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»Niemand kann das Recht geltend machen, unerkannt durch die Stadt zu gehen« – diese panoptisch-legalistische Fantasie eines deutschen Innenpolitikers, die seinerzeit für Aufregung sorgte, hat eine luminiszente Vorgeschichte, die über fünfhundert Jahre zurück reicht.¹ Im 15. Jahrhundert waren die Einwohner der europäischen Großstädte Paris und London verpflichtet, nach Einbruch der Nacht auf der Straße ein Licht mit sich zu führen.² Wer ohne Licht unterwegs war, erregte den Verdacht der bewaffneten Patrouillen und konnte abgeführt werden. Unter dem absolutistischen Regiment Ludwig XIV. wurde 1667 die individuelle Lichtpflicht abgeschafft und durch die staatliche Monopolisierung des Lichts ersetzt. Dies ging einher mit dem Aufbau einer Polizeiorganisation, deren größter Budgetposten bald die Straßenbeleuchtung war. Die Laternen wurden neu positioniert: weg von der Hauswand, hin zur Mitte der Straße.

Die Stadt wurde so zu einem erleuchteten Raum, der den Blicken der Staatsgewalt zugänglich war und der als Lichtraum zugleich das Gewaltmonopol des Königs symbolisierte. So diente die nächtliche Beleuchtung der Stadt nicht nur der Erhöhung der Sicherheit ihrer Einwohner, sondern war auch ein leuchtendes Hoheitszeichen der uneingeschränkten Herrschaft des Sonnenkönigs. Der Symbolwert des Lichtinstruments zeigte sich daran, dass sich bis ins 19. Jahrhundert revolutionärer Furor in Form von Steinwurf und Stockschlag regelmäßig an den Straßenlaternen entlud. Das staatliche Lichtmonopol fungierte von Beginn an als eine moralische Anstalt, als Garant für Sicherheit, Sauberkeit und Sittlichkeit.

Als zum Ende des 19. Jahrhunderts die elektrische Beleuchtung das Gaslicht ablöste, die urbanen Zentren sich in spektakuläre Lichtinstallationen verwandelten und das Bürgertum sich an kunstvoll erleuchteten Boulevards, Passagen und Monumenten sowie ephemeren Lichtarchitekturen erfreute, wurden zugleich erste Zweifel an dem Zivilisationsversprechen des Lichts laut. Warum konnten die Städte unter dieser Lichtflut nach wie vor Horte des Verbrechens sein? Zur Utopie einer taghell erleuchteten Stadt, die jedem Einwohner Sicherheit verspricht, gesellte sich von nun an die Dystopie eines grellen, schattenlosen staatlichen Kontrollraums, durch welchen der Einzelne gleichsam nackt und unbehaust erscheint.

Katja Kottmann und Daniela Neuhaus, die mit ihrer Ausstellung Let’s Call It a Date den Wewerka Pavillon und dessen Umgebung durch eine Lichtinstallation bespielen, greifen auf dieses kulturelle Imaginarium des lust- und schreckenbringenden Lichts zurück und wissen es zugleich zu den vielfältigen Paradoxien unserer heutigen Kontrollgesellschaft in Beziehung zu setzen.³ Im Zentrum eines dem Schauen gewidmeten Ausstellungspavillons steht in Manneshöhe ein auf einem schwarzen Kubus installierter Suchscheinwerfer. Durch Sensoren reagiert er auf die Bewegungen im öffentlichen Raum der umgebenden Parklandschaft. Durch die Lichtrotation wird der Ausstellungsraum zum Signalgeber. Zudem wird durch den Scheinwerferspot eine theatralische Komponente mit ins Spiel gebracht: Jede/r sich Nähernde mag sich unverwandt ins Schlaglicht gerückt sehen, verfolgt und sistiert durch den Scheinwerfer, wie ein schockstarres Reh im automobilen Fernlicht. Die Annäherung an den Ausstellungsort bleibt, so scheint es, nicht unbemerkt. Doch wer richtet sein Interesse auf mich? Wer ist es, der mich ansieht, wenn ich in den Bannstrahl der Sicherheits-technik gerate? Werde ich taxiert, geprüft, beurteilt? Oder sind die Augen der Apparatur blind, seelenlos wie die tausendfachen Kameraaugen, die unseren Alltag begleiten und deren fantastische Bilderproduktion schon lange keinen menschlichen Rezipienten mehr zu finden vermag? Ist – wie der intimisierende Titel insinuiert – die luminiszente Szene letztlich nur für den Einzelnen bereitet, als Ort der Angstlust im Fadenkreuz imaginärer Blicke? Was wir erleben können, ist aber nicht allein ein Akt der Countersurveillance, ein mit den Mitteln der Überwachungstechnik auf die heutigen Sicherheitsarchitekturen zielender Coup d’imaginaire, sondern auch eine Begegnung mit Strategien und Taktiken der Bedeutungserzeugung in einer Gesellschaft des Spektakels. Im Ausstellungsraum, der sich hier weithin sichtbar als Kontrollraum, als Ort über-wachender Praxis zu erkennen gibt, wird durch den sensorgeführten Suchscheinwerfer eine technische Insignie des vermeintlich Wertvollen und Kostbaren in den Mittelpunkt gerückt, ohne dass uns ein Anhaltspunkt gegeben wäre, was von Wert hier eigentlich bewacht wird. Die allein stehende Black Box, auf der der Scheinwerfer rotiert, lässt den Versuch, verstehen zu wollen, ins Leere, besser: ins Imaginäre laufen. Die Ausstellung Let’s Call It a Date von Katja Kottmann und Daniela Neuhaus könnte als eine gläserne Fabrikationshalle des Bedeutsamen betrachtet werden, deutbar als kritischer Reflex auf die Aufmerksamkeitsökonomie des Kunstbetriebs. So ließe sie sich zugleich auch als ein Plädoyer begreifen für das Recht, unerkannt durch die Stadt zu gehen.

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Let´s call it a date
Katja Kottmann / Daniela Neuhaus