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Ab wann ist eine Skulptur als Skulptur erkennbar? Wieviel Ehrfurcht bringt ein Ausstellungsbesucher gestapelten Alltagsmaterialen entgegen, die seine Sehgewohnheiten und Rituale stören? Werden die Besucher des Ludwigsburger Kunstvereins eine aus gestapelten Stühlen bestehende Skulptur zerstören, um eine Sitzgelegenheit während der Eröffnungsrede zu ergattern. Wer traut sich zuerst? Wer ermahnt wen zuerst? Die von Marko Schacher kuratierte Ausstellung von Jürgen Oschwald wird darauf interessante Antworten angeben. Mit seinen Rauminterventionen überführt Oschwald tradierte Definitionen von Plastik und Skulptur als lange überholt. Statt ein Gebilde aus weichem, plastischem Material zu formen oder eine Form aus hartem Material zu hauen, nutzt Oschwald am Ausstellungsort vorgefundene Alltagsgegenstände (Tische, Stühle, Bücher, Holzplatten, Kartonröhren, Plakate etc.), um daraus temporäre dreidimensionale Gebilde zu bilden – nur mit seinen Händen, ohne jegliche Handwerkszeuge, im direkten Dialog mit den Objekten und der Architektur. Die vom Künstler vor Ort zu Material-Konglomeraten zusammengefügten Gebilde kommen allesamt ohne Nägel oder Klebstoff aus. Alle Gegenstände sind lediglich aufeinander gestapelt, aneinander gelehnt oder gelegt, ineinander gekeilt oder in Raumecken, Türöffnungen und Architekturvorsprünge geklemmt. Oschwald führt uns so die artistischen und poetischen Potentiale der uns alltäglich umgebenden Dingwelt eindrücklich vor Augen und lenkt unseren Blick auf architektonische Details, die wir zuvor noch nie wahrgenommen haben. Und siehe da: Allein das Aufeinanderstapeln zweier Tische, Tischplatte auf Tischplatte, genügt, um diese von ihrer dienenden Funktion zu befreien. Durch die Bekrönung mit einem Lampenschirm entsteht eine anmutige Skulptur. Plötzlich wird auch der sonst unter der Tischplatte verborgene Kaugummiklumpen zum Exponat. Eine Steckdosenleiste wird zum Sockel, Wandnischen mutieren zu Rahmen für Stillleben. Immer wieder funkeln ironische Seitenhiebe auf die konstruktive und „konkrete“ Kunst eines Piet Mondrian oder Max Bill auf. Oschwalds Farbflächen sind aber nicht mittels Taschenrechner, Lineal und Zirkel konstruiert, sondern Resultate seines Improvisationstalents und seiner Fantasie. Man kann Oschwalds Eingriffe auch als Resultat einer Performance sehen. Oder als Raumexperiment. Werden alle Skulpturen das Ende der Ausstellung erleben? Oder wenigstens das Ende der Vernissage? Interaktionen sind erwünscht und wichtiger Bestandteil der Arbeit.

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Jürgen Oschwald
Inventur
Kurator: Marko Schacher