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Die israelische Künstlerin und Filmemacherin Keren Cytter (geboren 1977 in Tel Aviv, lebt in New York) gehört zu den innovativsten und vielfältigsten VideokünstlerInnen unserer Zeit. Cytter dokumentiert und analysiert soziale Beziehungen mit Schwerpunkt auf die zwischenmenschliche Kommunikation und Interaktion im Alltag. Die Künstlerin erzählt Geschichten, die bisweilen Tatsache und Fiktion vermengen und mit witzigen, absurden und hintergründigen Dialogen gespickt sind. Entsprechend der Komplexität der gesellschaftlichen Verhältnisse wird Kritik hier nicht einfach ablesbar formuliert, vielmehr werden spezifische Thematiken in aufwendig verfassten Drehbüchern, in der Arbeit mit SchauspielerInnen und dem finalen Schnitt feinfühlig entwickelt und auf einer strukturellen Ebene in erstaunlicher Vielfalt präzise dargestellt. In der Entwicklung ihres künstlerischen Werkes scheint sie fast seismographisch den sozialen Veränderungen unserer Gegenwart zu folgen um den Nerv der Zeit in punktueller und zugespitzter Form in erstaunlicher Dichte zu treffen.

Bekannt wurde die Künstlerin durch ihre experimentellen Videoarbeiten, in denen sie sich mit der Frage auseinandersetzt, welchen Einfluss die Medienkultur auf zwischenmenschliche Beziehungen ausübt. Augenscheinlich geht es Cytter nicht um eine lineare Erzählung oder die Suche nach der daraus folgenden „Wahrheit“, sondern vielmehr darum, wie Beziehungsgefüge, Vorstellungen und Gemütszustände überhaupt eine äußere Form bekommen. In ihren Videos vereint und überschneidet sie verschiedene Erzählsprünge und Erzählstränge, geographische Situationen, Zeitebenen und Rollenzuweisungen. Denken und Sprechen fallen da oft in eins. Dem künstlerischen Prozess des Filmemachens als reinen Ausdruck und Repräsentation einer affektiven Sprache der Gefühle und Gedanken von Protagonisten entzieht sie sich mit filmischen Mitteln: spiralförmigen, sich wiederholenden Erzählungen, Montagesprüngen, Doppelbelichtung, künstliche Belichtung oder dem Spilt Screen. Dabei bleiben die Arbeiten ambivalent – eine Mixtur aus High and Low, aus Enthusiasmus und misstrauischer Haltung. In einem Interview behauptet die Künstlerin bezüglich ihren Arbeiten: „The humour comes out of embarassment and the serious part out of stress.“ Die Videos entziehen sich einer deutlichen Lesbarkeit und rufen dabei ebenso Verwirrung und Irritationen, wie auch Vergnügen und Überraschungen hervor.

Für die aufwendige Grazer Personale „Selection“ bespielt Cytter eine eigens adaptierte Ausstellungsebene installativ mit einer Auswahl von Videos und weiteren Arbeiten. In überraschenden Wendungen dreht die Künstlerin nicht nur die Eingangssituation der Institution Richtung der Anlieferung von Großobjekten um, sondern lässt mittels eines in Spiegelungen aufgebauten Parcours einen frischen Blick auf eine persönliche Auswahl ihres seit über 15 Jahren angewachsenes Oeuvres werfen, der das Publikum zu einer aktiven Teilnahme ähnlich eines Schauspielers ihrer Videos auffordert. In den gezeigten Arbeiten lässt sich Cytter teils von Filmemachern wie John Cassavetes („Untitled“) oder Pierre Paolo Passolini („Force from the past“, „In search for brothers“) inspirieren und bedient sich unterschiedlichen Genres wie dem Slasher Film, dem französischen Autorenkino, Film Noir, Melodrama, aber auch Nachrichtenformaten oder Musik Clips. Cytter bezieht sich dabei sowohl auf die Bildsprache des experimentellen und des klassischen Kinos, als auch auf Literatur, Theater und popkulturelle Soap Operaoder YouTube-Fragmente. Sie verbindet Elemente dokumentarischer und fiktionaler Herkunft zu einer ausdrucksvollen Ansammlung filmischer Motive. Als Strategie werden diese filmischen Klischees oft unverzüglich und gerne auch skurril von der Künstlerin entblößt. Auch wenn die zusammengestellten Videos nicht versuchen eine konkrete Geschichte zu fassen, so werden dennoch immer wieder Fragmente von Erzählungen und Handlungen generiert. Die gezeigten Videos folgen keiner linearen Erzählung, sondern machen als bewusste filmische Verfahrensweise ein Panoptikum an Alltagsszenen auf. Die Künstlerin verarbeitet darin Bilder und Codes, wie man sie heute durch unterschiedliche Geräte und Kameras konsumiert. Dabei wird das originale Material gerne durch Aufnahmen aus anderen, unterschiedlichen Quellen ergänzt. Die Videos ergänzen ihre Standpunkte und Ansichten und verweben sich am Ende zu einem subjektiven Standpunkt, der gleichzeitig die Vielfalt der künstlerischen Produktion erkennen lässt.

Für die Ausstellung entsteht mit „Object“ ein neues Video, das Keren Cytter in ihrem Apartment in Manhattan gedreht hat. In „Object“ verändert sie recht radikal die Nutzbarkeit ihrer Privaträume, indem sie diese über weite Strecken mit Mehrzweckplanen einhüllt und daraus im Hinterhof ein Swimmingpool formt, um es im Winter mit Wasser befüllt zu nutzen. Durch das Spiel mit personalisierten „Kontinenten” zeigt das Video sich stetig wandelnde Gesellschaftsbeziehungen, steht dabei aber auch für ein poetisches Spiel um Formen der Kommunikation und ihrer Machtverhältnisse.

Begleitend erscheint die von der Künstlerin verfasste Novelle „A-Z life coaching“ (Sternberg Press).

Die Ausstellung wird großzügig von der AVL Cultural Foundation (Graz) unterstützt.

Kuratiert von Sandro Droschl.