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Sounds like Silence

Der Titel „Sounds like Silence“ ist doppeldeutig. Einerseits klingt die Stille selbst; um mit Cage zu sprechen, „there is no such thing as silence“ (so etwas wie Stille gibt es nicht). Andererseits brauchen Klänge ihr Gegenteil, die Stille. Auch wenn es keine absolute Stille gibt, weckt jeder Sound eine Vorstellung von Stille: Es gibt keine Präsenz ohne Absenz, keine Anwesenheit ohne Abwesenheit. Die doppelte Bedeutung des Titels „Sounds like Silence“ berührt die zentralen Fragen, die das Projekt aufwirft: Was hören wir, wenn es nichts zu hören gibt? Wie stark ist unser persönliches Bedürfnis nach Stille? Und wie viel Stille können wir ertragen – angenommen, es gibt überhaupt so etwas wie Stille?

Ausgangspunkt

2012 jähren sich der 100. Geburtstag von John Cage und der 60. Jahrestag der Uraufführung seines „Stillen Stücks“ mit dem Titel 4’ 33’’ (vier Minuten, 33 Sekunden) am 29. August 1952. Die Komposition in drei Sätzen ohne intentionale Sounds ist heute das prominenteste Stück von Cage. Diese „Kunst ohne Werk“ (J. Cage) aktualisiert und transformiert Impulse der Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts wie z. B. der Ready-mades, die laut Duchamp „Werke ohne Kunst“ sein sollten.

Parallelen um 1950

Mit 4’ 33’’ bezieht sich Cage 1952 bekannter Weise auf ein Werk der bildenden Kunst, die "White Paintings" von Robert Rauschenberg aus dem gleichen Jahr. Ebenfalls 1952 inszeniert Guy Debords Film "Geheul für De Sade" die Stille als Provokation im Kino. 1955 unterzieht Heinrich Böll in seiner Erzählung "Dr. Murkes gesammeltes Schweigen" das Radio einer Medienreflexion. Mitte des 20. Jahrhunderts lässt die zunehmende Dichte der Informationsgesellschaft immer weniger Freiraum zur Selbstwahrnehmung. Deshalb wird die Stille / Leere zur Metapher für das Bedürfnis nach einem noch nicht codierten Reflexionsraum. Die Künstler gehen sehr unterschiedliche Wege: Cage wünscht uns „Happy New Ears“ für eine gesteigerte Sensibilität gegenüber den „Sounds als Sounds“. Rauschenberg bietet uns „hypersensitive“ Flächen auf denen das Licht im Raum und die Schatten der Betrachter sichtbar werden. Debord zerstört das Spektakel und zwingt die Betrachter zu einem Ausharren im Dunkel des Kinos (bei der Urauführung waren die Türen verschlossen). Bölls Dr. Murke sammelt und geniesst voller Selbstironie die immer selteneren Momente des Schweigens im Radio.

Was ist 4’ 33’’?

Cages scheinbar so einfaches „stilles Stück“ ist in Wahrheit hochkomplex: Es existieren vier völlig unterschiedliche Partituren - und mehrere Varianten und Folgestücke von Cage zu 4’ 33’’. Im Laufe seines langen kreativen Lebens hat Cage das Stück immer wieder aktualisiert und auch neu kontextualisiert. Ein ähnlich vielfältiges Bild zeigt sich in der umfangreichen Forschungsliteratur zu 4’ 33’’: Es werden Methoden der Musikwissenschaft, der Kunstgeschichte, der Medientheorie, der Philosophie, der Wahrnehmungstheorie, der Theaterwissenschaft und der Gender Studies eingesetzt. Ebenso werden unterschiedlichste Bezüge hergestellt, u. a. zu ostasiatischem Zen, zur Kunst des Minimalismus, zur Performancekunst, zur Debatte um die Liveness von Musik, zur Entwicklung der Pop-Musik und zur Homosexualität von Cage.

Folgen, Varianten und Hommagen

Der größte Teil der Ausstellung besteht aus künstlerischen und musikalischen Arbeiten, die sich implizit oder explizit auf 4’ 33’’ beziehen. Das Spektrum reicht von La Monte Youngs Piano Piece for David Tudor No. 2, 1960, bis zu aktuellen Arbeiten. Darüber hinaus wird das Spektrum um künstlerische Arbeiten erweitert , die sich mit ‚Stille’ in Medien und Wahrnehmung befassen. Die künstlerischen Reaktionen auf 4'33" sind ebenso vielfältig und unterschiedlich wie die wissenschaftlichen Texte. Aus der Stille entfaltet sich ein vielstimmiges Konzert der Varianten und Widersprüche.

Kulturelle Aktualität

4’33’ erfreut sich nach wie vor nicht nur bei KünstlerInnen großer Popularität (dies wird die Ausstellung zeigen), sondern verweist auch auf aktuelle Fragen z.B. der Soundökologie. Im Dezember 2010 gelang es z.B. einer Koalition aus Londoner 40 Musikern unter dem Namen Cage Against the Machine das ‚stille Stück’ von John Cage auf Platz 21 der englischen Hitparade zu platzieren. Am 9. Dezember 2010 wurde das Stück bei Harald Schmidt in der ARD aufgeführt. Künstler waren Helge Schneider und Harald Schmidt (vierhändig am Flügel). Darüber hinaus stellt Cages Erkenntnis, dass es „so etwas wie Stille nicht gibt“, heute eine bedrohliche Alltagserfahrung dar. Fragen der Sound-Ökologie nehmen in der Stadt- und Verkehrsplanung, in der Architektur und im Produktdesign einen immer wichtigen Stellenwert ein. Neben der objektiven akustischen Umwelt hat sich auch die subjektive Umgangsweise mit Sound verändert. Die medientechnisch mögliche Allgegenwart von Öffentlicher und privater Beschallung wird zum Gegenstand von kontroversen Diskussionen.

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John Cage
SOUNDS LIKE SILENCE
Cage – 4'33'' – Stille
1912 – 1952 – 2012
Kuratoren: Inke Arns, Dieter Daniels