Kunstsammlung Jena

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Die Bilder des 1959 in Schwelm geborenen Malers und Zeichners Martin Assig sind auf eine wunderbare und eigenwillige Weise außer der Zeit. Während viele andere ihre Positionen den aktuellen Diskursen anpassen und mit wechselnden Interventionen darauf reagieren, entwickelt sich sein Werk in Variationen und Sprüngen entlang einer individuellen Begrifflichkeit, die an den klassischen Kriterien von Dichte und Qualität orientiert ist. Martin Assig malt Menschenbilder, die sich auf Holztafeln oder Zeichenpapier zeigen, manchmal für sich allein stehen oder auch im Verbund einer Folge. Da sind kopf– und beinlose Leiber, surreale Organsysteme, die sich in Kreisläufen verbinden und wie Menetekel einer verwundeten Welt daherkommen. Dabei scheint alles und jedes miteinander verbunden und das Materielle, das Sichtbare, ist lediglich eine Improvisation des Immateriellen, führt weiter und eröffnet dem Betrachter einen Denkraum. Von vielen Bildern des heute in Berlin und Brädikow lebenden Malers geht eine geheimnisvolle, fast sakrale Ruhe aus, ganz so, als höre man ein Flüstern, ein Raunen, das die Zeiten überspringt. Vielleicht ist es gerade die sensible Art der Weltwahrnehmung, die den Künstler zu solch poetischen Verdichtungen treibt, in der sich die Bedeutungen wie die Schichten seiner Malerei überdecken und durchdringen. „Ich werfe immer wieder aufs Neue einen Ball von mir weg, dem laufe ich dann hinterher”, beschreibt der Künstler seine Arbeitsweise.

Martin Assig arbeitet seine großen Tafelbilder nahezu ausschließlich in Wachsmalerei. Diese sehr alte, heute seltene Maltechnik (Enkaustik genannt) nutzten bereits die Ägypter für die Porträtmalerei. Auch die Griechen malten mit Wachs und verwandten diese Technik wegen ihrer relativ großen Witterungsbeständigkeit für die farbige Fassung von Skulpturen. Seit der Neuzeit wird die Enkaustik nur noch selten angewandt. Dennoch geriet sie nicht in Vergessenheit und wurde von einzelnen Künstlern immer wieder neu belebt. Martin Assigs Bilder zeigen häufig Körperteile, Körperausschnitte oder Frauen in Korsagen und Kleidern, die ihre körpereigenen Netzstrukturen der Blut– oder Nervenbahnen nach außen abzubilden scheinen. So schwebt „Johanna“ (2007) ohne Kopf durch den Raum und ist vielfach mit dem Binnenraum des Bildes vernabelt. Die reduzierte, kraftvoll gekrümmte Figur wird von vier Diagonalen im Zentrum des Bildes gehalten, während der Binnenraum von jenen Blutbahnen durchädert ist, die wie Nabelschnüre der Figur entspringen. Durch die stumpfartig verknappten Gliedmaßen sind die gestischen Möglichkeiten der Figur eingeschränkt. Ob Martin Assig, dessen Bilder unzweifelhaft von den Formen der christlichen Ikonographie beeinflusst sind – dieser aber nicht gehorchen – sich hier an einer historisch verbürgten Geschichte orientiert, bleibt offen. Durch die Literatur geistert nicht allein die Legende der Päpstin Johanna (Johann VIII.), ein mögliches historisches Vorbild könnte dem oft in Spanien weilenden Künstler auch Johanna die Wahnsinnige (1479–1555), Königin von Kastilien und Gemahlin Philipps des Schönen, geliefert haben. So unbestimmt solche Zuordnungen auch sein mögen, sie erregen die Freude an der narrativen Umschreibung und geben den Bildern eine spirituelle Aura.

Das zeichnerische Werk steht als eigenständige Position deutlich wahrnehmbar neben der Malerei und kreuzt sich mit dieser in Vorwegnahmen, Begleitungen oder Ergänzungen. Direkte Vorarbeiten im Sinne einer motivischen Ausformulierung gibt es nicht. Die Zeichnungen bereiten jedoch die Motive der Tafelbilder vor oder verfolgen formale Möglichkeiten auf Nebenwegen. Mit Tuschen oder Ölfarben setzt der Künstler Gewichte, bildet Schwerpunkte und schafft mit Bleistift oder Kugelschreiber jene Zusammenhänge, die aus dem bloßen Nebeneinander ein organisches Miteinander werden lassen. Assig – so jedenfalls scheint es – sortiert hier, im flinker handhabbaren Medium, seine Ideen, riskiert bildnerische Beziehungen und prüft deren Haltbarkeit. Betrachtet man das Werk der Zeichnungen als grundlegendes bildnerisches Vermögen eines Künstlers, so kann man dies bei Martin Assig als eine Art Alphabet sehen, das er permanent erweitert und vernetzt.

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Martin Assig
Tausend Gründe
Malerei und Zeichnungen