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Mapping Mobilities

,Die Kartografie ist die Praxis der Bezeichnung von Örtlichkeit und Identität, ein Modus des Schreibens, mit dem wir ein Set allgemeingültiger Regeln aufdecken können. Ein großer Teil der Argumentation, die ich im Hinblick auf das Entkartografieren, das Wiederkartografieren und Gegenkartografieren mache, die in zeitgenössischen Kunstpraxen zu finden sind, dreht sich um die Strukturen und Bezeichnungssysteme, durch die Wissen organisiert und vermittelt wird.’ Irit Rogoff, Terra Infirma, Geography’s Visual Culture, S. 73

Die Ausstellung Mapping Mobilities präsentiert sechs internationale KünstlerInnen, die neue und experimentelle Ansätze des Kartierens entwickeln, um Fragen rund um Mobilität, Kulturtransfer und Migration zu erkunden.

Mittels Film, Installation, Druck und Audio verwischen Gulnara Kasmalieva/Muratbek Djumaliev, Esther Polak/Ivar van Bekkum und Michael Hieslmair/Michael Zinganel die Grenzen zwischen Kunst und wissenschaftlichem Kartografieren, um die Autorität, die offizielle Karten in der Produktion von Wissen und Macht haben, in Frage zu stellen. Ihre Zuordnungen entwickeln alternative Visionen derzeit global wichtiger sozio-ökonomischer und geopolitischer Themen wie transnationale Migration, die räumlichen Auswirkungen des globalen Handels, Grenzpolitiken und die Digitalisierung geografischer Information. Dadurch werden die großen Narrative der Geschichte zugunsten eines Schwerpunkts auf Alltagsleben, individueller Reiseerfahrung und persönlichen Erzählungen diskreditiert.

Die Globalisierung hat unsere Erfahrung des Raums weitgehend verändert. Die statische, zweidimensionale Karte scheint nicht länger in der Lage zu sein, die ständig in Veränderung begriffene Welt, in der wir leben, und die globalen Netzwerke, die durch Migration produziert werden, zu spiegeln. Mapping Mobilities hinterfragt die traditionelle Karte als objektive Repräsentation des ,Realen’ und zielt darauf ab, Gegenkartografien zu präsentieren, welche die Aufmerksamkeit auf die gesellschaftlichen Bereiche lenken, die auf offiziellen Karten nicht dargestellt werden. Auf diese Weise werden Fragmentationen und Widersprüche, die in kulturellen Übergangsräumen im Zeitalter der Migration vorherrschen, aufgedeckt.

Die Macht der Karte beruhte lange auf ihrer Funktion als feststehende und allgemeingültige Darstellung der Welt. Heute ermöglichen uns digitale Technologien wie GIS (Geografisches Informationssystem) die Produktion mobiler, flexiblerer und demokratischerer räumlicher Information. Die KünstlerInnen in Mapping Mobilities befassen sich mit dem Kartografieren als einer prozessorientierten, kollektiven Praxis. Interessiert an Zusammenhängen von Macht, Identität und Örtlichkeit verzeichnen sie nicht nur geografische Realitäten, sondern auch Gedankenprozesse, die sich mit anderen Disziplinen wie kolonialem Imperialismus, Urbanismus und der globalen Wirtschaft beschäftigen. Dabei bieten sie ein neues Potenzial an, um zeitgenössische Erfahrungen des Raums zu formen.

Michael Hieslmairs und Michael Zinganels EXIT St. Pankraz (2007) kartografiert eine Raststätte an der Autobahn in Oberösterreich als Knotenpunkt, in dem Mobilitätsströme und transnationale Migrationswege zusammenlaufen. Die kommerzielle Entwicklung nach dem Krieg, der wachsende Verkehr und die Erweiterung des Straßennetzes hat allmählich die Autobahn am Rand der Alpen in eine der wichtigsten transnationalen und transalpinen Nord-Südverbindungen in Europa verwandelt. Die Route ist als ,Gastarbeiterroute’ bekannt und erstreckt sich von Holland und Deutschland bis zu den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens und der Türkei. Die Installation EXIT St. Pankraz besteht aus Interviews mit Personal, Stammkunden und mit Menschen, die an der Autobahnstation im Lauf ihrer Reise Halt machten. Ihre individuellen Geschichten spüren den politischen, sozialen und kommerziellen Veränderungen innerhalb Europas nach und reflektieren Themen wie den Fall des Eisernen Vorhangs, die jugoslawische Krise oder die Situation von ,Gastarbeitern’ in Europa. Ursprünglich von Maruša Sagadin co-produziert und am Ort der Produktion präsentiert, wird die Ausstellung Mapping Mobilities im Open Systems eine ortsspezifische Installation von EXIT St. Pankraz zeigen.

Kasmalievas und Djumalievs Projekt A New Silk Road: Algorithm of Survival and Hope, das vom Art Institute of Chicago beauftragt wurde, besteht aus einem 5-Kanal-Video und einer Reihe von Fotografien, welche die soziale Auswirkung heutiger globaler Wirtschaften entlang den Resten der zentralasiatischen Seidenstraße kartografieren. Mapping Mobilities wird eine Auswahl von Fotografien präsentieren, die die neue Realität dieser uralten Handelsroute dokumentieren, welche nach dem Fall des Eisernen Vorhangs zu einer Wegscheide für die wirtschaftlichen und politischen Interessen von Russland, China und den Vereinigten Staaten wurde.

Entlang der Seidenstraße in Kirgisistan aufgenommen, fangen die Bilder heruntergekommene sowjetische Lastwagen ein, wie sie Ladungen rostigen Eisens von Zentralasien bis China befördern. Diesen gegenübergestellt sind Karavanen glänzender, riesiger, chinesischer Sattelzüge, die durch die engen Pässe in gegensätzlicher Richtung rasen, beladen mit billig produzierten Massenprodukten für den europäischen Markt. Unterwegs lassen sich auch unternehmerische BewohnerInnen kleiner kirgisischer Bauernhöfe und von Armut gezeichneter Kleinstädte kreativ auf diese neue Handelsstraße ein, tauschen sich wirtschaftlich aus und profitieren von beiden Lastwagen-Karavanen.

Heutzutage werden traditionelle kartografische Normen und Codes durch GPS und GIS in Frage gestellt: neue, veränderliche und demokratische Strategien der Kartografierung, die in der Lage sind, die Einzelperson in das komplexe Beziehungsnetz innerhalb und zwischen Gemeinschaften und Orten zu platzieren. Esther Polaks und Ivar van Bekkums Projekt NomadicMilk (2009) spürt den täglichen Routen und räumlichen Schnittpunkten zweier durch Milch verbundener Wirtschaften in Nigeria mit GPS nach: den Routen der Fulani, den nomadischen Viehhirten, die in ihren jährlichen Migrationen nach Wasser, Nahrung und Märkten suchen und den Verteilungsnetzen der PEAK Milk, einer niederländischen Gesellschaft, deren Dosen mit Büchsenmilch und Milchpulverbeutel an jeder Straßenecke in Nigeria erhältlich sind. Das NomadicMilks Projekt wurde online sorgfältig in einem Weblog dokumentiert und hat schon viele Variationen der Präsentation durchlaufen. Im Open Systems wird die Webseite zusammen mit 12 zweifarbigen-Drucken gezeigt, die spezifische Milchrouten abbilden.

Unterstützt von: BM:UKK MA 7 - Interkulturelle und Internationale Aktivitäten Mondriaan Foundation

Mit freundlicher Teilunterstützung von toolsatwork

Über uns: Geöffnet Freitag, Samstag 13.00 - 18.30 Uhr und an den übrigen Wochentagen nur nach Vereinbarung. Freier Eintritt

Open Systems Zentrum für Kunstprojekte Lassingleithnerplatz 2 A – 1020 Wien Österreich (+43) 699 115 286 32 Für mehr Information: office@openspace-zkp.org http://www.openspace-zkp.org

Open Systems - Zentrum für Kunstprojekte will einen Ort grundlegender, zeitgenössischer Kunstpraxis schaffen, der sich als Beitrag zu einer neuartigen und ständig weiterentwickelten Modellstrategie für grenzüberschreitende, interregionale Projekte begreift.

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Mapping Mobilities
Kuratorin: Christine Takengny

Künstler: Michael Hieslmair / Michael Zinganel, Gulnara Kasmalieva / Muratbek Djumaliev, Esther Polak / Ivar van Bekkum