press release only in german

The Devil May Care: Zur Ausstellung Tilt von Marc Brandenburg

Tilt, sagt man im Englischen, wenn man kippen, schräg stellen, sich neigen meint. Eine Bewegung, die noch im Sinken richtungslos bleibt, dem Melancholiker bei Walter Benjamin gleich, der im Fallen Purzelbäume schlägt. Eins nur ist sicher, es geht nach unten. Tilt, sagte auch der brummende Ton früher am Flipper, wenn man zu sehr gerüttelt, getreten, geschoben und geschüttelt hatte. Die Kugel stürzte dann geräuschlos ab, als wäre plötzlich dem Gerät der Strom ausgegangen, und man konnte nur ohnmächtig zusehen, wie danach oft sogar das ganze Spiel gelöscht war, da half kein "Same player shoots again". Tilt, hieß das Titelstück auf der letzten CD von Scott Walker, die vor elf Jahren erschien in einem anderen, fernen Jahrhundert. Viel zu schnell vergeht die Zeit, das hört man der tremolierend wehmütigen Stimme des depressiven und fast vergessenen britischen Popstars aus den Sixties an, wenn er von Büffeln singt, die sich losgerissen haben, und dabei ein Begehren zwischen Cowboys andeutet, das mit dem Lasso fest vertäut werden muss und doch "nie geht", in diesem frühen "Brokeback Mountain".

Tilt, nennt Marc Brandenburg seine Ausstellung, in der sich all diese Sehnsuchtsströme treffen - die sich auftürmenden, aus dem Schattenreich herausgelöst schimmernden Figuren, die fratzenhaft aufblitzenden Motive vom Rummelplatz, das bisschen Liebe im Begriff der Auflösung. Die Zeichnungen umkreisen einander, bilden Reihen, tanzen ornamental zu einem imaginären Beat, stoßen sich gegenseitig ab und an. Doch in den Stickern, die er neuerdings zu explosionsartigen Clustern arrangiert, tanken sie noch einmal Energie: Action Painting, nicht als Dripping-Kosmos eines Jackson Pollock, sondern als eine Vielzahl an Gestalten aus dem Alltag von Brandenburg. So entlädt sich die dunkle Macht der Zeichen im Acidbad der Erinnerung, über die ein Las-Vegas-King namens Elvis gesungen hat "the devil may care".

HARALD FRICKE März 2006

Pressetext

only in german

Marc Brandenburg "TILT"