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Kein schöner Land in dieser Zeit, als hier das unsre weit und breit,

Heißt es in dem Volkslied, das von Florentin Zuccalmaglio in der ebenso national bewegten wie schwermütigen Spätromantik zur Mitte des 19. Jahrhunderts erstmalig niedergeschrieben wurde. Weil diese beiden Zeilen allein für eine Strophe nicht reichten, schob Zuccalmaglio noch zwei nach:

wo wir uns finden wohl unter Linden zur Abendzeit. Wo wir uns finden wohl unter Linden zur Abendzeit.

Linden sind auf den Fotografien aus Palästina von Peter Riedlinger nicht zu sehen. Nur Geröll, Sand und am Horizont: Bauten. Frei geräumt ein Bolzplatz. Zwei improvisierte Tore reichen aus, um der Aussichtslosigkeit der martialischen Spiele der Erwachsenen wenigstens bis zur Halbzeit zu entkommen. Stein um Stein ist hier angereichert mit Emotionen, Legenden und Geschichten, realen Geschichten von Attentaten und Vergeltungsaktionen. Nicht erst seit Scharons Visite auf dem Tempelberg, sondern viel, viel ältere Geschichten. Unter jedem Stein die Bruchstücke vergangener Kulturen. Hinter jedem Busch die Verklärung eines "schönen Landes". Frieden für Land lautete die vereinfachende, spätestens mit der zweiten Intifada überholte Lösung für den seit mehr als vierzig Jahren zwischen viel und weniger Krieg schwankenden Nahostkonflikt. Wieviel der Begriff der "Nation" bedeutet, wenn so etwas wie Staat, verbissen in einem Reflex kämpferischer Tradition, nur aus einem undurchsichtigem Geflecht aus Vetternwirtschaft und ideologischen Flügelkämpfen besteht? Wieviel das Wort Heimat erhoffen läßt, wenn einem diese paar Quadratkilometer kargen, überbevölkerten Landes vorenthalten wird? Wie unbeirrbar die mißtönende Klaviatur aus Volk und Religion weiter gespielt wird, wenn aus Unkenntnis Feinde wachsen müssen?

Eine Heimat, die in traurigen, kämpferischen Liedern besungen wird, in der jugendliche Selbstmordattentäter als Märtyrer gelten. Eine Heimat, die für die meisten Exil-Palästinenser nur aus der Ferne so herzensnah erscheint. Ein durch die besondere Situation vielleicht noch erklärbares, eigentlich aber unzumutbares und unzeitgemäßes Verständnis von Volk und Nation.

Lieder voller Pathos durfte Zuccalmaglio noch voller Lust bis zum letzten Tropfen auskosten.

Kein schöner Land. Idylle schon damals eine Traumvorstellung. Alptraum für E.T. A. Hoffmann oder Heinrich von Kleist. Das "schöne Land" bei Michael Scheffer wirkt ebenso düster und träumerisch-romantisch wie Hoffmanns Erzählungen. Die Schwarz-Weiß Fotografien zeigen nicht Landschaften im eigentlichen Sinne, sondern eher Seelenlandschaften. Kaum identifizierbare Spuren von Landschaft. Dort ist zu erahnen ein Horizont, der sich etwas dunkler abzeichnet, vielleicht auch sind Fenster als verwaschene hellere Partien erkennbar. Schemenhaft bleibt der Eindruck und wie ein schwerer Vorhang liegt ein dunkler Schleier über den kleinformatigen Abzügen. Eine Reise ins Innere ist dies, fast eine persönliche Topographie. Sehnsuchtsvorstellung für diejenigen, die Welt als Funktion aus Watte und Weichzeichner verstehen wollen.

Auch Harf Zimmermann sucht die Idylle. Zwischen Hirten und Watzmann bemüht er sich um seine Position zu einer Landschaft, die „unberührt" zu nennen Skiurlaub, Sessellift und Schneekanonen verbieten. Die Panoramen von Zimmermann sind von derlei Industrialisierung der massentouristischen Fit for Fun Ideologie ungetrübt. Die tausendfach replizierten Motive der fremdenverkehrlichen Selbstvergewisserung nimmt sich Harf Zimmermann zum Gegenstand seiner Serie. Hin- und hergerissen zwischen menschlich nachvollziehbarer Faszination aus Alpenglühen und Bergkämmen und fotografischem Mißtrauen an der Abrufbarkeit dieser Abbildungen, dreht sich Zimmermann inmitten der Berglandschaft im Kreis. Mit verschiedenen Kameras fotografiert er rundherum ein 360° Panorama und fügt die Einzelbilder in der digitalen Nachbearbeitung wieder nahtlos zusammen. Das Objektiv sieht plötzlich mehr als jeder knipsende Tourist, der atemlos und verschwitzt auf dem obersten Plateau der ordentlich befestigten und mehrsprachig ausgeschilderten Wanderwege wenige Minuten verharrt, um sich und seinen Aufstieg vor der Einkehr in die nächste zünftige Bergstube zu feiern. Im Rücken Berge, vor der Nase Berge und an beiden Ohren auch! Wie gut, dass dem Menschen ohne technische Hilfsmittel der Rundumblick erspart bleibt, sonst würde ihm gewahr werden, dass vor ihm derselbe Weg liegt, wie hinter ihm. Die ungewohnte Rundperspektive irritiert den Blick bei Zimmermann. Im aufgeklappten Panorama ist kein Platz, um einen Standpunkt einzunehmen, so wie bei Max Baumann aus schwer nachvollziehbaren Gründen die banal erscheinenden Ansichten irgendwie beunruhigen. Ein Park, ein matschiges Flußbett, ein Steg, Müll an der Böschung! Das ist lapidare Zivilisationslandschaft, doch irgendetwas scheint nicht den Sehgewohnheiten zu gehorchen. Ohne wirklich Bildverzerrungen wahrzunehmen, beginnt man unweigerlich diese zu suchen. Als würde man auf eine Totale des frühen David Lynch länger schauen dürfen, als uns dies der Großmeister des ungeklärten und unerklärlich Abwegigen im Normalen jemals erlauben würde. Baumann setzt rein mechanische Verschiebungen ein. Manchmal verschiebt er die Mittelachse seiner Großbildkamera, manchmal dreht er den Rahmen aus der Parallelität.

Dem Spiel dienten auch die bekanntesten Beispiele der Irrgärten in der Garten- und Landschaftsarchitektur wie z. B. das Hampton Court Maze in der englischen Grafschaft Surrey oder die Gärten von Versailles. Sich im Spiel zu verlieren oder die Gespielin unbeobachtet zu gewinnen, waren die Leitmotive des höfisch-barocken Wunsches nach Zerstreuung durch eine Gartenlandschaft, die dem souverän Untertan war. Bäume beschnitten, Hecken gestutzt und die Wildnis des Waldes gezähmt als Irrgarten. Der wahre Boom an Irrgärten und Labyrinthen im ausgehenden Barock entsprang weniger einer intensiven Beschäftigung mit dem antiken Minotaurus als viel mehr dem Streben Landschaft zum Zwecke des eigenen Vergnügens zu instrumentalisieren. Jürgen Hohmuth hat, fasziniert von der ornamentalen Struktur dieser frühen Freizeitparks, die noch bestehenden Irrgärten fotografiert. Da das Nicht-Überblicken-Können zur wesentlichen Eigenschaft eines Labyrinths gehört, hat er dazu seine Kamera unter einen Ballon geschnallt, um aus vertikaler Perspektive das zu erfassen, was einem als Theseus nur mit Bindfaden gelingt. Dabei geht gewollt oder ungewollt auch die allerletzte Spur eines Geheimnisses verloren, die strikte Vogelperspektive läßt die Fotografien dokumentarisch erscheinen. Dies umso mehr, da das Labyrinth schon lange nicht mehr Instrument des Vergnügens, aber auch nicht mehr Topos des Feuilletons ist. Netzwerke, mäandernde Strukturen, bio-hybride Formenvielfalten sind die zeitgenössischen Denkmuster des Sich-Verlierens. Nicht einmal die Garten- und Landschaftsarchitekten scheinen noch Spaß am jahrelangen Herumstutzen von Buchsbaumhecken zu haben. Sie fühlen sich als Künstler und ordnen den Wildwuchs intuitiv.

Mit der Allmacht des Bildes verschwand auch sehr bald der liebevolle, immer auch kunsthandwerkliche Ansatz des Dioramas. Bildproduktionsmaschinen entstanden, Bildprojektionspaläste ersetzten das Jahrmarktsspektakel. Das reichte sehr lange, doch mit einem allgegenwärtigen Bildüberfluss muß das Besondere heute wieder ganzkörperlich erlebbar sein.

Die Event-Architektur zeitgenössischer Erlebniswelten gaukelt uns noch viel mehr ein fast reales Erfahren vor. Die themed cities der Magic worlds von Thomas Wrede. Die Fotoserie des 1963 im sauerländischen Letmathe geborenen, in Münster lebenden Fotografen zeigen die menschenleeren Kulissen des modernen Freizeitvergnügens im Fantasia Land bei Köln oder in der Warner Bros. Movieworld bei Bottrop. Kalkulierte, hochtechnisierte Landschaften, die irgendwie an Afrika, an Westernstadt und Grand Canyon erinnern. Eine bizarre Erstarrung hat diese in der täglichen Freizeitmaschinerie eigentlich Feuer spuckende, sich bewegende, von weinenden Kindern angepackte und von Schlange stehenden Kleinfamilien verdeckte Pappmachéwelt erfasst. Ein Dornröschenschlaf nur für eine Nacht. Dann geht es weiter. Lautsprecher werden dann wieder auf der Suche nach den Eltern des kleinen Dennis die säuselnde Muzak unterbrechen und den Fahrer mit dem amtlichen Kennzeichen letztmalig auffordern und so weiter jeden Tag.

Kein schöner Land in dieser Zeit, Da haben wir so manche Stund, gesessen so in froher Rund, und taten singen, die Lieder klingen, im Eichengrund, und taten singen, die Lieder klingen, im Eichengrund

lautet die zweite Strophe des bekannten und beliebten Volksliedes.

Der Eichengrund bei Andrea Sunder-Plassmann hat jene Dimension eingebüßt, die im romantischen Liedgut noch leise Schauer über den Rücken rieseln ließen. Die Eiche gilt als "deutschster" unter den deutschen Laubgehölzen und der Eichengrund als Sinnbild des dunklen, mächtigen, mythischen Ortes heidnischer Herkunft. Die Germanen, diese halbnackten Barbaren, streiften durch die Wälder und kannten weder Kirche noch Tempel, sondern fanden sich ein am Fuße alter Eichen um hier ihren Gottheiten zu opfern. Das Eichenlaub als Signum deutschen Heldenmutes fand Einzug in Orden und Uniformen. Durchs Laubdach fallende Lichtstrahlen versetzten nicht nur Maler der letzten Jahrhundertwende in Verzückung, sondern gehören zum Masterplan der als "schön" akzeptierten Grundmodule der Kalender- und Postkartenmotive. Von diesem Eichengrund will Andrea Sunder-Plassmann nichts wissen. Ihre Fotoarbeiten von Wäldern sind elektronisch bearbeitete stereoskopische Aufnahmen, die mit einer rot-grünen Brille betrachtet dreidimensional erscheinen. Die Äste ragen ins Gesicht, bis zur Unschärfe sind nur Stämme und Geäst zu erkennen. Man selbst ist darin verloren. Der Wald, dieses gezähmte Stückchen wieder aufgeforstetes Biosphärenreservat, wirkt auf einmal wieder so bedrohlich, wie er einst Varus erschienen sein mag, als seine Armeen im Ost-Westfälischen von diesen kulturlosen Unholden und Ogern niedergemetzelt wurden.

In diesem Sinne: Da haben wir so manche Stund, gesessen so in froher Rund

T.S. (Pressetext)

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kein schöner Land II - mehr topografische Fotografien

mit Max Baumann, Jürgen Hohmuth, Peter Riedlinger, Michael Scheffer, Andrea Sunder-Plassmann, Thomas Wrede, Harf Zimmermann