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Katharina Jahnke (*1968 in Berlin) studierte von 1990–1992 an der Hochschule für Gestaltung Offenbach am Main bei Prof. Wolfgang Luy und anschließend von 1992–1997 an der Kunstakademie Düsseldorf bei Prof. Irmin Kamp und Prof. Hubert Kiecol. Seit 2007 hat sie einen Lehrauftrag an der Düsseldorfer Akademie. Sie lebt und arbeitet in Köln.

Unter dem Titel 'Somnia' werden in der Galerie Sebastian Brandl neue Tuschezeichnungen aus der Anfang 2006 begonnenen Serie '50 ways to wait' im Format 40 x 60 cm und eine Rauminstallation aus Siebdruckplatten, Holzlatten, semitransparenter Folie, Spiegel und einer Edelsteinscheibe gezeigt.

Die Zeichnungsserie thematisiert in den seit Oktober 2007 entstandenen Blättern eher unspektakuläre und banale Situationen unseres Lebens: die Momente, in denen der gesättigte und vor Ereignissen überquellenden Strom unserer individuellen Drehbücher gestoppt wird, plötzlich für einen Augenblick oder sehr lange Zeit nichts mehr geschieht, wir von einem 'Zeitloch' aufgesogen werden. Ob es sich dabei um einen spannungsgeladenen Zeitpunkt vor dem nächsten Raketenstart bzw. dessen eher banale Spielart beim Warten an der Straßenampel handelt oder um eine ganze Zeitspanne wie etwa die der verschwendeten Jugend – in ihren skizzenartigen, teilweise aquarellierten Federzeichnungen, die überwiegend in schwarz-weiß gehalten sind, lenkt Katharina Jahnke unseren Blick auf die Nebenschauplätze unserer Existenz. Die uns vertraute Sinnlosigkeit oder Langeweile wird angesprochen, aber sie hinterlässt keinen bitteren Beigeschmack. Man kann sich den 'Wartezonen' seines Lebens ausgeliefert fühlen, in Lethargie versinken oder aggressiv reagieren, aber sie auch als Pause oder Mußestunden umdeuten und das Innehalten kreativ nutzen. Eher gelassen, aufmerksam und mit einem leisen ironischen Unterton entfaltet die Künstlerin ihr Universum aus Szenen am Minigolfplatz, im zoologischen Aquarium, auf einer Gefängnisinsel und einer Baustelle. Immer wieder kombiniert Katharina Jahnke kurze Zeilen oder regelrechte kleine Stories mit den bildnerischen Elementen, die auch unterschiedliche Sprecherpositionen signalisieren – der wundersame antiquierte Stil alter Naturkundebücher, zeitgenössische O-Ton-Zitate, trockene wissenschaftliche Kategorisierungen etc.

Phasen des Wartens, der Handlungslosigkeit klinken sich aus dem gewohnten Zeitempfinden aus und scheinen sich ins Unendliche zu dehnen. Synchron mit diesem veränderten Zeitmaß jenseits taylorisierter Effizienz taucht auch eine 'Nebenwelt' auf: in der Arbeit 'Höhle' spielt die Darstellung einer Höhle auf das oft berichtete Phänomen an, dass im Inneren dieser vom Tageslicht abgeschiedenen Orte die Zeitwahrnehmung einer Verschiebung unterliegt, ebenso wie die lautlose, unwirkliche Unterwasserwelt hinter den Aquariumbullaugen. Vergleichbar damit mag sich das Leben auf einer Insel abspielen, deren temporäres Raster einen Kontrapunkt zum atemlosen urbanen Rhythmus verkörpert. Die Zeile 'coconut shell clock' erinnert an andere, jenseits unserer Uhr real existierende Zeitgeber. Wie unbelebte und uninterpretierte Platzhalter funktionieren die Baustelle und verlassene Räume im Zustand der Renovierung. Die Abwesenheit von Handlung suggeriert zugleich einen zeitliches Vakuum. Eine absurde Szene voll unheimlicher Stille und Melancholie repräsentiert die surreale Bushaltestelle irgendwo mitten im Wald. Den Fokus und auch Höhepunkt dieser 'Menagerie des Wartens' artikulieren die zyklisch verlaufenden Zeitspulen Schlaf und Traum, die sich der Kontrolle entziehen und uns jede Nacht in eine Gegenwelt entführen, in der eher passiv erlebt als aktiv gestaltet wird: Das Kreuzgangfake im Eulengehege eines Zoos spricht die 'Eulen und Lerchen' mit ihren unterschiedlichen Tagesrhythmen an, und die Darstellung des wohlbekannten Schäfchenzählens verbindet Jahnke mit der akribischen Aufzählung der einzelnen Schlafphasen.

In noch prägnanterer Weise schafft die für die Ausstellung entwickelte ortspezifische, mehrteilige Rauminstallation aus zurecht gesägten Siebdruckplatten mit ihrer typischen matten dunkelbraunen Oberfläche ein autonomes, nach eigenen Gesetzen funktionierendes Raum- Zeit-Kontinuum. Die aus Boden, Decke und Wand ragenden Skulpturelemente aus ineinander gesteckten Dreiecken mit betont rauen, zerfaserten Kanten und überraschenden Perspektiven wirken einerseits geradezu zeichnerisch-linear, wie kristalline Strukturen, andererseits durch ihr Wuchern zugleich organisch. Der Betrachter befindet sich inmitten dieses ruppigen Splitter- und Dornenclusters wie in einem Zauberwald, der ihn an der Stelle, wo er glaubt, sein Geheimnis enträtseln zu können, auf sich selbst zurückwirft: eine leuchtend rotviolette Achatscheibe auf einer der Galeriewände gewährt ihm durch eine kleine Öffnung scheinbar einen Blick in die Tiefe der umgedeuteten und neu komponierten Raumsituation. Doch es ergeht ihm anders als 'Alice hinter den Spiegeln', die eine ganze Zeitlang, genauer für die Dauer eines Buches, in einer fremden Sphäre spielen und träumen wird...

Gabriele Wurzel

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Somnia
Katharina Jahnke