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Eröffnung mit einer Performance zur Installation von Lili Fischer: Sonntag, 14. September 2008, 12 Uhr

Seit 2005 untersucht Lili Fischer Schnaken – bizarre Insekten, die sie zu raumgreifenden Objekten vergrößert und in Zeichnungen und Papierarbeiten erkundet. Die Ergebnisse ihrer Feldforschung stellt die Künstlerin, Teilnehmerin der documenta 8 und Professorin an der Kunstakademie Münster, nun erstmalig in der Hamburger Kunsthalle vor. Für das Treppenhaus des Altbaus hat sie eine beeindruckende Installation entwickelt, in der über 20 großformatige Schnaken-Objekte und zahlreiche Papierarbeiten von dem Raum Besitz ergreifen. Zur Installation gehört auch der „Schnakensimulator“, den der Besucher selbst an bestimmten Terminen erproben kann. Anlässlich der Eröffnung wird Lili Fischer ihn in einer Performance vorstellen.

Mit ihrem künstlerischen Konzept der Feldforschung hat Lili Fischer bereits Anfang der 1970er Jahre die empirische Forschungsmethode, die u. a. aus der Soziologie und Ethnologie bekannt ist, in die Kunst übertragen. Durch intensives Beobachten, Sammeln, Ordnen und Strukturieren legt sie die uns heute verdeckten Wesenszüge der untersuchten Objekte, ihre Geschichte und Zusammenhänge frei. Ihre Untersuchungsgebiete reichen dabei von Alltagsthemen, wie Haushaltsritualen, bis zu Naturphänomenen, wie Heilpflanzen oder Insekten. Eine entscheidende Rolle in ihren Werken spielt die Belebung und Beseelung der Gegenstände und Lebenswesen sowie ihres Raumes – abgeleitet vom lateinischen Wort animare (= beleben) auch Animation genannt. In Testflug der Schnaken wird das Altbautreppenhaus der Hamburger Kunsthalle durch die tänzerisch anmutenden und schimmernden Objekte geradezu bevölkert. Der Bezug zur mystischen Naturauffassung der Romantik, zum Glauben an die Beseelung der Natur, wird in der Installation im Verweis auf Philipp Otto Runges ausgestelltes Gemälde Die Lehrstunde der Nachtigall deutlich. Lili Fischer sensibilisiert den Betrachter für einen kreativen, unverfälschten Umgang mit der Natur.

Zur Installation Schnaken sind im Bewusstsein der Menschen Lästlinge – man sieht sie und schlägt sie tot. Auch kunsthistorisch wurden sie nie beachtet – im Gegensatz zu Schmetterlingen als dem Sitz der Seele. Dem Volksglauben zufolge gelten Mücken und Schnaken als bekannte Erscheinungsformen von Hexen.

Mehr als 20 Schnaken-Objekte – überdimensional auf eine Gesamtbreite von je 3 Metern vergrößert – steigen raumgreifend das Altbautreppenhaus empor und besetzen die Wandmalereien im Obergeschoß. Die grünlich schimmernden Pigmente ihrer Flügel verändern sich je nach Lichteinfall und ihre spindeldürren Beine sind dynamisch nach allen Richtungen ausgestreckt. So gliedern sie das Treppenhaus und geben ihm zugleich etwas Geisterhaftes.

Fast tänzerisch erscheinen die Schnakengeister an den Wänden im Erdgeschoss: Ihre höchst dynamischen Beinpositionen und fragilen Körper wurden aus hauchdünnem gerissenen Japanpapier auf schwarzem Karton nachgelegt. Wie die dreidimensionalen Schnakenobjekte entstanden auch diese Tafeln nach Originalen, d.h. sie basieren auf präzisen Beobachtungen toter Insekten. Die großformatigen schwarzen Tafeln fügen sich in die Kassettenfelder des historischen Treppenhauses ein und werden von Darstellungen von Larven und Maden in den schmalen unteren Wandfeldern begleitet – den Entwicklungsprozess der Schnake andeutend.

Vor dem Treppenaufgang hängen zwei Riesenflügel (je 210 cm lang) und ein bizarres Beinsystem, der sogenannte Schnakensimulator: Flügel und Beine sind entsprechend den Schnakenmaßen auf menschliche Proportionen übertragen worden. Das Besondere dabei ist, dass man mit einem Anschallsystem Beine und Flügel selbst in Bewegung setzen, im Kunstmuseum nie erlebte Luftbewegungen erzeugen und die installierten Schnaken in Schwingung versetzen kann.

In ihrer Eröffnungs-Performance wird Lili Fischer zu Musik u. a. die Entstehung und Zusammenhänge von Schnaken- Proportionen, Flügel- und Beinbewegungen demonstrieren und zugleich auf das berühmte Gemälde Die Lehrstunde der Nachtigall von Philipp Otto Runge interpretierend verweisen, das für die Dauer der Ausstellung in der Kunsthalle einen neuen Platz im Treppenhaus erhält. Zeichnungen, Berechnungen und Entwürfe in Vitrinen ergänzen die Installation und präzisieren das lebendige Feldforschungskonzept von Lili Fischer.

Publikation zur Installation Anlässlich der Installation erscheint die DVD Die Werkgruppe Schnaken (ca. 30 min.) mit einem Booklet. Die DVD enthält folgende Abschnitte: Wie eine Schnake entsteht Performance zur Installation in der Hamburger Kunsthalle (Auszüge) der Schnakensimulator in Betrieb (u. a. auf Dächern) Schnakeninstallation in der Hamburger Kunsthalle Wanderschnake an wechselnden Orten (u. a. im Schloss Gottorf)

Die Produktion wird ermöglicht durch den Kunstpreis der Schleswig-Holsteinischen Wirtschaft 2008 und durch die Philipp Otto Runge Stiftung.

Präsentation der DVD zur Finissage am 16. November 2008 um 11 Uhr

Kuratoren der Ausstellung: Dr. Petra Roettig und Dr. des. Dorothee Gerkens

Zur Künstlerin Die in Hamburg lebende Künstlerin ist Professorin für Feldforschung und Performance an der Kunstakademie Münster. Im Laufe von über 30 Jahren hat Lili Fischer (geb. 1947) ein mehrdimensionales, beziehungsreiches und höchst variables Werk geschaffen, das bei aller Vielfalt folgende Grundzüge zeigt: ein Geflecht von Zeichnung, Photographie, Objekt, Installation, Performance, Künstlerbuch bis hin zum Film, das ihre Feldforschungen durchzieht.

Feldforschungen u. a. über

Halligen und Moore (Feldforschung Uthlande, Hamburger Kunstverein 1975; Feldforschung, Kölnischer Kunstverein 1978; Torfes Träume, mit Georg Jappe, Altonaer Museum, Hamburg 2004) Heilpflanzen (Kraut & Zauber-Projekt bei Künstler-Forscher-Sozialarbeiter, Hamburger Kunstverein 1978; Pflanzenkonferenz mit Wahl des Friedenskrauts, Hamburger Kunsthalle 1983; Von hier aus, Messehallen Düsseldorf 1984) Haushalt (Küchenlatein, Kampnagel 1986; Waschlappendemo und Besentanz, documenta 8, 1987) Scheusale (Norddeutsche Scheusalforschung, Mediale unter den Deichtorhallen, Hamburg 1993; Scheusalgesänge, steirischer herbst, Graz 1993) Grazien (Grazienkongreß, u. a. im Bundestag, Berlin 2002) Nachtfalter (Werkgruppe Falter, Kunsthalle Bremen 2005)

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Lili Fischer
Testflug der Schnaken

Kuratoren: Petra Roettig, Dorothee Gerkens