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„Die Bohème ist die Vorstufe des Künstlerlebens. sie ist die Vorrede zur Akademie, zum Hospital oder zum Leichenschauhaus."

So charakterisiert der französische Autor Henri Murger das Phänomen in seinen 1851 erschienenen Buch Scènes de la Vie de Bohème: ein Durchgangsstadium, das durch Normverstöße in der Lebensführung provoziert und fasziniert. Das Bild vom Künstler als Außenseiter, der im bürgerlichen Zeitalter in romantischer Armut lebt, wurde heiter verklärt und durch Puccinis Oper, die auf Murgers Urtext basiert, vollends popularisiert. Damit wurde der Begriff Boheme zum Synonym für den Künstler des 19. Jahrhunderts, der einem anonymen Markt ausgesetzt und gezwungen war, seine Leistungen zu verkaufen, um zu überleben. Mitten in die Zeit der Entstehung der Boheme-Legende zur Untermauerung künstlerischen Selbstbewusstseins fiel die Erfindung der Fotografie. Wie stark die schillernde Lebenseinstellung der Musiker, Schriftsteller, Maler und auch der Fotografen selbst sich in fotografischen Inszenierungen spiegelt, zeigt diese Ausstellung im Museum Ludwig.

La Bohčme. Die Inszenierung des Künstlers in Fotografien des 19. und 20. Jahrhunderts

Sie setzt in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts mit Aufnahmen aus der Frühzeit der Fotografie ein: Louis Alphonse de Brébisson etwa inszenierte um 1842 eine Gruppe musizierender und malender Freunde als Inbegriff einer romantischen Künstlergemeinschaft der Boheme. Der Bogen spannt sich von frühesten Daguerreotypien über markante Portraits von Nadar bis zu den Künstlerfesten der 1920er Jahre und verfolgt die Idee der Boheme in fotografierten Portraits und oft aufwendig choreographierten Szenarien. Prominent vertreten sind die Aufnahmen von Felix Tournachon genannt Nadar, der nicht nur führendes Mitglied der Pariser Boheme war, sondern seine Freunde und Zeitgenossen wie Charles Baudelaire oder Gustave Courbet auch in seiner legendären Portraitgalerie inszenierte. Fruchtbar war auch die Zusammenarbeit von David Octavius Hill und Robert Adamson, deren Inszenierungen in Bildern wie Edinburgh Ale das Ziel hatten, sich selbst in die Nähe der künstlerischen Boheme zu rücken. Historienspiele und Aufführungen von so genannten Lebenden Bildern erzählen vom Verkleidungsaufwand unter anderem für Künstler- und kademiefeste des 19. Jahrhunderts. Von David Wilkie Wynfield, einem präraffaelitischen Fotografen wie Julia Margaret Cameron, werden zahlreiche stilisierte Portraitsinszenierungen nach historischen Vorlagen gezeigt.

Paris blieb die Metropole der Kunst und Künstler, und so sind es um´1900 die Selbstinszenierungen der Künstler aus Montmartre und Montparnasse, etwa Modigliani und Picasso, die vom Stilwillen der Dargestellten zeugen. Auch die Sozialfigur des Dandys ist im französischen Milieu des 19. Jahrhunderts entstanden und erfährt in der elbstdarstellung der Piktorialisten, in den künstlerisch mbitionierten Fotografien eines Alfred Stieglitz oder Frank Eugene Smith, besondere Ausprägung. Die skurrilen Verkleidungen des Schriftstellers Pierre Loti und die Atelierszenarien eines Alphonse Mucha wurden ebenfalls vom französischen Flair maßgeblich inspiriert. Opulent und phantasievoll sind die Künstlerfeste der 20er Jahre. Gezeigt werden Beispiele aus dem Malkasten Düsseldorf, aus Köln, Hamburg und vom Bauhaus in Weimar und Dessau, aufgenommen von bedeutenden Fotografen wie August Sander oder T. Lux Feininger. Im heutigen digitalen Zeitalter hat fast jeder Zeitgenosse die Möglichkeit, seine Selbstdarstellungen zu fixieren und weltweit zu verbreiten. Viele der unkonventionellen Inszenierungen lassen erkennen, dass der Mythos der Boheme alle Kriege und Katastrophen auch des 20. Jahrhunderts überstanden hat.

Prof. Dr. Bodo von Dewitz

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La Bohème
Die Inszenierung des Künstlers in Fotografien des 19. und 20. Jahrhunderts