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Der venezianische Architekt und Maler Giovanni Battista Piranesi (1720-1778) verfolgte mit großer Neugier archäologische Ausgrabungen in Rom und stellte die Ruinen und Fundstellen auf eine Weise dar, die uns noch heute Aufschluss über die damalige Grabungssituation gibt. Offenbar regte diese Arbeit seine Vorstellungskraft an, denn 1750 begann er mit einer Serie von Radierungen erfundener Kerker und unterirdischer Gewölbe: die berühmten Carceri d’invenzione. Piranesi trotzte hierin den Gesetzen der Perspektive und der Wirklichkeitsdarstellung, indem er das ganze Blatt mit Bögen, Brücken, Treppen und Toren füllte und erkennen ließ, dass die Komposition nur ein Ausschnitt eines viel größeren Ganzen war. Licht und Schatten spielen dabei eine ganz eigene expressive Rolle. Die Carceri zeigen die Vision eines labyrinthischen Netzes von Gängen, welches unmöglich rational zu rekonstruieren ist.

Jurriaan Molenaar greift die Technik Piranesis auf: Auch die bei ihm dargestellten Situationen sind dem Betrachter nicht ohne weiteres zugänglich. Ein scheinbar unbegrenzter, zweidimensional abgebildeter Raum erscheint in einer Perspektive, die auf den ersten Blick nicht ergründbar, aber doch erkennbar ist.

Frühere Arbeiten stellen zunächst noch die Außenseite eines Gebäudes aus der Vogelperspektive dar. Der Betrachter blickt von oben herab auf Landschaften; auf einen Untergrund, auf dem sich Wasser und Land abzeichnen. Das Gebäude steht als ein unregelmäßig geformtes, geschlossenes Volumen auf einer Grundfläche.

Heute versetzt sich der Maler an einen Ort in einem Gebäude, sodass wir die räumliche Struktur der Wände, Böden, Tür- und Fensteröffnungen von innen heraus erfahren. Bei diesen Interieurs bevorzugt er vielschichtige Räume mit unerwarteten Ecken, Lufträumen und Glaswänden, die einen Raum physisch, aber nicht visuell begrenzen. Kennzeichnend für alle Kompositionen ist die Abwesenheit von erzählenden Elementen: Kein einziger Teil zieht die Aufmerksamkeit auf sich, die Farbe ist über die ganze Leinwand mit gleicher Präzision aufgetragen. So entsteht in den Bildern eine Spannung zwischen dem, was der Künstler malt, und dem, was unsichtbar bleibt.

Jurriaan Molenaar lässt sich nicht über Details aus. Sie lenken von der Darstellung oder der Illusion von Raum ab. Jede Handlung, jeder Zwischenfall – wäre es auch nur die Idee, das Gebäude sei noch nicht fertig, oder die Erwartung, jemand könne es im nächsten Moment betreten - ist zuviel. Molenaar sucht nur visuellen Raum.

Die Auswahl eines Bildes bestimmt Molenaar in der Bewegung. Die Vogelperspektiven bedingen dies: Der Maler hat Ballonfahrten und Rundflüge unternommen und seine Höhenangst überwunden, um sich diesen Blick zu eigen machen zu können. Das gemalte Bild schließlich ist nichts anderes als ein still, eine split second aus einer unendlichen Reihe von Perspektiven. Wenn der Künstler festen Boden unter den Füßen hat, wie wir bei den übrigen Kompositionen annehmen können, sind es noch immer die Bewegungen des Auges, Körpers oder Kopfes, die den Bildausschnitt und den Durchblick bestimmen. Der Eindruck des Bildes hängt letztendlich von der aus diesen Bewegungen getroffenen Auswahl ab, die einem Einfrieren der Wahrnehmung gleichkommt. Beispielsweise hinsichtlich des Horizontes, der gerade oder schief als Ausgangspunkt in Bezug auf die Bildfläche angenommen wird.

Mindestens ebenso wichtig ist die Position der Wandflächen zueinander. Jeder, der schon einmal zwischen Wolkenkratzern gelaufen ist, weiß, wie sich bei jedem Schritt die perspektivische Wahrnehmung verzerrt und ändert. In einem Innenraum mit Durchblicken funktioniert dies genauso. Eine andere Wahl betrifft den Bildausschnitt. An welcher Stelle wird die Komposition begrenzt und welchen Effekt hat dies auf den Wirklichkeitsgehalt der Darstellung? Impressionistische Straßenbilder durchschnitten zum ersten Mal scheinbar zufälligen die Häuser am Rand des Bildes. Molenaar benutzt diese Technik häufig in breiten, liegenden Formaten. Der Effekt ist auch hier, wie bei Gustave Caillebotte und Camille Pissarro, die scheinbare Kontinuität der Darstellung.

Ungeachtet des enormen Unterschiedes im Ergebnis teilt Jurriaan Molenaar mit den Impressionisten die gleiche Faszination für das Straßenbild seiner Zeit. Er reist viel, und die Architektur, die seine Vorstellung anregt, ist der universelle Bau aus Beton, Glas und Gipswänden, den man von Köln bis Kapstadt und von Chicago bis Singapur antreffen kann. Ohne als eine spezifische Situation eingeordnet zu werden, die ausschließlich an einem bestimmten Ort anzutreffen ist, können die Motive von Molenaar so überall erkannt werden. Bei aller Vereinfachung und Stilisierung tut Molenaar dieser vorstellbaren Wirklichkeit keine Gewalt an. Er hält sich an das Augenzeugenprinzip: Nichts wird wiedergegeben, was zum Zeitpunkt des Betrachtens nicht sichtbar gewesen sein kann. Der Vorteil dieses Prinzips besteht darin, dass der Betrachter des Bildes dieselbe Perspektive hat wie der Maler beim Festlegen des Bildausschnitt.

Der Zeitaspekt, der mit in Bewegung entstehender Wahrnehmung verbunden ist, erhält keine direkte Übersetzung im Bild. Molenaar lässt sich nicht zu kubistischen Experimenten mit der simultanen Wiedergabe einer Ansicht verleiten. Auch das würde die räumliche Illusion nur zerstören.

So gelangen wir zum Kern dieser Arbeiten: die Faszination von Raum, ausschließlich mit Farbe auf die Leinwand suggeriert. Der Maler darf die Grenzen der Suggestion nicht überschreiten, denn wenn er seine Emotion beim Antreffen eines brauchbaren Bildes nacherzählen würde, bliebe nichts weiter übrig als schwerfälliger, alltäglicher Realismus und nicht das sparsame, in leichten Grauwerten gemalte Stück Labyrinth, welches wir sehen. Woraus das Labyrinth auch aufgebaut ist – Konstruktionen, Materialien, Abmessungen: Der Maler lässt es dahingestellt, doch der Betrachter kennt gefühlsmäßig die Antwort. Dass er dabei durch die Art von Farbverläufen innerhalb einer monochromen Fläche gelenkt wird, bleibt unterschwellig. Für einen aufmerksamen Betrachter treten im Spiel von Licht und Schatten die einzigen Inkonsequenzen in dieser ansonsten so stabil fundierten Komposition auf.

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Jurriaan Molenaar ”passage”