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Wir freuen uns, von 6. Oktober bis 9. Dezember 2006 die erste Einzelausstellung der schwedischen Künstlerin Johanna Billing im deutschsprachigen Raum präsentieren zu können.

Johanna Billings Arbeiten können als Versuche verstanden werden, allgemeine gesellschaftliche Veränderungsprozesse spürbar zu machen und diese an die konkreten Erfahrungen des Subjekts selbst zurück zu binden. Nicht selten evozieren ihre Arbeiten ein Gefühl der Melancholie und des Verlustes, was durch den intelligenten Einsatz irritierender narrativer Brüche radikalisiert wird. Der Prozess permanenter gesellschaftlicher Veränderungen und deren Auswirkungen auf den Einzelnen bilden das Zentrum ihres künstlerischen Interesses, ohne dabei die suggestive Kraft ihrer Filmprojekte zugunsten rein dokumentarischer Ansätze zu vernachlässigen. Die sich zumeist einer stringenten Erzählstruktur verweigernden Filme vermitteln reduzierte Handlungen und Situationen, wobei die Protagonisten ihrer Arbeiten als konzentrierte, stumme Zeugen in einem beschränkten Aktionsrahmen agieren. Die Arbeiten sind in einem Spannungsfeld zu lokalisiert, das aus dem Scheitern narrativer Stringenz heraus den Raum für komplexe Fragestellungen eröffnet, die um die Identität des Einzelnen, die gesellschaftlichen Machtstrukturen unserer aktuellen Lebensbezüge und um die herausfordernden sozialen und individuellen Verschiebungen unserer Lebenswelt kreisen. Eine hohe Komplexität erreichen die Videos Johanna Billings durch die oft eingesetzte Rückkopplung an Filme und populäre Musik der letzten Jahrzehnte, die hierbei rekontextualisiert werden, um darüber die ursprüngliche Bedeutung der Songs und Filme an die Inhalte ihrer Arbeiten anzuschließen und darüber hinaus die suggestive Kraft der Musik als inhaltliches Vermittlungsmoment fruchtbar zu machen. Dadurch entsteht ein dichtes Netz kultureller, sozialer und historischer Bezüge, das auf kaum sichtbare Bruchstellen aktueller gesellschaftlicher Prozesse verweist.

Johanna Billing wurde 1973 in Jöngköping, Schweden, geboren und lebt und arbeitet in Stockholm, Schweden. Ihre Arbeiten waren in den letzten Jahren in einer Reihe internationaler Gruppenausstellungen zu sehen, etwa auf der 52. Istanbul Biennial, Moscow Biennial, am Witte de With Zentrum für Zeitgenössische Kunst in Rotterdam, P.S.1 in New York City, Knoxville Museum of Art, USA, der Singapore Biennial 2006 und bei Momentum - Nordic Art Festival 2006 in Moss, Norwegen.

Magical World, 2005 Die dokumentarisch anmutende Arbeit wurde 2005 in Zagreb realisiert. Eine Gruppe von Kindern übt in einem Jugendzentrum das 1968 entstandene Stück ‚Magical World’ der Gruppe Rotary Connection ein. Rotary Connection, die als eine der ersten Musikgruppen der USA aus farbigen und weißen Musikern bestand und in den durch gesellschaftliche Umbrüche geprägten 60er Jahren produzierte, spiegelt in ihren Songs dieser Zeit den Wunsch nach Veränderung, ohne explizit politisch zu sein. Die Kinder in Billings Video, die alle nach dem Ende der Jugoslawienkriege der frühen 90er Jahre geboren wurden, finden sich in einer gesellschaftlichen Situation wieder, die von den schwierigen ökonomischen und mentalen Anpassungsprozessen Kroatiens an die Lebensbedingungen der EU geprägt ist. Der Film verbindet die historische Verortung des Songs mit der von Umbrüchen gezeichneten Lebenswirklichkeit einer noch sehr jungen Generation in Kroatien, was durch die immer wieder sichtbar werdenden Ausblicke auf die urbane Situation der Stadt und der unmittelbaren Umgebung des Jugendzentrums offensichtlich wird. Die Kinder erscheinen im Umgang mit dem Lied, das sie in einer ihnen fremden Sprache einüben, in einem vielschichtigen Zustand des In-between, der sich sozial, politisch und auch biographisch illustriert. Die Textzeilen des Liedes erscheinen in diesem Kontext ebenso auf verschiedenen Bedeutungsebenen angesiedelt. ‚Why do you want to wake me from such a beautiful dream? ... Can’t you see that I am sleeping? ... We live in a Magical World’

You Don’t Love Me Yet, 2002-2005 Dokumentation (Erdgeschoss) und Film (2. UG) Das fortlaufende Projekt ‚You Don’t Love me Yet’, dass Johanna Billing mit Musikern und Künstlern an mittlerweile über 15 Orten performativ in Szene gesetzt hat, beruht auf dem Einspielen einer immer wieder neu und verändert klingenden Version des gleichnamigen Songs von Roky Erickson von 1984. Eine Cover Version verweist in gewisser Weise immer auf den Respekt, den man einem Musikstück gegenüber ausdrückt und der eigenen Interpretation des Stückes. Hier wird der Song wiederum an eine gesellschaftliche Fragestellung angeschlossen. Die Originalität und Einzigartigkeit einer künstlerischen Handlung, die heute für viele Künstler von großer Bedeutung ist, wird hierbei zugunsten eines kooperativen Projektes umgangen. Die Suche und das Verlangen nach Einzigartigkeit und der damit verbundenen Wertigkeit der eigenen Arbeit illustrieren in gewisser Weise den Prozess der Marktetablierung junger Künstler heute. Darüber hinaus erscheint das Projekt mit seiner Mantra-artigen Wiederholung des Refrains, gesungen von einer Vielzahl junger Menschen, als Verweis auf die vielen Singles in westlichen Großstädten und der dabei hervortretenden Vereinsamung des Einzelnen in der Masse.

Unterschiedliche Versionen des Songs, aufgenommen an verschiedenen Stationen in Europa und Nordamerika, liegen für die Besucher als DVDs im Erdgeschoß zur Ansicht bereit.

Where She Is At, 2001 Die bereits 2001 realisierte Arbeit nimmt ein urban vernachlässigtes Freibad und Erholungsgebiet nahe Oslo in Norwegen zum Ausgangspunkt einer Befragung, die über die dokumentarische Vermittlung hinaus führt. Das Bad, als Projekt zur Erholung der Bevölkerung Oslos in den 30er Jahren errichtet, steht vor dem Abbruch, da der Staat den Unterhalt nicht mehr finanzieren möchte oder kann. Die narrativ herausfordernde Struktur des Films, der durch den Loop weiter verstärkt wird, konzentriert sich auf die Beobachtung einer jungen Frau auf einem Sprungturm des Bades und der Darstellung der zögerlichen und reduzierten Reaktionen der weiteren Besucher. Die Frau auf dem Turm zögert zu springen und zieht mit der Verweigerung dessen, was man in dieser Situation von ihr erwartet, die Aufmerksamkeit der Besucher auf sich. Diese Spannung erscheint als Parabel auf gesellschaftliche Zwänge, in denen der Einzelne im Rahmen von Disziplinierung und Normalisierung heute steht, ohne diese Thematik explizit zu machen. In eindringlicher Weise illustriert das verhalten der Frau auf dem Sprungturm in Billings Arbeit das Spannungsfeld zwischen individuellem Willen und den Machtstrukturen, die als gesellschaftlich normierte Erwartungen an den Einzelnen herangetragen werden.

Project for a Revolution, 2000 Auch in ‚Project for a Revolution’ nutzt Billing das Prinzip einer Cover-Version, diesmal als Remake einer Szene aus Antonionis Film ‚Zabriskie Point’, einem der zentralen kulturellen Bezugspunkte der 68er Bewegung. Im Gegensatz zu der lebhaften Diskussion der Studenten in Antonionis Film, scheint hier nur noch Stille und eine abwartende Haltung vorzuherrschen. Nur eine Person, ein junger Mann, durchbricht diese Stille, indem er, vielleicht, Flugblätter druck, die jedoch schneeweiß und unbedruckt von einem Fotokopierer ausgeworfen werden. Mit den Papieren in der Hand betritt er den Raum, ohne eine Reaktion hervorzurufen. Wohl dadurch abgeschreckt verlässt er den Raum, das Gebäude, ohne das es zu einer Aktion gekommen wäre. Die reduzierte Handlung des Films und der Loop, der die kurze Sequenz in immer neuen Wiederholungen anlaufen lässt, evoziert eine merkwürdig bedrückende Spannung. Sind Revolutionen in der heute junge Generation nicht mehr möglich? Unter welchen Bedingungen sind radikale gesellschaftliche Veränderungen in früheren Jahrzehnten möglich gewesen? Billing scheint vordergründig keine Antwort auf diese Fragen geben zu wollen, das Selbstbewusstsein und die innere Ruhe der Anwesenden jungen Menschen verweist allerdings eher auf eine durch die Vergangenheit geschulte Skepsis gegenüber ideologischen und auf eine generelle Erneuerung aller Lebensbezüge abzielenden Utopie. Die Personen sind bei sich, ohne dass damit die Möglichkeit zu Veränderungen ausgeschlossen werden kann, allerdings auch ohne den für eine jüngere Generation fragwürdigen gruppendynamischen Impetus dessen, was man aus den 1960er Jahren als revolutionäre Bewegung, oft gebunden an ideologische Dogmen und Moralismen, kannte.

Magic & Loss, 2005 Die 2005 in Amsterdam entstandene Arbeit zeigt in narrativ reduzierter, dokumentarisch sehr präziser Art und Weise, wie eine Gruppe junger Menschen ein Apartment leer räumen. Die detailgenaue Studie des Ausräumens steht mit dem Fehlen weiterer Informationen des Hintergrundes der Handlung in einem Spannungsverhältnis und erscheint als irritierendes, geradezu bedrückendes Moment des Films. Wieso wird dieses Apartment aufgegeben? Wer ist die Person, die es verlässt? Im Laufe der Handlungen wird deutlich, dass die Person, der die Dinge und das Apartment gehören, nicht anwesend zu sein scheint, zu nüchtern, still und ohne emotionale Bindung arbeitet die Gruppe an der Auflösung des Hausstandes. Wiederum wird hier auf filmisch äußerst spannungsvolle Weise die Frage nach der Bindung des Einzelnen an die Gesellschaft gestellt. Was passiert, ganz praktisch, wenn eine Person verschwindet und sein privater Lebensraum aufgelöst wird? Einen Anknüpfungspunkt für die inhaltliche Auseinandersetzung liefert hier wiederum die Musik. Lou Reeds Album mit dem gleichnamigen Titel, das er unter dem Eindruck des Todes einer Reihe von Freunden produzierte, steht Pate für eine umfassende, gesellschaftliche Frage nach der Positionierung des Individuums inmitten einer sich anonymisierenden gesellschaftlichen Dynamik.

Felix Ruhöfer Künstlerischer Leiter / Kurator

Pressetext

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Johanna Billing
Songs, Cities and Circles
kuratiert von Felix Ruhöfer