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Hellweiße Räume. Alles ist in ein überirdisches Weiß getaucht, das die Räume der Galerie überzieht und gleißend durchstrahlt. Kurz ist man versucht, an Stanley Kubricks 2001 zu denken, denn das lichte Weiß, das vom styroporausgelegten Boden und den ohnehin weißen Wänden scheint, ist wahrlich nicht von dieser Welt.

Doch mit jedem Schritt kommen nach und nach die Kunstwerke in den Blick und machen klar, dass es sich hier um ein ganz irdisches Überirdischsein handeln muss. Wobei in der Art, wie sich Boden, Wände und Werke darbieten, schwer zu sagen ist, wasalles mit zur Ausstellung gehört, was Teil des Gesamtkunstwerks ist, das Carola Ernst, Matthias Hesselbacher, Ludwig Kreutzer, Stefan Pfeiffer, Katrin Rother und Thomas Zipp eingerichtet haben, und was nicht.

Selbst ordinäre Steckdosen scheinen entrückt und ihrem alltäglich pflichterfüllenden Dasein enthoben. Denn das Weiß macht die Dinge, die Bilder, Zeichnungen, Skulpturen, Fotografien leicht. Es lässtsie beinahe auf den Wänden schwerelos umhertreiben.

Und überhaupt KICK THAT HABIT! ist alles andere als eine herkömmliche Ausstellung. Weder ist es eine Zusammenstellung von einem Professor und seinen Studenten (was faktisch natürlich trotzdem der Fall ist), noch die xte Gruppenausstellung mit wechselndem, nein, austauschbarem Personal. Keineswegs. Sowas will ja niemand sehen und austauschbar ist hier niemand.

Vielmehr wird die Ausstellung zu einer umfassenden Raumarbeit, die sich über zwei Stockwerke erstreckt und in sorgsamer Auswahl die unterschiedlichsten Arbeiten miteinander verbindet, sie mit einem ausladenden Rhythmus, der sich über Böden und Wände erstreckt und selbst die Beleuchtung mit einschließt, erfasst und zu einem großen, luftigen Ganzen vereint. Werk steht gleichberechtigt gegen Werk und spricht für sich und gleichsam sind alle Werke Teil eines immensen ornamentalen Sogs, der durch die Galerie geht.

Gegenüber der schwelgend gestimmten und schwelgend stimmenden Erscheinung der Ausstellung kündet der Titel derselben von den Abgründen ungleich härterTatsachen.

KICK THAT HABIT! ist eine Verszeile des amerikanischen Dichters Brion Gysin und meint zunächst das ‚clean-Werden’ eines Drogensüchtigen, das Runterkommen, das Kopf- und Körperfreikriegen – mit allen unmenschlich kreatürlichen Abwegen.

Allerdingsschwingt darin ebenso der Bruch mit allen eingefahrenen Gewohnheiten und Normen mit. Ein fiebriges Aufbegehr, das, ohne sich halsstarrig darauf festzulegen, auch für diese Ausstellung wichtig ist.

Denn gemeinsam mit dem Schriftsteller William S. Burroughs – ein großer Freund verdrehter nackter Tatsachen selbst beim Mittagessen – hat Gysin Ende der 1950er in einem schäbigen Pariser Hotel, irgendwann in irgendeiner Nacht die artistischen Methode des cut-ups erfunden. Besser sollte man sagen, mit Papier und Schere erschnitten.

Die cut-up-Technik hat ihre Wurzeln ursprünglich in der surrealistischen Écriture automatique, im unwillkürlichen Zusammenstellen nicht zusammenpassender Dinge, Erinnerungen, Träume, kruder Begierden oder hehrer Wünsche, exquisiten Kadavern, um die ungeahnten imaginären Kräftedes Unbewussten anzuzapfen. Gleich wie kraus das klingt, es sollte dennoch so schön sein wie die Begegnung einer Nähmaschine mit einem Regenschirm auf einem Seziertisch.

Bei Burroughs/Gysin wird die cut-up-Technik nun zu einer Methode, die gegebene Wirklichkeit aufzuschneiden (in damit wieder freigewordene Bild-, Text-, Gedanken- oder Gefühlsbruchstücke). Es ist eine Methode, um sich der als unerträglich empfundenen Normierung durch die Gesellschaft mit ihren Konventionen zu entziehen. Burroughs dazu: 'Der magische Firlefanz alterZauberer und die Mittel zur paralysierenden Macht moderner Massenmedienwerden parallel geschaltet, alte und neue Schamanen bedienen sich im Prinzip ähnlicher Zaubertricks, und unsere sogenannte Zivilisation erscheint mehr und mehr wie eine in Stahl und Chrom verkleidete archaische Stammesform.'

Um diese faulen Zauber auszutreiben, nutzen Burroughs/Gysin das cut-up, um Gewohntes zu Ungewohntem zu machen, um bislang hingenommene Allerweltswahrheiten zu verweigern und durch Zerlegung und anschließender Wiedermontage, durch Verdrehung, Veränderung oder Verschiebung von (Text-, Bild- & Realitäts-)Realität alles Unhinterfragte, mit dem man es Tag um Tag zu tun hat, zu entformeln, zu ‚entnormen’, zu dekodieren und wieder bedenkbar und – mit Blick auf die Kunst und die Ausstellung KICK THAT HABIT! – wieder anschaubar zu machen; sogar das Schreckliche.

Wiedie als gesetzt geltende Alltagssprache von Burroughs und Gysin als hohl und manipulatorisch entlarvt wird, so schicken sich Ernst, Hesselbacher, Kreutzer, Pfeiffer, Rother und Zipp an, das bestehende künstlerische Vokabular auf seine Tauglichkeit in der Auseinandersetzungmit der Wirklichkeit hin zu prüfen, es erst einmal von aller Bedeutung zu entkleiden, um dann zu sehen, welch’ neuen Worte und Formulierungen sich finden lassen.

Dass bei solch einem rauen Unterfangen keine zertrümmerte, wackelig zusammenmontierte, disparate Ausstellung herauskommen muss, führt KICK THAT HABIT! eindrücklich vor, denn die vorgenommene cut-up-Montage lässt allen eigensinnigen Stimmen, die darinvertreten sind, ihren Raum und doch spricht das Ganze wie mit einer entschwebenden Stimme.

Um doch noch einmal auf das Verhältnisvon Professor und Studenten zu kommen, lässt sich das unter KICK THAT HABIT! Postulierte auch im Anspruch an eine erfolgreiche Lehre an der Kunsthochschule wiederfinden und damit auch in der Auseinandersetzung mit Thomas Zipp. Seine Studenten nehmen gewissermaßen die Lehrinhalte auseinander, die somit zu etwas Eigenem werden. Man hat disparates Material, montiert es neu zusammen und schaut, was zwischen den Einzelteilen geschieht. Allesamt emanzipieren sie sich und beginnen, ihre ganz eigene Sprache zu finden und, wie man sieht, zu sprechen."