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Herbert Matter und Kurt Blum: Zwei Schweizer Photographen begegnen Mark Rothko

Die Galerie Beyeler hat für die Sommerausstellung über 60 Arbeiten auf Papier von Mark Rothko zusammengestellt. Die Auswahl setzt in den frühen Jahren seines Schaffens ein und führt von realistischen Werken über den Surrealismus zur reifen Bildsprache des Künstlers. Dabei wird besonders der Wandel von einem expliziten zeichnerischen Inhalt zu einer malerischen Inhaltlichkeit verdeutlicht, denn auch in der Zeit der ‚klassischen’ Bilder nach 1950 besteht Mark Rothko auf dem Vorhandensein eines Inhaltes, den er verknappt mit „human drama“ oder „elemental truth“ umreisst. Die Arbeiten auf Papier zeichnen somit die Entwicklung von der Zeichnung zu eigentlichen Malereien auf Papier nach. Papier als Träger von Rothkos Kunst tritt in unterschiedlicher Intensität und Bedeutung in seinem Werk auf. Ausgesprochen zeichnerische Werksabschnitte finden sich zum Beispiel erwartungsgemäss im Frühwerk, während des Surrealismus, gegen Ende der 50er Jahre und nach schwerer Krankheit in den letzten Lebensjahren von 1968-1970. Eine ausgesuchte Gruppe von vorbereitenden, um 1941 zu datierende Studien bieten Einblick in die vom Künstler favorisierten mythologisch-klassischen Bildinhalte, die durch eine künstlerische Verknappung elementare Gültigkeit erhalten. Im Hinblick auf die späteren gesamträumlichen Bildzyklen der Murals wie etwa für das Seagram Restaurant, die Harvard University oder die Rothko Chapel, sind vor allem jene Zeichnungen aufschlussreich, die sich mit den Leiden des Dionysos beschäftigen. Ausgehend von Nietzsches Geburt der Tragödie und seinen philosophischen Betrachtungen, findet sich in diesen Tuschfederskizzen die Gleichsetzung des von Titanen in Stücke gerissenen Dionysos mit Christus am Kreuz. Solche Themata sind im späteren Werk verinnerlicht und werden in der visuellen Konfrontation und intensivierten Bild-Betrachter-Beziehung indirekt manifest. Im Surrealismus geht der mythologische Gehalt in einer biomorphen Formensprache auf und landschaftliche Aspekte, rudimentäre Schichtungen von Strand, Meer, Horizont und Himmel bestimmen vermehrt die malerische Organisation von Rothkos Bildwelten. Gerade in dieser Zeit entwickelt er in seinen Arbeiten auf Papier eine zukunftsweisende technische Meisterschaft, nutzt die Möglichkeiten von Gouache- und Aquarellmalerei für eine Varietät des farblichen Vortrags, der auf einer verhaltenen Tonigkeit in Grau, Braun, Ocker, Blau und Weiss aufbaut. Lasierende Überlagerungen und physische Bearbeitung durch Bereiben und Kratzen tragen wesentlich zum malerischen Reichtum bei. Mit dem Einsetzen des klassischen Werks treten die Arbeiten auf Papier vorerst zurück. Das Jahr 1952/53 kennt vereinzelte Arbeiten. Erst die gemeinsamen Sommerferien 1957mit seinen Freunden Milton Avery und Adolph Gottlieb, führen zu einer erneuten Hinwendung des Malens auf Papier. Es ist wohl die nostalgische Erinnerung an die gemeinsamen Tage der 30er Jahre, als die drei oft zusammen arbeiteten, die hier aufleben und auch in den folgenden Sommern bis 1961 zu einer produktiven Beschäftigung mit dem Medium führen. Die für die Malerei typische Verdunkelung der Farbpalette ist gegen Ende der 50er Jahre auch an den Papieren zu beobachten. Mit den grossen Aufträgen für Murals kommt die Zeichnung in einer vorbereitenden Funktion wieder zum Einsatz. Die Ausstellung zeigt zwei Gruppen solcher Arbeiten, eine grossformatige bildhafte Serie zu den Seagram Murals und Studien der Rahmenformen auf weinrotem Zeichenpapier zur Ausgestaltung des Holyoke Centers in Harvard. Die schwere Erkrankung und Hospitalisierung Rothkos setzt 1968 eine Zäsur. Zur Schonung und auf Anweisung der Ärzte darf Rothko vorerst nur sehr reduziert arbeiten. Das Malen auf Papier erhält eine ganz neue Dimension und sehr schnell wird es auch in Bezug auf das Format den üblichen Rahmen sprengen. Eine erstaunliche Vielfalt und überraschende Innovationslust prägt diese Arbeiten. Ihr dunkles Kolorit führt zu einer Verfestigung in der Fläche, steigert die bildnerische Präsenz und Bedeutung der Proportionierung der einzelnen Farbflächen. Im Zuge eines Inventars sichtet Rothko 1968/1969 in kurzer Zeit sein Gesamtwerk. Die malerisch reichen Bildgründe der surrealistischen Arbeiten scheinen neue Bildserien auf Papier und parallel auch auf Leinwand anzuregen, wo in radikaler Reduktion nochmals Rothkos künstlerische Anliegen zusammengefasst werden. Ernst Beyeler kauft 1961 einen ersten Rothko, Untitled (Lavender and Mulberry) auf Papier für die Galerie an. Ein für Basel mutiger Schritt, denn amerikanische Nachkriegskunst gehörte zu dieser Zeit noch nicht zum händlerischen Alltag an der Bäumleingasse. Es sollte ein Einzelfall bleiben, denn erst ab 1969 wurde der Handel mit Rothko und amerikanischer Kunst im allgemeinen für die Galerie Beyeler interessant. Es gelang früh, herrliche Gemälde in europäischen Museen und Sammlungen zu platzieren. Immer wieder konnten danach herausragende Werke zum Verkauf angeboten werden, bis heute gut siebzig Arbeiten, je etwa zur Hälfte Leinwände und Arbeiten auf Papier. Im Winter 1990/91 erfüllt sich auch der Traum einer kleinen Retrospektive. Dass nun heute, über vierzig Jahre nach diesem ersten Ankauf, eine Ausstellung, die ausschliesslich den Werken auf Papier gewidmet ist, gezeigt werden kann, ist ein besonderer Glücksfall und der Grosszügigkeit von Kate Rothko Prizel und Christopher Rothko wie auch zahlreichen privaten Leihgebern zu verdanken. Nach der unvergesslichen Rothko-Ausstellung der Fondation Beyeler 2001 und der seither dauerhaften und einzigartigen Präsenz der Mark Rothko Rooms in Riehen, war es ein grosses Anliegen, die gesamte Schaffensbreite des Künstlers in diesem Medium zeigen zu können. Manches wird erstmals öffentlich gezeigt. Kurt Blum reiste im Frühjahr 1962 mit Arnold Rüdlinger nach Amerika und begleitete ihn auf seinen legendären Atelierbesuchen und bei Begegnungen mit den führenden Vertretern der amerikanischen Kunstszene in New York. In ihrer Direktheit und Spontaneität halten die Fotografien unverfälscht die begeisternde Aufbruchstimmung fest und legen Zeugnis von manch dauerhafter Künstlerfreundschaft ab. Rothko empfing seine Besucher im Wohnhaus der Familie, 118 East 95th Street. Es handelt sich um die einzigen bekannten photographischen Belege für sein privates Studio im dritten Stock des Hauses, das nicht nur der Lagerung persönlich hochgeschätzter Bilder diente, sondern, wie die Malutensilien deutlich machen, gerade in dieser Zeit auch zum Arbeiten benutzt wurde. Herbert Matter reiste 1935 in und durch die USA und liess sich 1936 in New York nieder, wo er als Photograph und Grafiker tätig ist. Durch seine Bekanntschaft mit Künstlern wie Alexander Calder, Jackson Pollock oder Franz Kline beginnt er früh, deren Werk zu dokumentieren. Er arbeitet ebenso für die Pierre Matisse Gallery wie für das Museum of Modern Art, neben Vogue, Harper’s Bazaar oder Knoll International. Im Vorfeld von Mark Rothkos grosser Retrospektive im Museum of Modern Art (Januar-März 1961), besucht er den Künstler in seinem Atelier, 222 Bowery in New York. Im Auftrag vom MoMA entstehen Porträtaufnahmen für den Katalog und die bisher einzig bekannten Aufnahmen jenes Ortes, wo die Seagram Murals entstanden sind, Rothkos erster gesamträumlicher Auftrag. Interessant sind insbesondere die Details: die Flaschenzüge, die dazu dienten die Bilder als umlaufender Wandfries in die Höhe zu ziehen, das Gerüst zum Malen, die Maxwell House Paint Dosen und anderes mehr.

Oliver Wick hat dieses Ausstellungsprojekt in den letzten Jahren verfolgt und für die Galerie Beyeler kuratiert.

Pressetext

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Mark Rothko - Arbeiten auf Papier, 1930-1969
Kurator: Oliver Wick