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In einer umfassenden Retrospektive würdigt die Schirn den großen "Magier der Stille" James Lee Byars (1932–1997). Seit den frühen 1970er Jahren ist der amerikanische Künstler mit Performances, Objekten, Skulpturen und Räumen international präsent. Die Ausstellung zeichnet die Entwicklung seines einflussreichen Werkes nach, das während seines nomadischen Lebens zwischen Japan, Europa und den Vereinigten Staaten entstand: von den Performances, Papier- und Stoffarbeiten, die um existenzielle Fragen kreisen, bis hin zu den späten Skulpturen aus Gold und Marmor, die Liebe und Tod als Ausdruck des Vollkommenen thematisieren. Neben der Präsentation einer Reihe monumentaler Arbeiten wie dem über 17 Meter hohen Golden Tower oder der 300 qm großen Bodeninstallation The Red Angel of Marseille aus tausend roten Glaskugeln wirft die Ausstellung auch die Frage auf, wie man mit dem performativen Werk eines verstorbenen Künstlers umgeht, der ein Meister der Inszenierung der eigenen Person war und einen unvergleichlichen Beitrag dazu leistete, das Verhältnis von Kunstwerk und Betrachter, von Kunst und Leben zu egalisieren.

Max Hollein, Direktor der Schirn Kunsthalle: "Mit der Ausstellung unterstreicht die Schirn die herausragende Bedeutung des Lebenswerks von James Lee Byars. Im Zusammenspiel der Werke zeigt sich, dass Byars nicht nur die Entwicklung der Kunst der Performance stark beeinflusst hat, sondern vor allem durch seine Installationen und seine konsequente Beschäftigung mit existenziellen Fragen zu einer der originärsten und komplexesten Künstlerpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts zu zählen ist, deren Bedeutung sich jetzt mehr und mehr erschließt."

Klaus Ottmann, Kurator der Ausstellung: ",Leben, Liebe und Tod‘ versteht sich als erste kritische Retrospektive, der die Abwesenheit des Künstlers anzumerken ist. Anders als frühere Ausstellungen, die in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler entstanden, richtet diese Ausstellung das Augenmerk weniger auf die Präsentation von Byars’ Vision, sondern vielmehr auf seine Entwicklung, auf die Arbeiten selbst und ihren kunsthistorischen und philosophischen Kontext, um so zu einer Neubegegnung mit Leben und Werk des Künstlers anzuregen. Darüber hinaus werden einige Werke erstmals öffentlich gezeigt, andere werden zum ersten Mal in Deutschland zu sehen sein."

James Lee Byars studierte zunächst in seiner Heimatstadt Detroit Kunst, Psychologie und Philosophie. In den späten 1950er Jahren ging er nach Kyoto und verbrachte die folgenden zehn Jahre abwechselnd in Japan und Amerika. In Japan lernte Byars das Ephemere als eigene Qualität in der Kunst kennen. In diesen prägenden Jahren begann er mit der Übertragung der sinnlichen, abstrakten und symbolischen Elemente des japanischen No-Spiels und des Schinto-Rituals, in denen auch gefaltetes weißes Papier oder unbehauene Steine eine Rolle spielen, auf die Wissenschaft, Kunst und Philosophie des Westens. Byars entwarf in Japan eine Reihe von Papierarbeiten, unter anderem The Accordion Scroll or The Perfect Painting (Die Akkordeonrolle oder Das vollkommene Bild), ein Objekt, das während einer Performance ritualhaft entfaltet wurde, oder eine 27 Meter lange Papierschriftrolle mit Kohlezeichnungen, die in dieser Ausstellung erstmals als Objekt außerhalb einer Performance gezeigt wird.

Ab den 1970er Jahren erlangte Byars mit seinen luxuriösen und rätselhaften Objekten und Performances internationale Bekanntheit. Durch seine einzigartige Synthese von Orientalismus, Concept Art, Minimalismus, Fluxus sowie Momenten von Happening, Body und Installation Art zählt Byars heute zu einer der Hauptfiguren der Kunst des 20. Jahrhunderts. Bei seinen unzähligen Reisen durch Japan, die USA und Europa, die immer wieder von Ausstellungen und Aktionen begleitet wurden, verschaffte sich Byars auch in Deutschland nicht zuletzt aufgrund seiner wiederholten Teilnahme an der "documenta" in Kassel nachhaltige Präsenz.

Einen wesentlichen Aspekt im Schaffen von James Lee Byars bildet das Prinzip des Flüchtigen beziehungsweise der Koexistenz des Flüchtigen mit dem Ewigen, das sich vor allem in seinen Performances wie beispielsweise in The Perfect Smile (Das vollkommene Lächeln) manifestiert: Byars war in Goldlamé gekleidet, trug einen schwarzen Hut, schwarze Handschuhe und Lackschuhe und hatte einen schwarzen Seidenschal um den Kopf geschlungen. Das perfekte Lächeln bestand aus einer winzigen Bewegung des Mundes. 1994 schenkte der Künstler The Perfect Smile dem Museum Ludwig in Köln. Diesem konzeptuellen Geniestreich ist es zu verdanken, dass erstmals eine Performance Teil einer Sammlung wurde. Zugleich drückt sich hier Byars’ expliziter Wunsch aus, das Lächeln über die Bindung an die eigene Person hinaus für die Zukunft ausstellbar zu machen. Diesem Wunsch wird im Rahmen dieser Retrospektive in Form einer täglichen Aufführung der Performance entsprochen. Flüchtig wie sein Lächeln ist Byars’ Auftritt im Film Autobiography: Der kurze 16-mm-Film besteht aus nichts weiter als Schwärze, aus der für eine Vierundzwanzigstelsekunde die weiß gekleidete Figur von Byars auftaucht.

Im Kontext des Flüchtigen und Ewigen spielt bei Byars der Begriff des Vollkommenen – The Perfect – eine zentrale Rolle. Bei Byars findet sich das Vollkommene nicht in der materiellen Vollkommenheit, sondern in der Suche danach. Vollkommenheit ist laut Byars eine Unmöglichkeit und nur in dem einen verheißungsvollen Moment gegenwärtig, in dem Leben und Tod, Glück und Tragik zusammenfallen. Obwohl Byars 1978 noch verlautete: "I cancel all my works at death," begann er ausgerechnet in dieser Zeit auch verstärkt mit dauerhaften Materialien wie Stein oder Marmor zu arbeiten. Oft scheint es, als setze Byars physikalische Gesetze außer Kraft: In der Installation The Book of the 100 Perfects (Das Buch der 100 Vollkommenheiten) gehen Chaiselongues aus schwarzem Samt eine Symbiose mit ihrem Umfeld ein, und in The Human Figure (Die menschliche Figur) scheinen kiloschwere Marmorkugeln in purem Weiß zu schweben. The Rose Table of Perfect (Der vollkommene Rosentisch), eine kugelförmige Skulptur aus 3333 frischen roten Rosen, die im Laufe der Ausstellung langsam verwelken, verbindet die Perfektion der Form mit der Unvollkommenheit des Vergänglichen. Die überwältigende Bodeninstallation The Red Angel of Marseille (Der rote Engel von Marseille) von 1993, zuvor noch in keinem anderen deutschen Ausstellungshaus zu sehen, suggeriert trotz der 1000 auf dem Boden zu einem Ornament aufgelegten oten venezianischen Glaskugeln Immaterialität. The Golden Tower (Der goldene Turm), ein 17,5 Meter hoher goldener Turm, erweckt durch die Reflexion des Lichtes auf der glänzenden Oberfläche den Eindruck von Transzendenz.

Begegnet uns der Künstler einerseits mit kolossaler, erhabener Geste, entzieht er sich andererseits im Transitorischen. Am Ende des Gangs durch die Ausstellung darf man The Death of James Lee Byars (Der Tod des James Lee Byars), einen komplett mit Blattgold ausgeschlagenen Raum, zwar einsehen, nicht aber betreten. Für Byars’ Körper stehen symbolisch fünf Kristalle, die dessen Silhouette markieren. Nicht nur diese Arbeit sorgt dafür, dass die existenziellen Fragestellungen um Leben, Liebe und Tod, die der Künstler stets wiederholt und neu formuliert hat, über seinen Tod hinaus präsent bleiben. Pressetext