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Leta Peer arbeitet als Malerin unter Einbezug der Fotografie – in einem „klassischen“, vorsichtig die Motive abtastenden Sinne, aber mit einem hohen reflektorischen Anspruch, der auf zeitgenössische Weise Verästelungen zwischen privat und allgemein, Vorstellung und faktischer Realität vornimmt. Mit ihrem Werk thematisiert sie Heimat und Identität und schließlich die Verortung des Individuums in seiner Zivilisation. Biographische Erfahrung wird mit der nüchternen Sicht auf die gegebene Wirklichkeit konfrontiert; bildimmanente Verweise und Stimmungen loten das Verhältnis von Objektivität und Subjektivität weiter aus. 
Leta Peers Malereien zeigen seit 2000 fast ausschließlich das Tal im schweizerischen Engadin, in welchem sie mit ihrer Familie aufgewachsen ist. Zu sehen sind Landschaftsausschnitte der Bergkuppen wie auch der Wiesen mit ihrer Vegetation, in wechselnden Einstellungen, teils aus der Untersicht und mit einer malerischen Direktheit, bei der sich die Blumen und die nebelverhangenen Felswände aus der Nähe in sinnliche Pinselstriche auflösen. Indem diese Gemälde mit einer Firnis abgeschlossen sind, wird das komplexe Verhältnis von Anziehung und Distanz, Abbild und räumlicher Erinnerung weiter vertieft. 
Leta Peer unterläuft absichtsvoll wesentliche Erwartungen, die gemeinhin an das Medium Malerei gestellt werden. Sie vertraut der Landschaft, die unveränderlich fern von menschlichen Eingriffen gegeben ist, und vermittelt sie doch als fragilen Idealzustand. Zeit ist zwar abwesend, findet aber doch in die Bilder – im Tagesablauf, der Beleuchtung und Witterung – Eingang.
Demgegenüber kennzeichnet die Fotoarbeiten eine rigide Sachlichkeit; sie geben (primär vernutzte) Innenräume wieder, die sich selbst überlassen sind, aber in ihrer Einrichtung noch auf die einstigen Bewohner weisen. – Im Laufe der Jahre hat Leta Peer das Verhältnis zwischen den künstlerischen Medien weiter intensiviert und mit digitalen Maßnahmen einzelne Gemälde in die Räume integriert, eingefügt in einen aufwändigen, mithin historischen Rahmen, als seien sie schon immer hier gewesen. Das Gemälde selbst (mit seiner eigenen Sinnlichkeit und Präsenz) hat Leta Peer im Ausstellungsraum zudem installativ zur Fotoarbeit aufgehängt. Die für sich autonomen Arbeiten gehen eine Einheit ein, bei der sich unterschiedliche Ebenen von Künstlichkeit und Natürlichkeit gegenseitig beleuchten, durchdringen und in Frage stellen.
Dies trifft nun auch auf die neueste Werkgruppe zu. Ausgangspunkt bildete das Heimatmuseum Chasa Jaura im schweizerischen Valchava, das in einem erhaltenen historischen Engadinerhaus zeitgenössische Kunst ausstellt. Hier befindet sich das Münstertal mit den Wiesen von Lü. Während sich Leta Peer diesen Außenraum gezielt für ihre Malerei vornahm, dachte sie zunächst nicht weiter an die Innenräume, die sie in der Zeit ihres Aufenthaltes rein dokumentarisch fotografierte. Erst zwei Jahre später fanden die beiden Bildformen, Techniken, mithin „Welten“ bei Leta Peer zusammen. 
Exemplarisch steht die Fotoarbeit Flurs Index 2, die das Gemälde Wiesen von Lü (Index 135) integriert. Zu sehen ist eine Schlafkammer, die karg, reduziert auf das Notwendige bleibt, mit einem Bett und einem Spiegel an einer unregelmäßigen kalkigen Wand. Indes verfügen die Gegenstände über schmückende Zierden, die auf handwerkliche Traditionen und damit erlebte Heimatverbundenheit weisen. Der Rahmen enthält nun also den gemalten Landschaftsausschnitt; in ihn sind Stege eingepasst, die vier quer- bzw. längsoblonge Felder des Bildes separieren. 
Wie ein Ausblick in eine andere Welt, auch direkt wie ein Fenster oder ein Spiegel, der einen gegenüber liegenden Blick einfängt, verhält sich nun die Darstellung inmitten der Fläche: mit einem blühenden Feld, in dem violette und weiße Blüten und Gräser aufragen, darüber erhebt sich luzid grau-blauer Himmel. 
Der Blick nach Außen strahlt noch in das Innen der Kammer. Der Raum selbst wird mit Leben – Farben, Bewegung – erfüllt, das sich bis auf das Interieur (mit der leicht welligen Decke oder den überkreuzenden Pfosten der Bettkante) überträgt. Erinnerung und Vergegenwärtigung, Innehalten und mentale Aktivität finden zugleich statt. 
Die Schweizer Künstlerin Leta Peer leistet mit derartigen Arbeiten, die Ausdruck einer erlebten, konsequenten Spurensuche sind, eine immense Gedächtnisarbeit. Mit konzeptuellem Kalkül, handwerklicher Souveränität und im Vertrauen auf die „einfachen“ Dinge des Lebens, verhilft sie scheinbar verbrauchten Sujets zu eigener Tiefe, Aktualität und schärft für ihre Bewusstwerdung. Auf eindringliche, in der zeitgenössischen Kunst einzigartige Weise geht sie den Dingen, die unsere Welt zusammenhalten, auf den Grund. 
Dr. Thomas Hirsch
Herbert-Weisenburger-Stiftung,

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Leta Peer
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