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Mit Festreden und Symposien wird gegenwärtig gefeiert, dass und wie vor zehn Jahren der Zerfall des Ostblocks begann und die Grenzen niedergelegt wurden. Die Euphorie der Erinnerung spart aus, dass die Grenzen zwischen Ost und West nicht durchlässiger geworden sind; geändert hat sich allenfalls, dass sie heute vor allem auf der westlichen Seite bewacht werden, um illegalisierte Einwanderer abzuhalten. Der Osten ist damit jenseits weltpolitischer Ereignisse zumeist terra incognita geblieben; der Tourismus des Westens berührt nur wenige ausgewählte Orte.

Zu den seltenen Grenzgängern zählt die Künstlerin Johanna Kandl. Künstlerische und kuratorische Projekte und Recherchen haben sie und ihren Mann und Kollegen Helmut Kandl in den vergangenen Jahren unter anderem nach Rumänien, Georgien, Russland und in die Ukraine geführt. Während der Reisen aufgenommene Fotografien dienten der Malerin später als Material für ihre Bilder, wobei ihre Aufmerksamkeit dem Beiläufigen und scheinbar Nebensächlichen gilt, in dem die Ereignisse welt-politischer Relevanz reflektiert und gebrochen werden.

Die entlang der Wände des Hauptraumes gehängten Bilder zeigen vor allem Straßenmärkte. Diesen Szenen hat Johanna Kandl Zitate aus den Wirtschaftsteilen von Tages- und Wochenzeitungen hinzugefügt und schafft dadurch Spannungsverhältnisse, die einerseits die flotten Slogans der Finanzmanager fragwürdig werden lassen und andererseits Verbindungen zwischen den Alltagen der verschiedenen Wirtschaftsräume und sozialen Wirklichkeiten herstellen. Diesen Bildern sind porträthafte Gemälde zur Seite gestellt, die für die Künstlerin angenehm verunsichernde Situationen wiedergeben. Den intimeren Sujets entsprechend werden diese Stücke in frei im Raum stehenden Kojen gezeigt, die den Besuchern eine halbprivate Nähe gestatten.

Im Malen als künstlerischem Handwerk sieht Johanna Kandl einen Prozess der Verlangsamung, eine Intensivierung der Erinnerung durch Verzögerung. Die Übertragung der Fotografien in die Malerei führt dabei zu einer Transformation der Sujets: die schnappschussartigen Bildausschnitte bekommen ein unerwartetes Gewicht nicht zuletzt dadurch, dass sich die Künstlerin einem Fotorealismus gegen über verweigert. Sie spricht dagegen im Zusammenhang mit den in den Bildern inserierten Zeilen von Hyperrealismus, bei dem das Bildliche seine notwendige Ergänzung durch Schrift erfährt. Johanna Kandl gelingt damit eine behutsame Aktualisierung der halb vergessenen Genremalerei. Sie bedient sich dieser Gattung, um sich durch ihre individuelle Sichtweise gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Themenfeldern zu nähern. Dieser sentimentale Zugang ist sowohl Erweiterung und Kontrapunkt der medialen Berichterstattung wie auch Resultat ihres persönlichen Umgangs mit ihren Erlebnissen - eine Dualität, die in der Arbeit von Johanna Kandl oft auftaucht und keine Lösungen anbietet, sondern auf Probleme hinweist und vereinfachenden Slogans komplexe Wirklichkeiten gegenüberstellt.

Die sich daraus ergebende Spannung zwischen dem öffentlichen und dem Privatleben findet ihre Entsprechung in der von der Künstlerin entworfenen Ausstellungsarchitektur, bei der die relativ isolierten Kojen dem großen Raum und den hohen Wandflächen gegenüberstehen. Nachhaltiger interveniert die Künstlerin, indem sie den Hauptraum der Secession als quasi öffentlichen Ort durch eine Wand der Länge nach in zwei gleich große Hälften teilen lässt, die jeweils nur vom Foyer her zugänglich sind - deutlicher Hinweis auf die konzeptuelle Arbeitsweise der Künstlerin, die eine Rezeption ihrer Arbeiten als bloße Gemälde ausschließt, sondern deren Spiel mit den Ähnlichkeiten im Großen und den ihr so wichtigen Unterschieden im Detail fortsetzt.

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Johanna Kandl