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Wir freuen uns, am 9. Oktober um 19.00 Uhr die Ausstellung Shangri-La mit photographischen Arbeiten der 1979 in Frankreich geborenen Liza Nguyen, Schülerin der Klasse Thomas Ruff an der Kunstakademie Düsseldorf, zu eröffnen.

Wir werden erstmalig eine neue Werkgruppe mit 14 Arbeiten zeigen, die auf Photographien basieren. Diese sind im Sommer 2008 in Indien und Nepal entstanden. Nguyen zeigt uns zum Beispiel in 5 großen Portraits jugendliche Exiltibeter, die Sandalen oder moderne Sneakers und Jeans tragen und – was für die Künstlerin auffällig war – häufig mit propagandistischen T-Shirts ausgestattet sind. Sie können so als politisch aktive, um ihr Schicksal kämpfende Zeitgenossen einer globalisierten Welt angesehen werden. Landschaftdarstellungen, mehr oder minder romantisch, ein Souvenirgeschäft mit Unabhängigkeitsparolen oder auch ein Gebetsplatz vervollständigen die Darstellung der Menschen, die – dabei ganz erdverbunden – ihre Freiheit und Autonomie suchen und nicht vor allem die Erleuchtung durch ewige Weisheit und ein scheinbar endlos langes Leben frei von weltlichen Bedürfnissen. Das klischeehafte Tibet, etwa buddhistische, in sich gekehrte und außerweltliche Mönche oder weise Greise, haben in Nguyens Bildern keinen Platz.

Ihre Photographien hat Nguyen aufwendig digital bearbeitet und abstrahiert. Das Ergebnis mehrerer Arbeitsgänge wurde im Inkjet-Verfahren auf feste Papiere, die an Aquarellpapiere oder Zeichenkartons erinnern, ausgedruckt. Man kann geradezu von photographischen Zeichnungen sprechen, denn es wurden räumliche und flächige Darstellungen auf Linien und Konturen reduziert, Flächen wurden – wenn sie überhaupt noch dargestellt sind – digital schraffiert und das photographische der Bilder, der Abbildungscharakter detailreicher Photographien, das Repräsentieren und die Index-Funktion einer Photographie, wurden ganz generell durch die digitale Technik unterlaufen. Die Bilder wurden mit diesen Verfahren ihres Reportage-Charakters enthoben und in eine zeichnerische, von der Künstlerin kontrollierte Erinnerung an das Gesehene transferiert. Es steht nicht mehr die Faszination des Unbekannten, die brutale, raue Realität der Exiltibeter oder die Kontingenz der Photographie, die zeigt, was im Moment des Auslösens vorhanden ist, im Vordergrund, sondern eine extrem verdichtete Ansicht von protestierenden Jugendlichen, von Landschaften und Städteansichten.

Während die Arbeiten im Parterre der Galerie auf tibetische Sujets und damit direkt auf die Idee von "Shangri-La" verweisen, zeigen wir im Souterrain der Galerie die große, spektakuläre und komplexe Installation der Schiffbruch, die aus 12 Leuchtkästen und aus 9 photographischen Portraits von jugendlichen Schwarzafrikanern, die in Gran Canaria gelandet sind, besteht. Für diese Schwarzafrikaner, die für jährlich tausende weitere afrikanische Flüchtlinge und für Millionen vagabundierende Migranten überhaupt stehen, endet die Überfahrt auf die kanarischen Inseln positiv: Sie sind nicht gestorben, sie werden –ihres Alters wegen – nicht zurückgeschickt und sie erhalten sogar eine Ausbildung. Was sie lernen, zeigt jeweils die Farbe ihres Overalls. Rot steht für Bauarbeiter, Graugrün für Elektriker und Grün für Klempner. Nguyen photographiert die Individuen in ihren Overalls vor einem Gitter, das an Freiheitsentzug denken läßt, weil das Wohnheim in dem die Flüchtlinge leben sich in einem ehemaligen Gefängnis befindet. Mit ihren Portraitphotographien konterkariert Nguyen die klassische Aufgabe von Portraits: Statt die Dargestellten als Individuen, als Menschen mit ganz eigenen Charakterzügen und Lebensgeschichten zu beschreiben, entindividualisiert sie sie in einer Weise, die in ihrer Sachlichkeit an die Düsseldorfer Photographenschule denken läßt. Diese ästhetische Verbindung wird auch in der Photographie von ent-kontextualisierten, der Lebenswelt ent-rückten Gegenständen vor weißem Grund, die in den Leuchtkästen zu sehen sind, deutlich. Es handelt sich um Objekte, die am Strand von Gran Canaria zu finden sind und die mit der erträumten Welt bzw. der gefährlichen Überfahrt der Flüchtlinge (ein Totensack, ein Hygieneset des Roten Kreuzes, frische Kleider, Handschellen, Badelatschen) oder der am Strand sich erholenden Touristen (ein Beachball- Set, Bikinis) zu tun haben. Die Kombination der Portraits mit den Objekten, die entweder mit dem Scheitern ihrer Kameraden oder mit ihrer polizeilichen Behandlung oder mit dem touristischen Parallelleben auf den Inseln zu tun haben, führt zu einer für den Betrachter geradezu bedrohlichen Kulisse, bedrohlich, weil die Selbstgewissheiten des westlichen, zivilisierten Lebens – wir dürfen uns am Strand von Gran Canaria von den Strapazen des Jahres erholen – in Frage gestellt werden durch die zum Scheitern verurteilten Träume und Hoffnungen der Flüchtlinge, mit deren Schicksal wir uns gemeinhin lieber nicht auseinandersetzen.

Beiden Werkgruppen – den photographischen Zeichnungen tibetanischer Exilanten und der Installation Der Schiffbruch – ist gemeinsam, daß die Protagonisten von dem Wunsch nach dem "Paradies", einer Erlösung getrieben sind. Dieser Erlösungsgedanke fand seit den 30er Jahren in der westlichen Kulturgeschichte immer wieder seinen Ausdruck in den Vorstellungen, die sich um den Ort und den der Ausstellung ihren Titel gebenden Begriff "Shangri-La" rankten. Während James Hilton in seinem Bestseller-Roman Lost Horizon. Welcome to Shangri-La den Begriff eingeführt hatte, war er durch die Romanverfilmung Frank Capras weiter verbreitet und durch unzählige, wahllose Bezugnahmen und die Vereinnahmung durch Werbung und Konsumwirtschaft weiter popularisiert und zerredet worden. Für Liza Nguyen bleibt der Mythos "Shangri-La" jedoch eine wirkmächtige Metapher für die Suche nach einer wie auch immer gearteten Erlösung. Allerdings ist ihr klar, daß sowohl für die Exiltibeter, als auch für die migrierenden Schwarzafrikaner die Idee von "Shangri-La" Utopie bleiben muß.

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Liza Nguyen
Shangri-La