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Eröffnung: Freitag, den 20. Februar, um 19 Uhr

Ab dem 21. Februar zeigt die GAK Gesellschaft für Aktuelle Kunst zwei parallele, inhaltlich unverbundene Ausstellungen von Kathrin Sonntag SUPERKALIFRAGILISTIGEXPIALIGETIK und Özlem Sulak Aufenthaltserlebnis. Bei beiden Präsentationen handelt es sich um die erste institutionelle Einzelausstellung der jeweiligen Künstlerin.

Die Berliner Künstlerin Kathrin Sonntag (geb. 1981) beschäftigt sich in ihren Objekten, Fotografien, Filmen, Zeichnungen und ortsspezifischen Installationen mit alltäglichen Gegenständen und den vielfältigen Möglichkeiten ihrer Wahrnehmung. Oder anders: Sie thematisiert den Blick und dessen Verwandlung. Charakteristisch ist dabei ihr behutsamer Umgang mit den untersuchten Dingen, der ihnen ihren ursprünglichen Charakter zugesteht und doch durch ungewohnte Kombinationen oder minimale Eingriffe neue Aspekte hervortreten lässt. Sonntags Arbeiten fokussieren den Moment, in denen ein normalerweise durch und durch lesbares Objekt aus sich heraustritt und sich so der gewohnten Interpretation entzieht. Den Moment, in dem die Abstraktion in den Alltag einfällt“, wie Sonntag es selbst beschreibt. Nicht länger stehen die Funktionen der benutzten Gegenstände im Mittelpunkt, sondern es werden etwa Form- oder Farbverwandtschaften offen gelegt und so Assoziationsketten mit Dingen gebildet, die man normalerweise nicht in Beziehung gesetzt hätte. In ihrer Bremer Ausstellung wird der auffällige Ausblick aus den Fenstern der GAK auf die Weser zum Ausgangspunkt, verschiedene Aus-, Durch- oder Einblicke zu formulieren – im wortwörtlichen wie auch im übertragenen Sinn. So rhythmisieren etwa Rahmenformen, Spiegel und ein altmodisches Fernrohr den Raum und stellen gleichzeitig Form- und Farbverwandtschaften zu den anderen in der Ausstellung befindlichen Objekten, Collagen, Fotografien und Zeichnungen her. Eine Diaserie wirft Sequenzen mit Wörtern an die Wand, deren Klang oder Schreibweise bereits ihren Sinn transportiert: Ping Pong, Zick Zack usw. Und gefundene Abbildungen von skurrilen Erfindungen, die den Alltag erleichtern sollen (wie z.B. ein Zwitter aus Gabel und Löffel) werden zum Ausgangspunkt für weitere Verbindungslinien, die die Ausstellung wie ein vielmaschiges Netz durchziehen. Der Titel SUPERKALIFRAGILISTIGEXPIALIGETIK ist der Disneyverfilmung Mary Poppins entlehnt, wo er als Adjektiv eingeführt wird. Er umschreibt nach Aussage des berühmten Kindermädchens ein „schrecklich langes und wissenschaftlich beeindruckend klingendes Wort". Eine Art Zauberwort, das zwar im Kern unsinnig erscheint, jedoch durch seinen imponierenden Klang seinem Benutzer einen gebildeten Anschein verleiht und dann gebraucht werden kann, wenn man nichts mehr zu sagen weiß. Es beinhaltet aber auch die Worte „Frage“ und „listig“ und bezeichnet damit auch Kathrin Sonntags künstlerisches Vorgehen, das dem Magischen und Besonderen im scheinbar Banalen auf der Spur ist. Im Gegenteil scheint es in ihrem Bildkosmos das Banale nicht zu geben – noch dem unscheinbarsten Gegenstand, noch dem alltäglichsten Moment werden Ebenen zugestanden, die ihn aus dem Status des Gewöhnlichen lösen. Das Verhaftet-Sein in den Realitäten des Alltags bei gleichzeitiger Offenlegung von dessen magischem Potential und überraschenden Verwandtschaften ist dabei das verbindende Element über die unterschiedlichen Medien hinweg. Auf diese Weise ist alles mit allem vernetzt und die Betrachter/innen bewegen sich in Kathrin Sonntags Interventionen wie in einem großen Suchbild, dessen Geheimnisse nur der entdecken kann, der sich auf eine andere Sehweise des Bekannten einzulassen gewillt ist.

Die Türkin Özlem Sulak (geb. 1979, lebt in Bremen) dagegen füllt in ihren Filmen Diskursbegriffe wie “Migration” und “Identität” mit Leben, indem sie deren Realität in der Geschichte ihrer Familie und ihrer Umgebung nachzeichnet und so deren abstrakte Ebene in eine ganz persönliche umkehrt. Sulaks Herkunft aus einer von Immigration geprägten Familie, ihre Erfahrungen in westlichen Ländern wie Großbritannien oder Deutschland sowie ihre Auseinandersetzung mit Stereotypen, mit denen auch sie persönlich immer wieder konfrontiert wird, bilden den Grundton ihrer filmischen Arbeiten. Was ist Heimat? Wo kommen wir her? Wodurch werden wir geprägt? Wie können wir uns verorten? Das sind die existenziellen Fragen, denen Sulak nachspürt. Das allerdings auf eine Weise, die sich formal stark dokumentarischer Mittel bedient, Pathos vermeidet – und gerade dadurch eine emotional sehr anrührende Sprache findet. In Granny z.B. setzt sie ihre Großmutter und Großtante aufs Sofa und lässt sie von ihrer Immigration aus dem westlich geprägten Sarajevo in ein von traditionellen Werten dominiertes Anatolien der 1930er Jahre erzählen. Beide Frauen lassen kein gutes Haar an der Türkei, scheinen sich in der neuen Heimat nie wohl gefühlt und bis heute Sehnsucht nach dem so viel freieren Leben ihrer Kindheit zu haben. Doch erzählt werden die Geschichten von emotionaler Einsamkeit (“Dein Großvater hat mir in 30 Jahren nie gesagt, dass er mich liebt”) und Verlust von persönlicher Freiheit wie Kinobesuchen oder Schulbildung in einem seltsam amüsierten Tonfall, der mehrfach in Gelächter übergeht. In Vratnik 13 macht Özlem Sulak sich auf, um der Vergangenheit von Großmutter und Großtante selbst nachzuspüren. Im kriegsversehrten und im Schneematsch trostlos daliegenden Sarajevo der Gegenwart versucht sie, das Haus der Kindheit beider Frauen in der Straße “Vratnik 13” zu finden. Angeleitet wird sie dabei von der Erinnerung ihrer Großmutter, die ihr per Handy den Weg durch eine Realitität weist, die schon lange nicht mehr existiert. In Deutsches Auswandererhaus schließlich begleitet Sulak vier türkische Frauen beim Besuch des Deutschen Auswandererhauses in Bremerhaven. Statements zur Siuation der Auswanderer des 19. Jahrhunderts, die im dortigen Museum erfahrbar gemacht werden soll, verschmelzen hier mit der persönlichen Erfahrung, fremd in einem fremden Land zu sein. In Bremen wird Sulak die drei Filme Granny (2005), Vratnik 13 (2007) und Deutsches Auswandererhaus (2008) in Installationen einbetten, die die jeweilige Atmosphäre der Arbeiten aufnehmen und verstärken.

Nach Studien in Istanbul und Liverpool studiert Özlem Sulak derzeit an der Hochschule für Künste in Bremen. Sie ist Gewinnerin des Villa Minimo Stipendiums des Kunstvereins Hannover und des Bremer Videokunstförderpreises 2008.

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Kathrin Sonntag. SUPERKALIFRAGILISTIGEXPIALIGETIK
Özlem Sulak. AUFENTHALTSERLEBNIS
Kurator: Janneke de Vries