press release only in german

KUB
12 | 12 | 2020 – 05 | 04 | 2021

Jakob Lena Knebl & Ashley Hans Scheirl
Seasonal Greetings

»Aufgerüttelt durch apokalyptische Visionen muss sich die Gesellschaft neu erfinden.«
Jakob Lena Knebl & Ashley Hans Scheirl

Spitze Hexenhüte mit großen Schnallen. Eine geduckte Figur in smaragdgrünem Satinkleid lugt verstohlen aus dem Dunkel. Vor ihr eine aufgerichtete Gestalt in roséfarbenem Mieder, mit Strumpfbändern, schwarzen Lackhandschuhen und Federboa. Beide halten kurz getrimmte Hexenbesen, farblich abgestimmt auf Haar und Stiefeletten. Sie kokettieren mit Blicken und knallroten Lippen, klammheimlich und ruchlos schiebt die hintere der vorderen den Besenstiel zwischen die Beine ... Seasonal Greetings der anderen Art. Schrill, bunt und skurril sind ihre Auftritte. Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl, privat und künstlerisch ein Paar, spielen mit exzentrischen Inszenierungen. 2022 werden Knebl/Scheirl den österreichischen Pavillon auf der Biennale in Venedig verantworten. Im Kunsthaus Bregenz konzipiert das Duo zwei Geschosse gemeinsam, je eines bespielen die Künstler*innen als Soloausstellung.

Bedeutende Werke der Kunstgeschichte nachzustellen und diese in den sozialen Medien zu teilen, war während des Lockdowns im Frühjahr 2020 eine beliebte Freizeitbe-schäftigung. Eines der berühmtesten Werke der Romantik, Das Eismeer von Caspar David Friedrich (1823/24), präsentieren Knebl/Scheirl als begehbare Bühne im Erdgeschoss des KUB: eine eisige Szene in kalten Blautönen mit Eisschollen, kristallinen Klüften und einem gekenterten Schiff, in dieser Interpretation ein kippendes Sofa, darüber Eisglaslampen, wie sie in den 1960er Jahren modern waren. Dazu Schnee und Flugblätter aus der repressiven Zeit des Vormärz. Das Gemälde Caspar David Friedrichs war lange Zeit fälschlich als Die gescheiterte Hoffnung betitelt worden. Für Knebl/Scheirl erinnert diese Phase der Geschichte an die gesellschaftlichen und kulturellen Veränderungen während des Lockdowns. »Aufgerüttelt durch eine apokalyptische Realität muss die Gesellschaft neue Utopien erfinden«, erklären die Künstler*innen.

Das zweite Obergeschoss ist ein dunkler Hexensabbat, eine Szene wie aus dem Märchenbuch: ein Hexenhaus, dunkle Tannen und zwei Hexen, die über der schaurig-komischen Szenerie schrullige Kreise ziehen. Die Hexe kennt viele Zuschreibungen – als linkische Gefährtin, böse Drahtzieherin im Märchen, als Opfer der Hexenverfolgungen, als widerständige Figur der weiblichen Selbstermächtigung und als Objekt des NS-Forschungsprojekts einer Hexenkartothek Heinrich Himmlers. Sie ist ein Angelpunkt multipler Identitätsvereinnahmungen.

Konkret (Jakob Lena Knebl) im ersten Geschoss
Riesenhafte Strumpfblumen sind zu sehen, ein überdimensionaler Setzkasten, Lampen und Tapeten, die brutalistische Architektur zeigen.
In Bregenz setzt Jakob Lena Knebl ihre »Begehrensräume« fort. Knebl durchsucht Sammlungen, verändert und kombiniert historische Design- und Ausstellungsstücke und lässt sie mit eigenen Arbeiten in einen Dialog treten. Dinge und Figuren werden, mit Accessoires versehen, neu zusammengestellt und arrangiert. Es entstehen »thematische Cluster«, in denen Objekte wie Puppen aktiviert, durch bizarre Selbstporträts humorvoll vereinnahmt und durch Kostümierung belebt werden. Unterschiedliche Stile und Genres werden dabei zu »co-agents« unserer Identitäten. Neue Bedeutungen tun sich auf. Häufig ist in die Ikonografie humorvoll ein Fetisch eingewoben oder die Anspielung auf libidinösen Appetit.

Das Labor (Ashley Hans Scheirl) im dritten Geschoss
»Wenn einer auch noch das letzte der steilen, beengenden Stiegenhäuser erklommen hat, verstellt erst einmal ein überlanger Duschvorhang den Blick. Geht es in einen Operationssaal? Wer wird hier operiert? Es sind übergroße Zeichnungen, exzessive Strichobjekte, die, in Formen geschnitten, auf Metallbeinen posieren und zu Co-Akteurinnen im Raum werden«, so Ashley Hans Scheirl. Zerpflückte Körper und Münder tauchen auf, lange Beine, Reproduktionsorgane, Cyborgfantasien und sich blähende Genitalien. Scheirl wurde als Filmemacherin und Performerin bekannt. Selbstbild und bewegte Bilder bleiben im »Labor« des KUB noch spürbar. Die Malerei, die in den letzten Jahren in Scheirls Schaffen vorherrschend war, findet sich nur mehr angedeutet. Die »Körper- + Selbstteile fügen sich nicht zu einem klar umrissenen kontinuierlichen Ganzen«, erläutert Scheirl, »Sie bleiben beweglich, um mit anderen Körper- + Selbstteilen kommunizieren zu können.« Es geht um sexuellen Andrang und gesellschaftliche Verdrängung, um erotische Visionen im polysexuellen Kontinuum, um ein stets veränderliches Geschlecht, ein »bio-tecno interface« und nicht zuletzt um entfesselte, faszinierende Energie: »transmedium, transgenre, transgender«.
Thomas D. Trummer