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„Dancing on Thin Ice“ von Lisl Ponger
18.05. – 03.07.2021 Soft Opening: 18.05.2021, 14-20h

Rückgabeforderungen von in der Kolonialzeit entwendeten Kulturgütern sind alles andere als neu. Im Gegenteil. Schon seit ihrer Unabhängigkeit, fordern ehemalige europäische Kolonien wie Nigeria, Ghana oder Kongo ihr kulturelles Erbe zurück – um ihre eigene Geschichte visualisieren zu können. Ihre Anträge und Aufrufe an Museen und Regierungen werden jedoch bis heute systematisch ignoriert und verschleiert mithilfe von, wie es die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy formuliert, „historische[n] Mechanismen des Vergessens, des Verschweigens, des Verzichts“ (Savoy, 2021).

In ihrer Einzelausstellung „Dancing on Thin Ice“ nimmt sich Lisl Ponger diesen Mechanismen an. In die neokolonialen Abgründe sogenannter „Völkerkundemuseen“ und ethnologischen Sammlungen eintauchend, seziert sie minutiös die Ikonographien, Methoden und Rhetoriken des eurozentrischen Ausstellungsapparates. Auf Basis ihrer Recherchen hat sie eine Art dreiteilige Choreographie entworfen, welche den performativen Überspielungen, Inszenierungskünsten und Wahrheitskonstruktionen institutioneller Akteur*innen und Lobbyist*innen nachspürt, sie appropriiert und entblößt.

Eine Adaption ihrer Soundinstallation „The Master Narrative und Don Durito“ bildet den Auftakt zu ihrer Ausstellung im obersten Stockwerk. Mit ihr lädt Lisl Ponger uns ein, eigenen, subjektiven Assoziationen und Bildern zu Themen wie Kolonialismus, institutionellen Machtstrukturen und weißem Supremacismus Raum zu geben. Das Hörbare lenkt unsere Aufmerksamkeit auf den Raum selbst, seine Wände und seine Architektur und evoziert dabei auch dringende Fragen rund um die mitunter diskriminierenden Ideologien und Konventionen des sogenannten White Cubes. In der oberen Etage präsentiert Lisl Ponger ihre jüngste Fotoarbeit „Dancing on Thin Ice“ (2020). Inspiriert von der Figur des umstrittenen französischen Kunstpublizisten und späteren Kulturministers André Malraux (1901-1976), der die Universalisierung des europäischen Kunstbegriffs maßgeblich befördert und die Existenz einer „Weltkunst“ propagiert hat, zeigt sie einen vermeintlichen Museumskurator beim Auspacken einer Sammlung von kolonialen Kunstschätzen. Triumphierend tänzelnd, wie um zu einer Drehung um seine eigene Achse ansetzend, symbolisiert er den Eurozentrismus und die anthropologische Selbstüberhöhung, die bis heute in den Strukturen europäischer Kultureinrichtungen verankert ist.

Im runden Raum hat Lisl Ponger eine neue, ortsspezifische Installation kreiert, mit welcher sie Dancing on Thin Ice (2020) quasi begehbar macht. Zwischen fertiger Ausstellung und in Szene gesetzter Kulisse pendelnd, erzeugt die Installation ein instabiles Verhältnis zur Fotoarbeit und eine provozierende Spannung. Sind wir noch immer Besucher*innen oder haben wir beim Eintreten in den Raum die Rolle des Museumskurators aus dem Bild übernommen? Welche Handlungsmacht haben wir als Protagonist*in? Die 16 Objekte bieten wenig Aufschluss, sind sie doch auch nur Kopien ihrer Originale, wie der Nofretete, der Benin-Bronzen, des Ischtar Tors – für die alle seit Jahrzehnten Rückgabeforderungen vorliegen. Mit ihnen konfrontiert Lisl Ponger uns mit entscheidenden Fragen rund um Authentizität und die Bedeutung von kulturellen Kontextualisierungen, aber auch nach der vermeintlichen Unschuld von Replikationen.

Das Rückgabeversprechen von kolonialer „Beute“ durch den französischen Präsidenten Emmanuel Macron im Jahr 2018, die Eröffnung des umstrittenen Humboldt Forums in Berlin, aber auch die kürzlich erfolgte Ankündigung der deutschen Kulturstaatsministerin, Nigeria seine 1.100 Benin-Bronzen 2022 zurückzugeben, sind nur wenige Ausschnitte der aktuellen Restitutionsdebatte. Vor diesem Hintergrund führt Lisl Ponger mit „Dancing on Thin Ice“ die über Dekaden einstudierten Legitimationsrhetoriken und Protokolle des Vertuschens zutage und damit auch den anhaltenden strukturellen Rassismus in europäischen Ausstellungshäusern. Damit positioniert sie die neuen Versprechungen als wenig radikal oder bahnbrechend, sondern viel mehr als längst überfällig.