMA" (The Museum of the Mechanical Age") entstanden, indem 119 zugleich abstrakt-gedankliche und konkret erfahrbare Probleme visualisiert und verbalisiert sind. "Schrödingers Küche", als Realisation von Problem 59 - dem "Problem der Sedimentation und des Ausdünnens." - verweist in seiner spekulativen Inszenierung auf die Unmöglichkeit der Darstellung und der Nachvollziehbarkeit wissenschaftlicher Konstrukte.

In den Fotografien Viktoria Tremmels ist die Auseinandersetzung mit Urbanität und Öffentlichkeit zentral. Die Aufnahmen Berliner "non-sites" sind von einem Blick auf das ästhetische und funktionale Vakuum urbaner Räume bestimmt, denen noch nicht im Zuge des Umbruchs der urbanen Neugestaltung eine neue Identität zugewiesen wurde. Daran anschließend, verweist eine Reihe von Aufnahmen öffentlicher Orte, die Tremmel wie abgeschiedene Museumsobjekte hinter Glas fotografiert hat, auf das Spannungsfeld privat-öffentlich, wie auch auf die inszenierte Präsentation öffentlicher Orte, die wie in einer Auslage der urbanen Selbstbestimmung gezeigt werden. Eine ähnliche Auseinandersetzung mit Fragen von Öffentlichkeit und Privatheit, Innen und Außen zeigt ihr Video, in dem Aufnahmen eines Zimmers mit denen eines Tauchers in einem Schwimmbecken im blue-box Verfahren übereinander montiert sind. Wie in einer Traumsequenz bewegt sich der Schwimmer durch ein in schimmerndes Wasser getauchtes Zimmer.

Alexander Wolff hat mit einem gezielt einfachen Eingriff den hinteren Raum der Galerie, den "viewing room" verändert. Seine "Täfelung" einer Wandseite mit einem Parkettboden bewirkt eine räumliche Desorientierung und Entfunktionalisierung, die den Raum als bloßes Formobjekt sichtbar werden lassen. Zugleich versteht sich der Eingriff auch als Kommentar zur klaren Formensprache der Galerie, die hier ironisch hinterfragt wird. Im gleichen Raum ist auch eine malerische Arbeit des Künstlers ausgestellt, die eine ebenso nüchterne und unspektakuläre Auseinandersetzung mit malereitheoretischen Fragestellungen zeigt.

Eröffnung: 4.7.2002, 19.00

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künstler:
Stef Burghard (BURGHARD), Hannes Böck, Julien Diehn, Lone Haugaard Madsen, Leopold Kessler, Christian Kobald, Doris Krüger, Tatiana Lecomte, Yves Mettler, Matthias Meyer, Misha Stroj, Viktoria Tremmel, Alexander Wolff