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Die Städel-Ausstellung „Kult Bild. Das Altar- und Andachtsbild von Duccio bis Perugino“ verfolgt die Entwicklung des italienischen Altarbildes und – damit aufs Engste verwoben – der italienischen Tafelmalerei zwischen dem 13. und dem späten 15. Jahrhundert. Die häufig fragmentierten, fast immer musealisierten Werke sind heute meist aus ihrem ursprünglichen Funktionskontext gerissen und dem Betrachter dadurch vielfach unverständlich, ja fremd geworden. Dies wird durch den Umstand verstärkt, dass sie für ein Kunstverständnis stehen, das sich seit der Renaissance grundlegend verändert hat. Die Ausstellung „Kult Bild“ verfolgt daher das doppelte Ziel, dem Besucher eine Vorstellung von der zeitgenössischen Auffassung der Bilder zu vermitteln und ihn darüber hinaus mit dem sich wandelnden Verständnis von Kunst und ihrer Herstellung in der Zeit von Duccio bis Perugino vertraut zu machen. Auf diese Weise wird nachvollziehbar, dass der lebhafte Austausch zwischen Altar- und Andachtsbild zugleich zur Entstehung all jener Gattungen beigetragen hat, die uns heute so selbstverständlich scheinen: des erzählenden Bildes, des Bildnisses, des Stilllebens und der Landschaft. Die herausragenden Gemäldebestände des Städel Museums werden durch Leihgaben bedeutender nationaler und internationaler Sammlungen ergänzt, darunter das Lindenau-Museum Altenburg, die Gemäldegalerie Berlin, das Musée des Beaux-Arts in Lyon, das Museo Thyssen-Bornemisza in Madrid, der Louvre in Paris oder das Museo Nazionale di San Matteo in Pisa.

Die Ausstellung „Kult Bild“ wird durch die Ernst-von-Siemens-Kunststiftung gefördert. Zusätzlich wird sie durch die Georg und Franziska Speyer’sche Hochschulstiftung, die Ferrero Deutschland GmbH, die Banca Monte dei Paschi di Siena SpA und die San Paolo Imi SpA unterstützt.

„Kult Bild“ betrachtet die Malerei eines Zeitalters, in der es „Kunst“ im neuzeitlichen Sinn noch nicht gegeben hat. Sprechen wir heute von Kunst, so gebrauchen wir dabei unwillkürlich eine Definition, die sich erst mit der italienischen Renaissance entwickelt hat und die den „Kunstwert“ des Kunstwerks in den Blick nimmt. Weder Duccio oder die Brüder Lorenzetti im Siena des 14. Jahrhunderts noch die Florentiner Lorenzo Monaco oder Fra Angelico im frühen Quattrocento hätten ihre Kunst in diesem Sinn verstanden – für sie dominierte noch der „Kultwert“ ihrer Werke. Erst um die Mitte des 15. Jahrhundert begannen sich mit Malern wie Andrea Mantegna die neuzeitlichen Kunstvorstellungen zu entwickeln, doch erst die Künstlergeneration des Perugino-Schülers Raffael sollte um 1500 die eigentliche Zeitenwende im Verständnis von „Kunst“ herbeiführen. Zuvor stand also weniger das „Kunstbild“ als vielmehr das „Kultbild“ im Blickfeld von Künstlern und Auftragebern, was sich auch in der Ausstellung widerspiegelt.

Kein Bild ist dem religiösen Kult näher als das Altarbild. Es diente nicht nur als dekorativer Hintergrund, vor welchem der Priester die Messfeier vollzog, sondern visualisierte wahlweise das in der Messe enthaltene Heilsversprechen oder die im Altartisch selbst geborgenen Reliquien. So selbstverständlich das Altarbild als liturgischer Ausstattungsgegenstand einer Kirche aus heutiger Sicht auch erscheinen mag, seine Existenz verdankt sich nicht zuletzt einem grundlegenden Wandel der kirchlichen Liturgie. Seit frühchristlicher Zeit hatte der Priester beim christlichen Gottesdienst meist hinter dem Altartisch gestanden und über diesen hinweg mit der Gemeinde kommuniziert. Im 13. Jahrhundert jedoch veränderte sich sein Standort: Der Priester trat nunmehr vor den Altar und wandte der Gemeinde bei der Messfeier den Rücken zu. Das ist die Geburtsstunde des Altarbildes, denn erst durch diese scheinbar belanglose Veränderung der Gottesdienstordnung wurde es möglich, Bilder fest am Altartisch zu installieren und dort permanent zu zeigen.

Kaum eine andere Bildaufgabe hat sich in so kurzer Zeit derart erfolgreich durchsetzen können wie das Altarbild, befriedigte es doch in idealer Weise das Visualierungsbedürfnis der Gläubigen, die in immer stärkerem Maße das sehen wollten, was sie glaubten oder glauben sollten. Das erklärt nicht nur den verblüffend raschen Siegeszug des Altarbildes in ganz Europa, sondern auch die Entwicklung vielfältiger Altarbild-Typen gerade in Italien. Die bedeutendsten Künstler ihrer Zeit waren an diesem Prozess beteiligt, und die Kultorte, für die diese Neuerungen erdacht und produziert wurden, waren die religiösen und politischen Zentren ihrer Zeit.

Zwei herausragende Altarbild-Ensembles stehen im Mittelpunkt der Ausstellung: die nur in fragmentiertem Zustand überlieferten Hauptaltäre aus der Kathedrale von Siena sowie das erste erhaltene Hochaltarbild aus der Benediktinerabtei S. Pietro bei Perugia. Für den Sieneser Dom entstanden um 1270 Guido da Sienas Altartafel der Madonna mit Kind sowie erzählende Darstellungen aus dem Leben Christi, von denen drei in der Ausstellung gezeigt werden können. Die Altartafel ersetzte und übertrumpfte künstlerisch jenes wundertätige Marienbild, das den Sienesen 1258 den Sieg über die weit überlegenen Florentiner in der Schlacht bei Montaperti gesichert haben soll. Denn in scheinbar auswegloser Lage hatten die Sienesen sich und ihre Stadt vor der Schlacht der Gottesmutter geweiht, den Sieg errungen und Siena anschließend zur Stadt der Jungfrau Maria erklärt. Zur Feier der neuen Stadtpatronin musste jedoch auch Guido da Sienas hoch verehrte Tafel bereits im Jahr 1311 einem grandiosen neuen Marienbild auf dem Hauptaltar weichen: Duccios „Maestà“, die gleichfalls ein monumentales Madonnenbild mit zahlreichen erzählenden Szenen aus dem Neuen Testament verbindet. Die „Maestà“ schließlich wurde in den 1330er Jahren rechts und links im Vierungsbereich durch vier bedeutende, vielteilige Altarbilder von Simone Martini, Pietro und Ambrogio Lorenzetti sowie Bartolomeo Bulgarini umgeben, die den bisherigen Stadtpatronen geweiht waren. Hier stehen die Heiligen nicht mehr im Zentrum der Altarbilder, sondern sind durch erzählende Bilder aus dem Marienleben ersetzt worden. Diese bahnbrechende Innovation – eine Bilderzählung im Zentrum des Altarbildes – sollte die weitere Entwicklung dieser Bildgattung entscheidend bestimmen. Die sich wandelnde Auffassung von Gestaltungsanforderungen sowie die Ersetzung bzw. Ergänzung der einzelnen Altarbilder durch jüngere und dadurch zugleich „moderne“ Werke zeigt deutlich den sich verändernden Zeitgeschmack. Ähnlich verhält es sich auch mit einem zweiten bedeutenden Altarbildensemble, das ursprünglich den Hochaltar von S. Pietro in Perugia schmückte: Meo da Sienas doppelseitig bemaltes, längsrechteckiges Retabel von Anfang 1330, das zur Gänze in der Ausstellung gezeigt wird. Auch dieses Werk wurde 150 Jahre später durch ein anderes Bild ersetzt, das den veränderten zeitgenössischen Vorstellungen besser entsprach: Pietro Perugino gestaltete seine Himmelfahrt Christi nun als mächtige, hochrechteckige Komposition und damit im Geschmack der Hochrenaissance.

Mit den Altären aus Siena und Perugia werden mit dem aus vielen Einzelbildern zusammengesetzten Polyptychon und der monumentalen Einzeltafel bereits ganz unterschiedliche Lösungsmöglichkeiten für die Bildaufgabe Altarbild in der Ausstellung präsentiert. Sie werden um eine Reihe weiterer Altarbildtypen ergänzt, welche die italienische Malerei bis 1500 hervorgebracht hat und die allesamt das zunehmende Eindringen von narrativen Elementen in die Bildgestaltung zeigen. Denn die frühesten Altarbilder präsentierten in beherrschender Mittelanordnung die frontale, ikonenartig-feierliche Gestalt jenes Heiligen, dem der jeweilige Altar geweiht war. Erzählende Darstellungen aus der Heiligenvita kamen – im Wortsinn – nur am (Bild-)Rand vor. Doch bereits im 14. Jahrhundert setzte ein Prozess der Inversion ein, bei dem die Bilderzählung von der Peripherie ins Zentrum der Altarbildgestaltung strebte. Am Vorabend der Hochrenaissance schließlich hatte das erzählende Bild den absoluten Vorrang erlangt und die anfängliche ikonische Einzeldarstellung der Heiligenfigur aus dem Altarbild verdrängt.

Das Altarbild steht zugleich auch am Anfang des Siegeszuges des mobilen Tafelbildes, das ebenfalls in immer stärkerem Maß Erzählcharakter annahm. Denn das Altarbild lieferte zunächst auch für das Andachtsbild, also für das frühe Tafelbild schlechthin, die gestalterischen Vorgaben. So spiegeln sich die Entwicklungen des Altarbildes in den kleinformatigen Werken für die privaten Stifter, die auch mit diesen für die individuelle Andacht bestimmten Bildern am Prestige der monumentalen, die Öffentlichkeit adressierenden Altarbilder teilhaben wollten. Werke beispielsweise von Pietro Lorenzetti, Bernardo Daddi oder Lorenzo Monaco stehen in der Ausstellung für diesen Trend der „Miniaturisierung“ des öffentlich präsentierten Kultbildes. Einzelfiguren in ikonischer Gestaltung wurden zunächst nur am Rande mit erzählenden Details ergänzt, doch bald drang die Bilderzählung auch ins Zentrum des Tafelbildes vor und wiederholte damit den Entwicklungsprozess, der bereits im monumentalen Altarbild stattgefunden hatte. Mit dem erzählenden Halbfigurenbild sollte im späteren 15. Jahrhundert eine neue Form der Umbildung des ganzfigurigen Altarbildes aufkommen, durch welche der Betrachter auch emotional direkt angesprochen werden konnte; Mantegna, Bellini und Perugino waren hier besonders erfolgreiche Protagonisten. So entwickelten sich rasch um das Altarbild herum bzw. aus dem Altarbild heraus neue, eigenständige Bildaufgaben, die sich Stück für Stück aus dem kultisch-sakralen Kontext emanzipieren und letztlich eigene Bildgattungen wie das Genre, das Stillleben oder das Porträt bilden sollten.

Die Ausstellung beruht in ihrer Konzeption auf den mehrjährigen wissenschaftlichen Forschungsarbeiten für die beiden jüngst publizierten Teilbände des wissenschaftlichen Bestandskatalogs der frühen italienischen Gemälde im Städel (Jochen Sander, „Italienische Gemälde im Städel, 1300–1550. Oberitalien, die Marken und Rom“, sowie Rudolf Hiller von Gaertringen, „Italienische Gemälde im Städel, 1300–1550. Toskana und Umbrien“, beide erschienen im Verlag Philipp von Zabern, Mainz 2004).

Kurator: Priv.-Doz. Dr. Jochen Sander

Katalog: „Kult Bild. Das Altar- und Andachtsbild von Duccio bis Perugino“. Hrsg. von Jochen Sander, Städel Museum. Mit einem Vorwort von Max Hollein. Mit Beiträgen von Matthias Th. Kloft, Jochen Sander, Rita Sauer und Stefan Weppelmann. 312 Seiten, deutsch/englisch, 97 Farbtafeln, 161 Schwarzweißabbildungen, Michael Imhof Verlag, Petersberg 2006, ISBN 3-86568-128-X

Pressetext

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Kult Bild.
Das Altar- und Andachtsbild von Duccio bis Perugino
Kurator: Jochen Sander

Werke von Fra Angelico, Giovanni Bellini, Bartolomeo Bulgarini, Barnaba da Modena, Duccio di Buoninsegna, Bernardo Daddi, Guido da Siena, Pietro Lorenzetti & Ambrogio Lorenzetti, Bicci di Lorenzo, Simone Martini, Meo da Siena, Lorenzo Monaco, Pietro Perugino, Sano di Pietro, Raffael  ...