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Aufbruch und stilbildende Synthese des Expressionismus Obschon in ihren wesentlichen Ausdrucksmöglichkeiten so alt wie die Malerei und Zeichnung selbst kommt dem Expressionismus doch erst seit rund 100 Jahren eine kunstgeschichtlich geklärte, im Bewusstsein eines denkbar breiten Publikums fest verankerte Position zu. Entscheidend dafür ist eine künstlerische Grundhaltung, die Emotion und Unmittelbarkeit fördert und daraus resultierende Übersteigerungen ebenso im Formalen wie punkto Farbe und malerischem Vollzug provoziert. Besasen die französischen Fauves vor allem ein spezifisches Verhältnis zur Farbe (denken wir nur an Matisse oder Derain), so war bei den deutschen Expressionisten in ähnlicher Weise wie bei dem Norweger Edvard Munch von Beginn an das grafische Element besonders ausgeprägt. Die dominierende bis ausschließliche Handhabung des reinen Schwarzweiß wie sie Munch virtuos beherrschte, übte auf seine deutschen Kollegen im Umkreis der „Brücke“ noch stärkeren Einfluss aus als die Einblattholzschnitte des frühen 15. Jahrhunderts, die überhaupt den Beginn der Grafik markieren, durch die künstlerischen Bemühungen der damals Jungen aus ihrem historischen Schattendasein aufgeweckt wurden und plötzlich an Aktualität gewannen.

Neben all dem – eingerechnet so bedeutende Vorläufer wie Van Gogh, Cezanne und in abgeschwächter Weise Gauguin – faszinierten auch die Zeugnisse außereuropäischer Kulturen, allen voran die Masken und die Plastik Afrikas. Sie übten auf die damalige Avantgarde zwischen Paris und München, zwischen den Anfängen des Kubismus um 1907 und der Herausgabe des Almanachs des „Blauen Reiters“ 1912, denkbar großen Einfluss aus. Das vor allem von Marc und Kandinsky redigierte Kompendium einer revidierten Sicht und neuen kunstwissenschaftlicher Zusammenschau wurde dank seiner durch viele Abbildungen gestützten Schlüssigkeit zu einem Maßstab moderner Kunstbetrachtung und ästhetisch weit ausholender Rezeption. Der schon von Gauguin wenigstens in kleinen Teilen wahrgemachte Traum vom Paradies, von der unverfälschten Natur, mit der man eins sein wollte, war dann nur noch ein weiterer Schritt einem Ideal entgegen, wie es de facto nie existierte, aus der Wunsch-Vorstellung weit entwickelter Zivilisationen jedoch erklärlich ist. Um beziehungsweise knapp nach 1900 war somit in zunehmender Intensität der intellektuelle und emotionale Nährboden nicht nur für eine, sondern für eine ganze Menge neuer Denk- und bildnerischer Handlungsweisen gegeben. Der Expressionismus wurde gerade in Deutschland zu einem Sammelbecken künstlerischer Bestrebungen, die trotz vieler als sehr neu und radikal empfundener Tendenzen doch deutlich an Traditionen angelehnt waren. Dass er es war, der stärker emotionalisiert als stilbildend und von kühler Ratio geleitet zwischen entscheidenden Epochen europäischer Kunstgeschichte und selektiven Einflüssen außereuropäischer Kulturen vermittelte, ist seine auch heute noch aufregende Charaktereigenschaft und sein historisches Verdienst.

Expressionismus in der Sammlung des Lentos Innerhalb der Malerei verfügt die Sammlung des Lentos mit Bildern von Nolde, Pechstein, Modersohn-Becker, Mueller, Schiele, Kokoschka, Faistauer, Kolig und anderen über ein gutes Dutzend erstrangiger Werke des deutschen und österreichischen Expressionismus beziehungsweise Nachexpressionismus. Den Gemälden gegenüber ist der Bestand an expressionistischer Graphik eher bescheiden und auf weiten Strecken lückenhaft. Er konzentriert sich im allgemeinen auf wenige Vergleichsbeispiele, die vielfach erst in jüngerer Vergangenheit nachgekauft werden konnten. Ausnahmen davon bilden lediglich der große Kubin-Fundus, mehrere bedeutende Blätter Kokoschkas sowie größere Konvolute österreichischer Grafiker, die, wie z.B. Carl Anton Reichel und Klemens Brosch, international kaum bekannt sind.

Die Stiftung Paul und Grete Neurath Wenn das Lentos Kunstmuseum Linz nunmehr mit Hilfe zweier uns besonders gewogener Kunstfreunde durch die Stiftung von Professor Dr. Paul und Grete Neurath, Wien, einen auf Karl Schmidt-Rottluff konzentrierten Sammlungszuwachs von 36 Objekten erhält, so ist dies nicht nur ein besonderer Glücksfall und Gewinn in bezug auf ein wesentliches Sammlungsgebiet der Kunst des 20. Jahrhunderts, sondern auch eine unerwartete, höchst willkommene Erweiterung unseres Anschauungsmaterials, das hier eine spezifische, qualitätsvolle, in Zukunft vielseitig nutzbare Schwerpunktbildung erfährt. Die aus dem ehemaligen Besitz der mit Schmidt-Rottluff eng befreundet gewesenen Kunsthistorikerin Rosa Schapire stammenden Werke gliedern sich in zehn Skulpturen und kunsthandwerkliche Gegenstände, sieben Zeichnungen, vier Lithografien, sechs Radierungen und acht Holzschnitte. Zusammen mit drei markanten, bereits vorher in unserer Sammlung befindlichen Holzschnitten, vermittelt das Material einen weit gestreckten, charakteristischen Einblick in das Gesamtwerk eines der führenden deutschen Expressionisten. Die Bedeutung Schmidt-Rottluffs als Grafiker, der sich fast immer auf das reine Schwarzweiß beruft und da ab 1910 zu seinen stärksten Leistungen gelangt, kommt dank der Blätter der großzügigen Stiftung besonders gut zur Geltung. Unikate Zeichnungen, davon einige zart koloriert, bilden in ihrer Skizzenhaftigkeit und andeutungsweisen Tektonik ein wenig geläufiges, aufschlussreiches Pendant zu den kraftvollen, auf äußerste Reduktion und Verknappung der Mittel reduzierten, im besten Sinne vollexpressionistischen Holzschnitten. Ihre Nähe zu den härteren, schärferen, im allgemeinen weniger bekannten Kaltnadelradierungen, die größtenteils zwischen 1910 und 1921 entstanden, tritt in den Beispielen unserer Kollektion deutlich hervor.

Die Stadt Linz sowie Direktion und Mitarbeiter des Lentos danken im Namen ihres Publikums Frau Grete Neurath für eine wertvolle Zuwendung und bedeutende Sammlungserweiterung. Wir fühlen uns dem dadurch in uns gesetzten Vertrauen im Sinne visueller Erkenntnisse und geistigen Gewinns auf der Basis grenzüberschreitender kunstwissenschaftlicher Auseinandersetzung in hohem Maße verpflichtet.

Karl Schmidt-Rottluff Stiftung Dr. Paul und Grete Neurath Expressionismus – Bestände und Neuerwerbungen aus der Sammlung

Zusätzlich zur Präsentation der Schmidt-Rottluff Stiftung zeigt Peter Baum aus den Beständen des Lentos Malerei und Graphik, die einen breiten Bogen vom klassischen Expressionismus (Pechstein, Kolig, Nolde, Hofer, Heckel) bis hin zu den Expressionisten von heute spannt.

In der Aufteilung der insgesamt 5 Räume in der Achse des Porträt-Saales (Raum III) gilt einer mit mehr als 30 Werken ausschließlich Schmidt-Rottluff, ein zweiter gibt anhand mittelgroßer Ölgemälde spezifischen Einblick in den klassischen Expressionismus bzw. Spätexpressionismus, wobei das Thema der Badenden, des nackten Menschen in freier Natur, in nicht weniger als fünf Vergleichsbeispielen dominiert.

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Karl Schmidt-Rottluff
Expressionismus - Bestände und Neuerwerbungen aus der Sammlung Stiftung Paul und Grete Neurath, Wien
Kurator: Peter Baum

Arbeiten von Karl Schmidt-Rottluff, Max Pechstein, Emil Nolde, Karl Hofer, Erich Heckel, u.a.