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Eröffnung: 7. Februar 2008, 19.00 Uhr

Mit der Ausstellung „Die Zeit, die bleibt“ zeigt der Frankfurter Kunstverein die erste große Einzelausstellung der niederländischen Künstlerin Manon de Boer in Deutschland. Durch ihre Teilnahme an der Biennale von Venedig 2007 sowie durch zahlreiche internationale Gruppenausstellungen sind de Boers herausragende Film- und Videoarbeiten bereits einer breiten Öffentlichkeit bekannt.

Die Präsentation im Frankfurter Kunstverein gibt mit acht Filminstallationen und Videoprojektionen nicht nur einen Überblick über ihr filmisches Werk der Jahre 1996 bis 2007, Bestandteil der Ausstellung ist auch ein fortlaufendes Ton-Archiv aus Interviews der Künstlerin mit Musikern, Tänzern und Komponisten der 1970er Jahre. Bilder, Texte und Skripte, die Manon de Boer als Quellenmaterial hierfür heranzieht, ergänzen die umfassende Werkschau. Der Titel, „Die Zeit, die bleibt“, bezieht sich auf einen wegweisenden Essay des italienischen Philosophen Giorgio Agamben und spricht ein zentrales Thema der Ausstellung an: Die Wahrnehmung von Zeit und das Schreiben von Geschichte. Für Manon de Boer ist Geschichte keine lineare Aneinanderreihung von Ereignissen, sondern die Erfahrung eines beständigen Prozesses, in dem selektierte Erinnerungen in ganz bestimmter Weise in Beziehung gesetzt werden. Unter Verwendung der persönlichen Erzählung als narrative Methode, erkundet de Boer in ihren Arbeiten die Beziehung zwischen Sprache, Zeit und dem Anspruch auf Wahrheit. Die „Erzählte Geschichte“ prägender Persönlichkeiten aus unterschiedlichen Kontexten wie Sylvia Kristel oder Suely Rolnik, erlaubt der Künstlerin den Begriffen von Erinnerung und Überzeugung nachzugehen und hierbei allgemein die Übereinstimmung von gelebter Zeit und Geschichte zu hinterfragen.

Die Wahrnehmung von Zeit untersucht Manon de Boer auch durch den bewussten Einsatz des Films als künstlerisches Mittel und in der Analyse seiner Wirkung auf den Betrachter. Der Film ist ein optisches Medium, das prinzipiell aus bewegten Bildern besteht, die vertont und musikalisch untermalt werden. Bild und Ton erzählen die eigentliche Handlung und die Musik als drittes Element sorgt dafür, die Stimmungs- und Gefühlsebene zu unterstützen. In schlüssigem Zusammenspiel ergeben diese drei Grundelemente ein Werk, das den klaren Erwartungen des Betrachters an einen Film entspricht. Indem Manon de Boer nun Bild, Ton und Musik ihres gewohnten Zusammenspiels beraubt, entrückt sie die klassischen Wahrnehmungskonstellationen beim Betrachten ihrer Filme auf subtile Weise.

So werden beispielsweise in Resonating Surfaces (2005) Ton und zugehörige Bilderfolge einer Interviewaufnahme mit der brasilianischen Psychoanalytikerin Suely Rolnik dem Betrachter zeitversetzt präsentiert. Einer Bildstörung gleich, wird die Bildfolge abschnittsweise von einer sich wiederholenden Aufnahme von in hellgrauen Dunst getauchter Häuserfronten von São Paulo durchbrochen, während die Vertonung des Gesprächs davon unberührt im Off weiterläuft. Eine andere Szene des Films zeigt Aufnahmen einer brasilianischen Musikgruppe und ihres Publikums. Statt der vom Betrachter erwarteten Klang- und Geräuschkulisse, vertont de Boer diese Szene auf irritierende Weise mit einer Perkussion. Manon de Boer spielt ganz gezielt mit den Erwartungen und Empfindungen des Betrachters.

Die Grundannahme, dass sich während der Dauer einer Filmvorführung der reale architektonische Zuschauerraum und der fiktive Raum im Film durch den subjektiven Wahrnehmungsapparat des Betrachters zu einem multiplen Raum vermischen, interessiert de Boer. In ihrem Film Two Times 4’33“ (2008), der in Anlehnung an die aus drei Sätzen der Stille bestehende Komposition 4'33“ von John Cage aus dem Jahr 1952 entstanden ist, experimentiert die Künstlerin mit dieser Thematik. Sie filmt in Two Times 4’33“ zwei Performances des gleichen Stückes zweifach ab. Während sie die erste Performance mit der Geräuschkulisse des Performance-Publikums vertont, zeigt sie die zweite Performance ganz ohne Ton in absoluter Stille. Aufeinanderfolgend gezeigt, untersucht de Boer die veränderte Raumwirkung auf den Betrachter. Die Funktion der Erinnerung, die in der zweiten Performance bereits Einfluss auf die Wahrnehmung und Orientierung im Raum nimmt, spielt dabei eine ausschlaggebende Rolle. In letzter Instanz wird der Betrachter auf sich und seine eigene zeitliche und räumliche Wahrnehmung zurück geworfen.

Manon de Boer (Kodaicanal, India *1966), die ihre künstlerische Ausbildung an der Akademie van Beeldende Kunsten, Rotterdam und an der Rijksakademie van Beeldende Kunsten in Amsterdam absolviert hat, lebt und arbeitet in Brüssel und Amsterdam. Sie erhielt u.a. auf dem Internationalen Dokumentarfilmfestival von Marseille 2006 den Prix Marseille Espérance und wurde für den besten Experimentalfilm beim 14ten Curtas Vila do Condo Film Festival, Portugal (2006) ausgezeichnet.

Die Ausstellung „Die Zeit, die bleibt“ im Frankfurter Kunstverein, kuratiert von Chus Martínez, wird in Zusammenarbeit mit dem Witte de With, Center for Contemporary Art, Rotterdam produziert. Dort werden vom 25. Januar bis zum 24. Februar 2008, zeitgleich mit dem Internationalen Filmfestival Rotterdam (25. Januar bis 3. Februar 2008), die beiden Filme Sylvia Kristel – Paris“(2003) und Presto, Perfect Sound (2006) der Künstlerin gezeigt. Der Frankfurter Kunstverein und das Witte de With werden gemeinsam eine umfassende Publikation zu de Boers künstlerischem Werk mit Beiträgen von Elena Crippa, Lars Bang Larsen, Chus Martínez, Suely Rolnik und Jon Wozencroft / Tobi Maier herausgeben.

Mit freundlicher Unterstützung durch: Vlaams Ministerie van Cultuur, Jeugd, Sport en Media Mondriaan Stichting (Mondriaan Foundation)

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Manon de Boer
Die Zeit, die bleibt