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Landschaftsbilder waren schon immer Ausdruck gesellschaftlicher Vorstellungen. Sie erzählen auf eindrückliche Weise von unseren Sehnsüchten, Träumen und Ängsten. Wer sie zu lesen versteht, wird die Welt mit neuen Augen sehen. Spätestens seit Beginn der ökologischen Diskussion ist ein unbeschwertes Erleben von Natur kaum noch denkbar. Natur wird zum moralischen Gegenbild der eigenen Kultur. Aber auch politische und soziale Missstände rücken ins Blickfeld. Der deutsche Künstler Anselm Kiefer bringt es auf den Punkt: „Es gibt keine Landschaft, die völlig unschuldig ist.“

Die Weserburg, Bremens Museum für moderne Kunst, zeigt mit ihrer großen Sonderausstellung über 100 Landschaftsbilder aus vier Jahrhunderten. Von Gustave Courbet bis Roy Lichtenstein, von Joos de Momper bis Gerhard Richter entfaltet sich ein eindrucksvolles Panorama. Es reicht von der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts bis hin zu aktuellsten Positionen der Gegenwartskunst. Neben Malerei werden auch historische und zeitgenössische Fotografien sowie Videoarbeiten gezeigt. Das scheinbar Bekannte erfährt in der thematischen Gegenüberstellung von Alt und Neu eine überraschende Aktualität und Neubewertung, während Zeitgenössisches in seiner historischen Dimension verstanden werden kann.

„Pierre Bonnard, Gustave Courbet und Jan van Goyen haben mit Stan Douglas, Gerhard Richter und Richard Mosse etwas Grundlegendes gemeinsam, das es neu zu entdecken gilt: Sie zeigen uns ihren Blick auf die Welt, welcher sich am Ende als Blick auf uns selbst erweist“, erklärt Peter Friese, geschäftsführender Direktor der Weserburg.

Stan Douglas zeigt in seiner Fotografie ein faszinierend schönes Bergpanorama. Die Idylle wird jedoch durch eine qualmende Industrieanlage gestört. In diesem Sinne installierte auch David Teniers d. J. in seiner Landschaft mit Bauernhaus (1637-40) ein massives Galgengerüst. Er öffnet damit den Blick für eine Landschaftssicht, die im freundlichen Naturausschnitt das Abgründige erkennen lässt. Das ist ein zentrales Thema der Landschaftskunst, wie wir sie heute nicht nur bei Anselm Kiefer wiederfinden, sondern auch bei vielen anderen Künstlerinnen und Künstlern. Der Fotograf Richard Mosse zeigt ein traumhaft schönes Tal in pinkfarbener Tönung, in das ein großes Flüchtlingscamp eingebettet ist mit Tausenden von Menschen, die ihre Heimat im Kongo verloren haben.

In den dokumentarischen Aufnahmen der US Navy über Atomversuche auf dem Bikini-Atoll spiegelt sich eine entsetzliche Schönheit der Wolkenformation, die unsere Wahrnehmung zutiefst verunsichert. Vor solchem Hintergrund gewinnen Roy Lichtensteins poppige Bildzeichen, die Landschaften evozieren, einen neuen Sinn. Sie zeigen, dass der unschuldige Blick in die Natur verloren gegangen ist. Wir sehen, was wir erwarten und zu kennen glauben, aber auch das, was wir nicht wahrnehmen wollen.

Selbst in den Landschaftsbildern Gerhard Richters, die auf den ersten Blick einer romantischen Bildauffassung verpflichtet sind, finden sich bewusste Störungen und Brüche als Zeichen eines zivilisatorischen Eingriffs und einer nicht mehr heilen Natur. So wird die Ausstellung in der Weserburg zu einem Ort der Entdeckungen, wo Vertrautes neu wahrgenommen werden kann. Sehnsuchtslandschaften offenbaren ihre unerwartete Bedrohung und erweisen sich gerade dadurch als faszinierende Kunstwerke.

Die Ausstellung wird durch Leihgaben ermöglicht. Ein Großteil der Arbeiten stammt aus Privatbesitz, Courtesy Stiftung Situation Kunst, Bochum. Weitere Werke stammen aus der Sammlung Böckmann, Sammlung Ströher, Sammlung von Kelterborn sowie weiterer Leihgeber.