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Es sind die Hüllen der Rocheneier, die an die Strände gespült werden und dort in der Sonne zu dunkel ledrigen, vierzipfeligen Rechtecken eintrocknen. Man sammelt sie wie Muscheln oder Steine und nennt sie ‚Mermaid’s Purses’, Seejungfrauenbörsen. – Seit längerem nutzt Julia Schrader – unter anderem – diese organischen Fundsachen für ihre Kleinplastiken. Mittlerweile haben wir es mit einer eigenen Reihe von Objekten zu tun, in welchen diese ‚Mermaid’s Purses’ mit diversen Details aus dem reichen Fundus der Formen- und Fabelwelt der Künstlerin zusammenwachsen. Nebeneinander auf kleine, hautfarben bezogene Tafeln montiert ergeben sie ein fantastisches Naturalienkabinett, in welchem wir Gelegenheit haben, gewissermaßen durch die Lupe neueste Entdeckungen auf dem Gebiet der Mischwesenbiologie zu bestaunen. – Wir sehen: Das Geschuppte, Das Gestachelte, Das Gehörnte, Das Löchrige, Das Äugige, Das Zungige, Das Muschlige, Das Ungliedrige und das Gliedmaßige, Das Hautige, Das Pelzige, Tentakel, Scheren, Fühler, Panzer, alles aus- und ineinander. Wie die Natur es eben will.

In ‚Mermaid’s Purse’ werfen wir einen besonders nahen, geradezu naturforscherischen Blick auf verschiedene Beschaffenheiten einer Kunstfauna. Die hatte sich, vor allem in kleineren Arbeiten, bisher eher von einer erzählenden, fantastischen Seite her gezeigt. Wir denken da an die plastischen Landschaften aus Porzellan, Silikon und Spielzeugfragmenten, in welchen Schradersche Geschöpfe in verwirrender Vielfalt auftreten. Auch eine stetig wachsende Gruppe von Farbstiftzeichnungen erzählt in aller Ausführlichkeit von mannigfaltigen Mutationen. Von denen mit der Drachenhand, denen mit Echsennabelschnur, von den Menschenkopfechsen, denen mit dem Unterleib des Oktopus, denen ohne Unterleib, von den Acht- und Sechzehnhäuptigen, von denen mit Kindergesicht, die erst ihre Brut verschlingen und dann sich selbst . . .

Auffallend ist, dass Zeichnung im Werk von Julia Schrader erst auftaucht, nachdem sie diese Figuren im Wesentlichen plastisch entwickelt hat. Es ist also nicht etwas zuerst zeichnerisch erfunden und dann plastisch umgesetzt worden, sondern umgekehrt, zuerst plastisch, und zwar vom Material ausgehend, entstanden und dann – sozusagen nach der Natur – gezeichnet und zur Fiktion ausgestaltet. Einige der Blätter studieren einzelne Figuren oder erfinden ganze Szenen voller Anmut und Schrecken, andere sind symmetrisch aufgebaut, ornamental, wie symbolistische Mandalas.

Zentrum dieser Arbeit ist jedoch stets das Objekt als Verkörperung oder Inkarnation des Fantastischen. Dieses plastische Werk lässt sich in Sektionen aufteilen. Zuerst wäre da eine Reihe von porzellangestachelten Schuhen, Taschen und besonders Kleidern, welche den latenten Zusammenhängen zwischen Körper und Kleid Gestalt verleihen. Das Kleid, das den Körper verhüllen und zieren soll, abstrahiert sich zur körperlosen, nach innen oder außen stachelbewehrten psycho-organischen Festung, märchenhaft leicht, und doch gefährlich und masochistisch. Diese Mischung aus Fürchterlichkeit und Selbstbedrohung zeichnet auch viele der ‚lebensgroßen’ Monstren mit der Schuppenhaut aus einzelnen Kernen, Linsen, oder Reiskörnern aus. Wir identifizieren uns mit ihren menschlichen (und oft zudem kindlichen) Zügen, erschrecken (wie sie selbst) über die tierischen Auswüchse an Hand, Kopf oder Nabel, und mögen doch unseren entsetzten Blick angesichts der schieren Beschaffenheit ihrer Häute nicht mehr von ihnen abwenden.

Die bereits erwähnte Gruppe der Kleinplastiken bildet eine weitere Sektion. Hier können wir entweder mit dem Vergrößerungsglas einzelne Mutierungen oder aus der Vogelperspektive ganze Landschaften beobachten. Die Rauminstallation ‚Marshmallow’ (2007) wirkt zunächst wie die Umsetzung einer dieser Miniaturen ins Lebensgroße. Und doch entdecken wir mit dieser Arbeit eine neue Gegend und Spezies der Chimärenwelt. In der magischen Begegnung eines unbefellten Faunes und einer schwebenden Dame mit Medusendrachenunterleib sehen wir, teils liegend, teils ebenfalls schwebend kokonförmige Gebilde, durch deren löchrige Membran geschlossene kleinere Kokons auszumachen sind. Aus einigen der Zeichnungen können wir schließen, dass wenigstens einige Mischarten in Kokons heranwachsen. Die Haut von Faun und Dame ist mit regelmäßigen Beulen übersät. Ebenso aufgrund der Zeichnungen halten wir es für möglich, dass die Haut der Figuren an den Beulen aufbricht, und neue Haut freigibt. Stadien eines eigentümlichen Naturzyklus, an dessen Ursprung die Geburt aus einem Kokon steht.

Die Ausstellung ‚Mermaid’s Purse’ zeigt erstmals Relikte solcher Häutungen, vor allem kokonförmige, aber auch ein besonders seltenes in Kleidform. Papierweiße, schlangenhautleichte, im Raum schwebende Objekte, die in Form und Materialität ein Novum in der Schraderschen Kunst darstellen und eine vierte Sektion des plastischen Werks bilden. Außerdem haben wir die besondere Gelegenheit, mit einem herztragenden Wolfsfaun, einem ziemlich reizbaren Lykanthropen (erstmalig sind auch säugetierhafte Arten vertreten) und einem kindlichen Echsennabelalbino Bekanntschaft zu machen.

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Julia Schrader
Mermaid's Purse