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Mit dem ganz unbescheidenen Titel «Ich sah die Wahrheit» stellen sich Andres Lutz und Anders Guggisberg in ihrer Ausstellung im Parallelraum der Kunsthalle Zürich vor. Mit einem einzigen Objekt, das sich durch eine kleine Lichtquelle zur raumfüllenden Installation wandelt, überraschen die beiden Künstler, die sonst mit sprachlich und materiell ausufernden, irrwitzig gebauten, gebastelten, gemalten oder skulptierten Phantasiewelten operieren, durch Reduktion, die aufs Ganze geht.

Die Installation «Ich sah die Wahrheit» ist eine Art Architekturmodell, das mit sorgsam in Wald und Wiesen gesammelten Holzstöckchen gebaut wurde, und das die gesamte Kulturleistung von den Pfahlbauten bis zu Buckminster Fuller oder Zaha Hadid unter einen Gebäudehut zu bringen vermag. Beleuchtet von einem kleinen Lämpchen wirft es überdimensionale, für seine Grösse gänzlich unangemessene Lichtspiele auf die Wände des Ausstellungsraums, und fängt so die gesamte Referenzgeschichte der kinetischen wie optischen Kunst in seine Reflexionen, wie auch Erinnerungen an Fischli / Weiss, Roman Signer, Naum Gabo und viele viele anderen.

Andres Lutz und Anders Guggisberg (geboren 1968 und 1966, leben und arbeiten in Zürich) stellen sich im Katalog «The Great Unknown», der anlässlich der Verleihung des Manor Kunstpreises und ihrer Ausstellung im Kunstmuseum St. Gallen 2002 erschienen ist, wie folgt selbst vor: ³Arbeiten seit 1996 zusammen. Andres Lutz ist ausserdem Mitglied des Bühnenduos Geholten Stühle (mit Gerhard Meister), mit dem er seit 1996 Bühnenprogramme kreiert hat, die den Menschen den Boden unter den Füssen wegziehen sollen, damit ein Kunstfaserlanghaarteppich eingelegt werden kann. [In der letzten Zeit tritt er in Begleitung von Frank Heierli auf, mit dem er auch schon in der Kunsthalle Zürich aufgespielt hat]. Anders Guggisberg partnert immer wieder mit Pipilotti Rist, vornehmlich als Komponist von fliegenden musikalischen Teppichen und als spiritueller Beipilot auf ihren Langstreckenflügen. Als Lutz / Guggisberg produzieren sie allerhand. Sie eilen mit Weile und träumen von der Schaffung des Grossen Werks.²

Lutz / Guggisberg haben sich einen Namen gemacht mit überbordenden installativen Universen des Absurden, die sich aus dem Bereich der hehren wie profanen Ideen- und Materialwelt nähren. Das Sprachspiel und eine Art methodenbefreite Kulturanthropologie sind die quasi wissenschaftliche Vorgehensweise der beiden Künstler, die mit immer sichtbarer Vorliebe für das kleinbürgerliche Ideen- und Ästhetikmilieu, Vertrautes aus seinem ursprünglichen Zusammenhang reissen, neu arrangieren und unter anderem Blickwinkel präsentieren. Die Bibliothek, Lutz / Guggisbergs selbstgemachte selbstverständlich, spielt in ihrem Werkkosmos dabei eine besonders wichtige Rolle: Innig aus Holz geschnitzt und liebevoll mit Titeln, Schmutztiteln und Klappentext versorgt, schaffen sie mit ihren Büchern eine kontinuierlich wachsende Sammlung des kollektiven Wissens ­ sozusagen in der Nachfolge und Re-Interpretation Flauberts «Bouvard & Pécuchet», aber auch wiederum einiger Künstler der neueren Zeit, die uns sofort dazu einfallen wollen (siehe u.a. oben).

Die diversen Spielarten der Schönheit des gutbürgerlichen Geschmacks finden sich in allen Installationen der beiden Künstler, aber auch eine humorvoll gefasste Kritik an Alltags- und Kunstphänomenen, wie ihre Fassung dieser Fragestellungen in den Titeln von Installationen der letzten Jahre zeigt: «Die erste grosse Einzelausstellung», «Wie stampfe ich in nützlicher Frist einen modernen Themenpark aus dem Boden» oder «Alles Felle seltener Tiere». Mit ihren Objekten, aber auch mit den Titeln ihrer Arbeiten führen die beiden Künstler eine listige Strategie der ironischen Ablenkung vom Ernst und damit eine besondere Betonung desselben im Schilde.

Neben enzyklopädisch (siehe dazu auch «kleiner Zusatztext von Lutz / Guggisberg für die Rückseite der Einladungskarte») anmutenden Installationen finden sich auch solistische Objekte (die selbstverständlich Teil des Gesamtkosmos sind): Knorrige Wurzelstücke, die sowohl der chinesischen sakralen Kunst wie dem Kirchenbastelbazar entstammen könnten, dienen ihnen zur Reise in die Welt geheimnisvoller Preziosen, die auf einem Salontisch, Museumssockel oder einem überquellenden Arbeitstisch präsentiert je andere Bedeutungen entwickeln. Pokale, Trophäen und Denkmäler, in grosszügiger Manier hergestellt, ergänzen den Kunst- und Lebenskosmos ideal, wie zum Beispiel den Pokal für die Person, die Karins grossen Traum wahr machte oder die andere wichtige Persönlichkeit, die die Wahrheit sah und alle daran teilnehmen liess ­ ihr wird wohl auch die Installation in dieser Ausstellung gewidmet sein.

Lutz / Guggisberg können und machen alles; alle stilistischen Richtungen sind in ihrem Werk vertreten und dies schäumt über vor Referenzen, vor allem auf die jüngere Kunstgeschichte. In der immer gut vorhandenen Würzmischung aus Selbstironie und Humor wird bei ihnen jedoch das Schwangergehen mit Referenzen wie das überbordende Tun zum ernstzunehmenden Paradox.

Eine Ausstellung von Lutz / Guggisberg, parallel zur Ausstellung des amerikanischen Künstlers Sean Landers, der mit den vielfältig fehlleitenden Strategien des Scheiterns und der Idiotie eine Positionierung des Individuums in der Kunst und im Leben wagt, ermöglicht einen weiteren Blick auf die Möglichkeiten des Humors und der Selbstironie als konstruktive und kritische Handlungsformen des Subjekts. Im Unterschied zu Landers verfolgen Lutz / Guggisberg mit Sprachkomik und einer Art episch verbrämtem Dadaismus, der sich in phantastischen Blödeleien wie Ernsthaftigkeiten verstrickt, eine Strategie des ³Idiotischen², im schönen lustigen Kleid des Komikers, des rückhaltlos dilettantierenden Bourgeois, der mit kindlicher Phantasie und kleinbürgerlicher Freundlichkeit die Komik als Freiheit ins Feld führt.

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Lutz / Guggisberg. Ich sah die Wahrheit

Künstler:
Lutz / Guggisberg