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Ein Beitrag zur Ausstellung 'Katharina Grosse' im Kunsthaus Graz
von Lothar Frangenberg

Was wir an Katharina Grosse schätzen, ist die Art und Weise, wie sie in ihren temporären, raumgreifenden Arbeiten Malerei entgrenzt und ihr die gewohnten „Rahmungen“ entzieht. Die dreidimensionalen, den Besucher in Bewegung setzenden Farbszenerien heben die starre Konstellation von Betrachter und Bild auf. Die Aufgabe eines festen Standpunktes führt weg von dem Bild als einer besonderen Fläche mit Fensterwirkung – unabhängig davon, ob es ein abstrakter oder auf Nachbildung zielender Illusionsraum ist. Auch die standardisierten Präsentationsräume, die als Hintergründe den fokussierten Betrachterblick nicht ablenken sollten, fangen an zu fluktuieren. Der Blick wird multiperspektivisch zerstreut. Die fest codierte Situation vor beruhigtem Grund das Bild als „Kunstwerk“ zu erleben, wird weitgehend aufgelöst.

Die Arbeiten tauchen, teils Wetterphänomenen gleich, an unterschiedlichen Orten auf, schlagen sich als Farbwolken in einem Mit- und Gegeneinander, irisierend aufleuchtend, dann verdunkelnd im Schatten verschwindend, nieder und verflüchtigen sich. In unterschiedlichen Maßstäben erscheinen sie im Stadtraum, an Gebäuden oder in ihnen. Sie erzeugen insgesamt die Vorstellung eines unaufhörlichen, sich stetig verändernden Stroms, der, unabhängig von bestimmten Räumen und Trägern, über die Örtlichkeiten hinwegfließt und zunehmend unterschiedliche Gegenstände, künstliche wie natürliche, mit sich trägt und hier und da ablädt. Diese Erdhaufen, Baumstämme, Kugeln, Möbelstücke oder meteoritenartigen Bruchstücke werden ebenso wie die betroffenen Räume von den mit Spraypistolen aufgetragenen Farbspuren und -nebeln vereinnahmt. All diese unterschiedlichen Oberflächen können Ort und Grund einer Malhandlung werden. (Abb.01 / Abb.02) Die spezifischen Qualitäten von Malerei, ihr Potential, schnell mit Farbe und einem hohen Maß an Freiheit agieren und reagieren zu können, um elementare Eindrücke durch die ihr eigenen „Täuschungen“ und „Illusionen“, zur Geltung zu bringen, werden ohne diskursive Umwege kraftvoll bis überbordend vorgeführt. Ständig werden neue, auch narrative Ebenen fließend eingefügt, ohne allzu eindeutige Bezüge festzulegen. Der vorhandene, gebaute Raum wird über die diversen, oft gegeneinander gebrochenen, farbig behandelten Oberflächen erweitert und entgegen der gebräuchlichen Rechtwinkligkeit teils fragmentarisiert, teils neu strukturiert. In diesem malerischen Kontinuum gibt es keine exklusiven Verknüpfungen. Scheinbar Inkompatibles wird im malerischen Zugriff zusammengeführt, Grenzen werden verwischt und eine größere Einheit wird angedeutet, die aus der nächsten Perspektive wieder auseinander driftet. So folgt man den Bewegungen der Spraypistole und damit den Blicken der Künstlerin während des Entstehungsprozesses der Arbeiten, ihrem Schweifen und Fokussieren. Man sucht Konturen, spürt einem Zusammenhang nach: Etwas wird bedeutsam und entgleitet wieder.

Katharina Grosse arbeitet nicht auf den Ort bezogen. Jedenfalls nicht in dem Sinne, dass sie sich auf ihn einlässt, um vorhandene Eigenarten und Strukturen herauszuarbeiten und zu betonen. Sie agiert mit massiven Eingriffen und Manipulationen, um räumliche Beziehungen und Hierarchien zu überspielen. Sie zielt damit nicht nur auf die gewohnheitsmäßigen Wahrnehmungen und Verhaltensweisen unmittelbar vor Ort, sondern auch auf die sich dahinter verbergenden institutionellen (Macht)Ansprüche. Sie antwortet auf den Ort, indem sie versucht, als Künstlerin größtmögliche Autonomie im Verhältnis zu ihm zu gewinnen und sich der Kontrolle durch Architektur und Instanzen zu entziehen. Farbkörper und –räume entwickeln ein spezifisches, dynamisiertes Eigenleben, das vor dem Ort nicht halt macht, sich durch ihn nicht begrenzen lässt und die Bindungen an ihn durch Überschreibungen um- und neu deutet. Deren Regeln und Qualitäten werden durch die malerischen Eingriffe und nicht durch den Ort definiert. Er wird unscharf und verliert an Festigkeit.

Je unbändiger und eruptiver diese Eingriffe an der Grenze zum Vandalismus und Unkontrollierten erscheinen, desto dichter und spannender wirken sie. Grosse nutzt dabei nicht die eine malerische Handlungsweise oder Strategie, das trifft ihr Unterfangen nicht, sondern viele mit- und gegeneinander. Der bewegte Betrachter folgt den dreidimensionalen Abläufen und Aktionssträngen, die „ihren“ Raum in verschiedene Richtungen dehnen und strecken. Andersherum fällt auf, das Einzelarbeiten gleich konventioneller und konsumierbarer wirken, wenn sich die Bewegungen wieder auf eine feste Tafel als Bild zusammenziehen oder sich in einigen wenigen, malerisch-skulpturalen Entscheidungen verdichten und verfestigen. Diese Stücke können auf den Begriff gebracht und kategorisiert werden: sei es als rechteckiges, begrenzendes Tafelbild oder als eher skulpturaler Versuch, der die kontrastierende Architektur im Gegenüber unversehrter bestehen lässt. Farbgebung und eingefärbtes Objekt kommen deutlich zur Deckung. Die Momente des temporär Darübergleitenden und Entgrenzenden schrumpfen. Die übergroße, gebogene „Scherbe“, an eine Wand des Kunstmuseums in Bonn gelehnt, steht scharf umrissen und bruchstückhaft vor der umgebenden Architektur. (s. link 2 unter websites)

Die Farbigkeit der Rückseite erscheint als Camouflage, die die Art des Zusammenfügens und Aussteifens kaschiert. Das gefärbte Objekt als dauerhafte Außenskulptur unterläuft die Architektur nicht, es belebt sie. Das Reisezentrum in Vara, Schweden, komplett in Ultramarinblau eingefärbt, erscheint als „blaues Haus“. (s. link 3 unter websites)

Mehrere, farbige, skulpturale Elemente tauchen als Applikationen kontrastierend und dekorativ über den Dachflächen auf. Sie schmücken das Haus. Die Farbigkeit verliert ihr grelles Schillern und wird bunt. Der Eindruck von Verspieltheit macht sich breit. Solche Arbeiten erzeugen eine kontrastreiche Lebendigkeit im Verhältnis zum Umraum, stiften aber keine Unruhe, keine chaotischen Momente, die überraschende Simultaneität oder drohendes Auseinanderfallen vorführen. Das Potential an Assoziationen ist stärker domestiziert.

Ihre neue Arbeit im Kunsthaus Graz „Wer, ich? Wen, Du?“, als Blow Up eines Faltenwurfs ins Überdimensionale gesteigert, scheint viele dieser Facetten zu beinhalten: Teil des Stroms und doch eingedämmt. Fast unüberschaubar ausgebreitet ist er durch die Architektur eindeutig begrenzt, hat einen konkret definierten Ort. Er entfaltet sich auf dem Boden. Farbspuren finden sich auch an Teilen der Versorgungs- und Erschließungskerne, aber der alles überwölbende, technoide Dachhimmel bleibt durch die Sprayattacken der Künstlerin unangetastet. Als den Raum prägende Konstruktion ist er ein wesentliches Element der von Peter Cook und Colin Fournier entworfenen biomorphen Blob-Architektur des Kunsthauses: Einer Architektur, die, auch von einer extremen, künstlerischen Haltung geprägt, mit ihren komplex, gerundeten Formen eine ausgeprägte Eigenständigkeit entwickelt. So lastet die schwer wirkende Dachschale dunkel und grau, nur von mit hell aufleuchtenden, kreisförmigen Neonröhren bestückten, trichterförmigen Lichtöffnungen durchbrochen, über den Faltungen. Sie ist der fixierte, abgrenzende Hintergrund vor dem sich die farbige Figur des Faltenwurfs entwickelt. Der Dachhimmel unterstützt die Wirkung der Faltungen, ja dramatisiert sie. (Abb.03/04/05)

Der Aufbau der mehrteiligen Arbeit ist nachvollziehbar. Aus vielen, 2 mal 2 Meter großen, 10 Zentimeter dicken Schaumstoffmatten zusammengesetzt, ergeben sich Flächen, die in ihrer Ausdehnung die des Bodens bei weitem übersteigen. Auf ihm zusammengeschoben, gefaltet und gestaucht, steigen sie auf, brechen sich und sinken wieder zusammen. Der größere Teil von über 30 Metern Länge entwickelt sich bis zu einer Höhe von 6 Meter, nach oben gedrückt von Styroporquadern, deren Formen am Hochpunkt ablesbar bleiben. An den vielen unbehandelten Stellen meint man das Gewicht des eigentlich luftigen Materials zu spüren. Die Bewegungen des Ein- und Ausrollens, das nach Innen- und Außenwendens erscheinen stillgestellt. Die auf diese Gründe aufgetragenen Malereien unterstützten die Wirkung. Teils folgen die Farben den großen Bewegungen des Schaumstoffes, teils streifen sie über ihn hinweg, um auf dem Boden, Lichtreflexen gleich, ein Eigenleben zu entwickeln. Die Leichtigkeit und Dynamik dieser Farbspuren löst sie vom Malgrund ab, der sich, in all den ihm zugemuteten Faltungen erstarrt, gegen den dunklen Dachhimmel verausgabt hat.

Das von der Kuratorin beschriebene Moment des Theatralischen kommt deutlich zur Geltung. Es gibt nichts zu enthüllen, zu bedecken, zu schützen oder zu verbergen. Dies wird als pralle Vorführung in Szene gesetzt. Es ist ein Spiel mit versteckten Räumen als einer großen Illusion. Nicht umsonst machen sich gelegentlich Assoziationen an klassische Faltenwurfstudien breit, in denen die Faltungen modellhaft ein sich verselbständigendes Eigenleben entwickeln. Die Falte mag ein Geheimnis bergen und zeigt doch nur sich selber. Die Künstlerin führt diese Inszenierung auf mehreren Ebenen ästhetischer Aufbereitung vor. Sie überwältigt mit der schieren Größe und Wucht der Präsentation der Faltenwürfe. Sie führt ihre Malerei mit und gegen die Malgründe aus Schaumstoff in aller Opulenz vor. Sie nutzt den Ausstellungsraum in seiner außergewöhnlichen Ausprägung als Bühne, indem sie das Territorium ihrer Aktionen trotz der riesigen Dimensionen ihrer Arbeit eingegrenzt hält und diese als ein Gegenüber zur Architektur installiert.

Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Blick auf eine frühere Arbeit. (Abb.06) Man schaut auf eine private Szenerie: eine Raumecke mit Kisten und einem ungemachten Bett, eine verwaiste Behausung. Auf diesem Bett knäueln sich Bettlaken und Kissen zusammen. Über diese Faltungen im Maßstab 1:1 laufen, vom Boden kommend, Farbspuren, die sich im Bett bis zu eingetrockneten Lachen verstärken. Über die Kisten hinweg ballen sie sich an der Zimmerdecke zu abgedunkelten Wolken, aus denen lange Farbnasen Richtung Boden laufen. Hier wirkt nichts inszeniert, hier scheint jemand unbändig und ausbrechend mit Furor am Werk gewesen zu sein. Die Intimität der Situation wird mutwillig aufgehoben, das Verborgene enthüllt. Durch den Eingriff der Künstlerin wird die Funktion des Wohnens unterlaufen, ja außer Kraft gesetzt. Das Alltägliche wird befremdlich und geradezu unangenehm zur Schau gestellt und öffentlich gemacht. Die Momente des Ästhetischen sind auf ein Minimum reduziert. Grenzen zwischen Alltags- und Kunstobjekt sind nicht kalkulierbar, sondern brüchig und durchlässig. Der Betrachter prallt ab und bleibt trotz der künstlerischen Aktion Voyeur.

Zurück nach Graz: Es wird klar, dass der Fokus der Künstlerin hier nicht auf Konfrontation, Ausbrechen oder Aufhebung von Grenzen liegt, sondern auf dialogischen Auseinandersetzungen. Die Arbeit vagabundiert nicht, sie bleibt als ästhetisches Konstrukt trotz aller Strategien des Überwältigens im Rahmen. Die öffentliche Bühne des Ausstellungsraums bleibt weitgehend in seiner Eigenart belassen. Es steht nicht an, sich gegen ihn autonom zu behaupten. Die Künstlerin antwortet auf ihn kraftvoll, aber konzentriert und gebändigt. Die Energie ist in den Faltungen eingelagert. Der Betrachter wird nicht automatisch mitgezogen, er wird angezogen und kann sich auf das „Spektakel“, das „Theater“, einlassen und seine Wirkungen ausprobieren. Objekte werden nicht aus ihren vertrauten Zusammenhängen gelöst, die Hintergründe verunklart, sondern es wird ein kontrastreiches Figur/(Hinter)Grund-Szenario, in sich kongruent, aufgebaut. Katharina Grosse bietet an, sich auf dieser Bühne verführen zu lassen, führt aber auch die benutzten Mittel und den verlockenden Apparat vor.

ausstellung: Katharina Grosse "Wer, ich? Wen, Du?" im Kunsthaus Graz
Kuratorin: Katrin Bucher Trantow
06.06.14 - 12.10.14