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Beweis zu nichts ist der Titel eines Gedichtes von Ingeborg Bachmann, in dem sie den Fortbestand der Opfer-Täter-Struktur in der deutschen Nachkriegsgesellschaft thematisiert. Mit Beweis zu nichts überschreibt Marcel Odenbach seine große Personale in der Kunsthalle Wien ebenso wie eine jüngst fertiggestellte Filmarbeit, die im Rahmen der Ausstellung ihre Premiere hat.

Marcel Odenbach nimmt sich in diesem Film des Mahnmals im ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald an, das, entworfen von Bertolt Brecht und Fritz Cremer, als Symbol für die Überwindung des Nationalsozialismus durch den Kommunismus steht. Odenbach geht der Frage nach, wie Erinnerung und Geschichte visualisiert, umgedeutet oder ideologisiert werden können. Der Film gleicht einer endlosen Fahrt ohne Anfang und Ende, die in Kreisbewegungen die Skulptur abtastet und in immer tiefere Ebenen vordringt, wobei Schichten von Dokumenten freigelegt werden und – assoziativ – das Innere nach außen gekehrt, die Vergangenheit mit der Gegenwart verwoben und der Blick gleichermaßen auf das große Ganze wie auf Teilaspekte geheftet wird.

Bereits in seinem Film Im Kreise drehen hat sich Odenbach mit einer Gedenkstätte beschäftigt, dem Mahnmal des ehemaligen Konzentrationslagers Majdanek im polnischen Lublin. Auch hier geht es um die Frage, wie das kollektive Gedächtnis materialisiert und dem Angedenken an die Opfer generationenübergreifend Ausdruck verliehen werden kann.

In ihrer intensiven Auseinandersetzung mit der Problematik der Vergangenheitsbewältigung spiegeln Marcel Odenbachs Arbeiten den Nachhall des Nationalsozialismus bis in die Gegenwart hinein, öffnen zugleich jedoch die spezifisch deutsche Fragestellung auf eine allgemeingültige Perspektive hin. Odenbach beobachtet unterschiedliche Kulturen und politische Konstellationen und lässt sie in sein Werk einfließen. Auch die Reflexion über das Vertraute und Fremde, die eigene Biografie und jene anderer sind wichtige Motive seines Werks, das gleichermaßen ästhetisch wie politisch argumentiert.

Die Aktualität von Themen wie Vergangenheitsbewältigung, Genozid und den Folgen von Kolonialismus unterstreichen weitere Arbeiten der Ausstellung:

So zeigt die Videoinstallation In stillen Teichen lauern Krokodile, die den Genozid in Ruanda 1994 thematisiert, historisches Dokumentationsmaterial und Ausschnitte aus dem Filmarchiv der UNO, aber keine direkten Bilder des Verbrechens. Die Annäherung an ein Land, das einerseits die Mörder verurteilen, andererseits die Völker versöhnen muss, geschieht über alltägliche Szenen, die die Schönheit Ruandas zeigen: Bauern auf Bananenfeldern, Kühe auf grünen Wiesen, Regen, der auf paradiesische Hügellandschaften fällt. Allein auf der Tonspur ist die Hetzpropaganda aus dem Radio zu hören, die die Hutu aufforderte, die Tutsi zu ermorden. Die Videoinstallation selbst gibt kein Urteil zu dem Geschehen ab und liefert auch keinen Erklärungsversuch. Die stark suggestiven Bilder fordern den Beobachter vielmehr dazu auf, sich selbst eine Meinung zu bilden.

Im Schiffbruch nicht schwimmen können thematisiert Migration und Flucht und die Motive, die hinter solch weitreichenden Entscheidungen stehen. Die Interviews, die diesem Film zugrunde liegen, erzählen von Heimweh, von Ängsten und den Erwartungen an die Zukunft. Die visuelle Ebene zeigt drei in Frankreich lebende Migranten im Louvre bei der Betrachtung des Gemäldes Das Floß der Medusa von Théodore Géricault. Das monumentale Gemälde symbolisiert ein Stück französischer Kolonialgeschichte und deren Scheitern. Die Fregatte Medusa war 1816 nach den Napoleonischen Kriegen von Frankreich entsandt worden um die Kolonie Senegal von den Briten zu übernehmen. Nachdem sie Schiffbruch erlitten hatte, brach unter der Besatzung ein unerbittlicher Kampf ums Überleben aus.

Die Ausstellung in der Kunsthalle Wien stellt Videofilme und -installationen neben Collagen, in denen Odenbach das Montageprinzip des Films aufgreift und Mikro- und Makroansicht aufeinandertreffen lässt. Während die Makroansicht ein klar erkennbares Motiv präsentiert, zeigt die Detailansicht unzählige Einzelbilder, aus denen sich das Motiv wie bei einem Puzzle zusammenfügt. Das große, leicht zu erkennende Bild zeigt sich zuerst. Bei näherer Betrachtung zerfällt es jedoch in Fragmente, die dem großen Ganzen untergeordnet scheinen, letztlich jedoch eine eigenständige Erzählung entfalten. Aus der Spannung dieser beiden, häufig gegenläufigen Bilder entsteht ein Zwischenraum, der vom Publikum selbst mit seiner Sicht der Dinge gefüllt werden muss.