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26. Februar – 15. Mai 2022
Eröffnung: 25. Februar 2022, 18 – 21 Uhr

Jean-Frédéric Schnyder

Die Kunst von Jean-Frédéric Schnyder entsteht aus den Dingen, die ihn umgeben. Er muss nicht lange suchen, alles ist schon da. Er entdeckt, beobachtet, schaut zu. In die Beschäftigung mit der Sache fliesst die entscheidende Frage, welche Form angemessen, welches Werkzeug am besten geeignet ist. Schnyder mag es klar und geordnet. Die Dinge selbst lässt er hingegen auf sich zukommen, folgt ihrem Gang statt einer übergeordneten Vision. Obwohl er kaum etwas verschwendet, geht er nicht haushaltend auf ein Ziel zu. Er wirft nichts nach vorne. Mein Projekt ist, keine Projekte zu machen hiess schon 1969 sein Beitrag für die Ausstellung Pläne und Projekte als Kunst in der Kunsthalle Bern.

Schnyders Zugang zur Welt ist offen. Er widmet sich dem Alltäglichen, jenen Dingen, die man trivial nennen mag, die dadurch aber auch zugänglich sind: Er malt die bedruckte Papiertüte aus der Gemüseabteilung, Luigi Moretti von der Bierflaschen-Etikette, den Niesen-Berg mit Nebelwesen, aber auch eine Kreuztragung Christi, macht Bilder aus Pinsellappen, er schnitzt aus Haselholz aus dem Garten die Stäbe für einen Käfig, schnitzt Kreuze, schnitzt einen Knüppel aus dem Weihnachtsbaum, lässt Bildobjekte aus dem Schnitzabfall entstehen, stapelt eine Stadtminiatur aus Holzklötzchen, malt Bilder nach anderen Künstler:innen, malt Gedichte.

Er wertet die Dinge nicht, denen er einen Auftritt schenkt, alles ist gleich gültig. Da ist eine solche Selbstverständlichkeit in diesem Umgang, dass die Bezeichnung Kunst fast schon in den Hintergrund rücken könnte, auch wenn es sich um solche handelt: Es ist auch einfach das, was er täglich tut.

Als Schnyder in den 1970er Jahren beschloss zu malen, konnte er weder mit Bleistift noch Pinsel umgehen. Deshalb war ihm einige Jahre zuvor die Konzeptkunst gerade richtig erschienen, da musste man erstmal wenig können, im Sinne einer Kunstfertigkeit. Dass er Künstler geworden ist, hatte mit einem Vedutenmaler, den er in der Stadt immer wieder beobachtete, zu tun, aber den eigentlichen Anstoß gaben Künstler wie Marcel Duchamp oder Walter de Maria, die die Regeln, was Kunst sein und wie man Kunst machen konnte, neu ausgelegt hatten. Die Richtung der Konzeptkunst, die Schnyder in den 1960er Jahren, eine Weile auf der Welle reitend, einschlug, war jedoch nicht sein Weg. Die «visualisierten Denkprozesse» waren ihm, jedenfalls, was ihn selbst betraf, zu «autistisch» und er suchte nach etwas, das ihm näher war, mehr mit dem unmittelbaren Leben zu tun hatte und dies auch direkter zum Ausdruck brachte.

So entschied er zu einer Zeit, als es in der Kunst als das Letzte galt zu malen, sich der Malerei zu widmen. Da er das Handwerk nicht beherrschte, musste er sich dieses erstmal aneignen. Diesen Wendepunkt verkörpert das Stillleben (1970). Schnyder wollte so lange daran malen, bis es wie ein alter Meister aussah. Gemalt nach einem realen Arrangement und mithilfe einer Vorzeichnung der Künstlerin Margret Rufener, wirkt das Motiv, der Lage geschuldet, unbeholfen, aber gerade dadurch auch magisch. Das Stillleben wird zur Verbindung zwischen vorher und nachher, zwischen Objekten und Bildern, zwischen Schnyders konzeptuellen und postkonzeptuellen Ansätzen.

Neben dem Malen schuf er nach wie vor Objekte, deren zugrunde liegende Handfertigkeit und Materialien dem Bastelbereich zugeordnet werden. Schnitzen, Salzteig, Keramik, Löten, Zinnguss. Schnyder begab sich mit diesen Bewegungen bewusst auf Nebenspuren des Zeitgeistes. Gerade indem er konsequent seine eigenen Wege ging, hat er eine zeitlose Kunst ohnegleichen entwickelt. Auch wenn Schnyder die Konzeptkunst hinter sich gelassen hat, weht ein konzeptueller Geist durch seine Werke, nicht zuletzt, da sie dem Prinzip der Serialität folgen. Es ist kein Widerspruch, dass Schnyder in seiner «Liebe zum Mittelmass» Arbeiten schafft, die zugänglich, auch mal anrührend sind, aber zugleich immer das distanzierte Bewusstsein in sich tragen, wie sich ihr So-sein in den Kontext der Kunstgeschichte einschreibt. Es sind auch Bilder über Bilder und übers Machen. Der Akt dazwischen legt ein funkelndes Wissen frei. Was daraus hervorgeht, ist aber keine Erklärung, sondern ein fast heiliger Zauber.

Die Beziehung zwischen der Kunsthalle Bern und Jean-Frédéric Schnyder begann schon in den 1960er Jahren. Der in Basel geborene und in Bern aufgewachsene Künstler assistierte 1967 in der Kunsthalle, um ab 1968 seine Arbeiten in den Ausstellungen 12 Environments (1968), When Attitudes Become Form (1969) und 22 junge Schweizer (1969) zu zeigen. Diese Verbindung ein halbes Jahrhundert später wieder aufzugreifen, schließt einen Kreis.

Valérie Knoll, die mit dieser Ausstellung ihre Leitung der Kunsthalle Bern abschließt, knüpft damit wiederum an das Programm der letzten sieben Jahre an, in dem die Möglichkeiten der zeitgenössischen Malerei verhandelt wurden. Gefragt wird hier nochmals nach der Zukunft der Malerei, jenem Tun, das es noch geben wird, selbst wenn die Menschen sich eines Tages von der Kunst verabschieden sollten. Schnyder lässt sich aber nicht auf die Malerei beschränken. Sein Schaffen umfasst auch Skulpturen und Installationen. Deshalb gehört ihnen in dieser Ausstellung viel von der Bühne. Es werden neue, kaum oder nie gezeigte Arbeiten von 1970 bis heute versammelt, auch solche, die nicht unbedingt als Kunstwerke geplant waren, sondern deren Entstehung sich aus der täglichen Beschäftigung ergab.

Das Werk von Jean-Frédéric Schnyder wird in zwei Ausstellungen gleichzeitig geehrt: in der Kunsthalle Bern und im Kunstmuseum Bern (4. Februar – 29. Mai 2022). Dort, kuratiert von Kathleen Bühler, wird eine Auswahl der Werke aus den eigenen Sammlungsbeständen mit Schwerpunkt auf die 1960er, 1970er und 1980er Jahre gezeigt. Sie gingen, mit wenigen Ausnahmen, aus Schenkungen des Galeristen Toni Gerber in die Sammlung ein.

Die Kunsthalle Bern dankt der Galerie Eva Presenhuber Zürich/New York, Margret Rufener und dem Kunstmuseum Basel.