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Martin Flemming . but I still love the old world

Die Galerie koal zeigt vom 25. September bis zum 14. November 2009 but I still love the old world, die erste Einzelausstellung von Martin Flemming und zugleich die erste Ausstellung in den neuen Räumen der Galerie. Die Eröffnung findet am Donnerstag, dem 24. September von 18 bis 21 Uhr in der Tucholskystr. 25 in Berlin-Mitte statt.

Martin Flemming verbrachte 22 Jahre seines Lebens in Weimar. Dort wurde er geboren und dort besuchte er die Bauhaus Universität, bevor er sein Kunststudium an der Städelschule in Frankfurt am Main fortsetzte, wo wir uns zum ersten Mal begegneten. In den letzten Jahren hat Flemming eine Reihe von Skulpturen und architektonischen Interventionen geschaffen, die Kommentare zu den Konventionen des Galerieraums sowie des Ausstellungsaufbaus darstellen. Zugleich fährt er fort, formale Aspekte der Kunstproduktion zu akzentuieren.

Für eine seiner früheren Arbeiten, untitled (2003), sammelte Flemming 89 gebrauchte Schubladen in verschiedenen Farben und Formaten und passte sie in eine Holzkonstruktion in einem Fenster ein, das wie ein Regal fungierte. Indem Spuren und Schichten mit den Methoden der Malerei betont wurden, gewannen die industriell hergestellten Regalfächer durch das Arrangement des Künstlers eine individuelle Identität. Dieser Schubladenstapel war von zwei Seiten zugänglich. Im Innenraum konnte der Besucher eine Leiter erklimmen und Veränderungen an der Assemblage vornehmen. Von außerhalb des Fensters betrachtet erinnerte die Fensterarbeit an das Bauhaus Ziel, die Kunst zu funktionalisieren und der Gesellschaft Gegenstände an die Hand zu geben, die auf ihren Nutzen hin betrachtet werden können sowie eine künstlerische Qualität besitzen, die sich nicht nur an einen kleinen Teil der Gesellschaft richtet. Platziert als eine Art Membran zwischen öffentlichem und institutionellem Raum, kann untitled (2003) als Kritik der Kunstschule, innerhalb derer es geschaffen wurde, und zugleich als Spiel mit den inhärenten Qualitäten der utopischen Ideen des Bauhaus verstanden werden.

Für but I still love the old world in der Galerie koal hat Flemming eine Gruppe von Hängelampe geschaffen (SEA, SUN & FUN, 2009), die auf den ersten Blick gleichermaßen der Bauhaus-Ästhetik ähneln. Mithilfe von Salzwasser und Tinte hat der Künstler Bildelemente willkürlich auf den ansonsten ununterscheidbar makellosen Kugeln entstehen lassen. Flemming assoziiert mit dieser Arbeit auch die Stadt Tel Aviv, die eine große Anzahl an Bauten im Bauhaus-Stil beherbergt, welche über die Jahre durch ihre Bewohnung und unter dem Einfluss der nahen See, des Windes und des Salzes verfallen sind. Die zufällige Herstellungsweise findet ihr Echo in Flemmings Zinnskulpturen, die sich von der deutschen Tradition herleiten, zu Silvester geschmolzenes Blei in kaltes Wasser zu gießen – eine Form des Wahrsagens, bei der die Teilnehmer reihum das Aussehen des Resultats und seine möglichen Bedeutungen erörtern. Beide Arbeiten setzen die Auseinandersetzung des Künstlers mit den Arten künstlerischen Schaffens ebenso wie mit der Politik des Betrachtens, bei der die individuelle Begegnung mit einem Kunstwerk durch das breite Spektrum der Interpretationsmöglichkeiten belastet wird, fort.

Ein minimalistisch gestalteter Plattenspieler steht im Mittelpunkt der Ausstellung in der Galerie koal. Auf ihm liegt eine eiserne Scheibe mit einer Radierung, die an die Art von Dubplates erinnert, die DJs produzieren, um neue Tracks vor Publikum ausprobieren, bevor diese auf Vinyl gepresst werden. Ebenso evoziert die Radierung auf Flemmings Dubplate Marcel Duchamps Rotoreliefs von 1935. Die Nadel des Plattenspielers produziert ein permanentes Rauschen, das im gesamten Ausstellungsraum zu hören ist. Die Arbeit bekundet Flemmings anhaltendes Interesse an minimalistischen Ideen sowie seine gleichzeitige Begeisterung für obsolete Medien, welche sich auch in seinem Beitrag für Pedro Lagoas Folge von record breaking parties manifestiert hat, die in der Stoltzestrasse in Frankfurt (2007) und in Wien (2008) stattfanden.

Die Geschichte neo-konkreter Dichtung und Kunst schwingt mit, wenn man dieser Arbeit lauscht und verknüpft die Arbeit mit der bislang einzigen Dia-Arbeit des Künstlers, Zurück in die Zukunft (2008), die ebenfalls einen Teil der Ausstellung ausmacht. In einem Schweizer Wald gelegen, kreiert das abgebildete Monument die Illusion, in die Zukunft einzutreten und ein Stück Architektur aus der Mitte der 1950er Jahre auszugraben, als neo-konkrete Kunst und Architektur auf ihrem Höhepunkt angekommen waren. Nachdem er zufällig auf den Ort gestoßen war, manipulierte der Künstler im folgenden die Abbildung eines Betonpfeilers, indem er in einem Formenspiel verschiedene Bilder miteinander verschmolz und so die Assemblage im Laufe der Zeit wachsen bzw. schrumpfen ließ. Begleitet von einem Triangel, der den Klang von Hammerschlägen auf Metall wiedergibt, mehrt Zurück in die Zukunft (2008) die Kakophonie im Ausstellungsraum. Neo-konkrete Kunst ging davon aus, dass das von ihr verwendete „geometrische“ Vokabular komplexe menschliche Handlungen auszudrücken vermag. Mit dem Mittel des Klangs transzendiert Flemming die mechanischen Verhältnisse und erzeugt eine Atmosphäre, die über das wiederkehrende Interesse des Künstlers an der Willkürlichkeit der Form hinausgeht. Wenngleich er Traditionen und Stile aus seinem biografischen Hintergrund ins Auge fasst, bricht Flemming doch aus jeglicher Art von Melancholie aus, wie sie dem Song Old world von The Modern Lovers innewohnt, von dem sich der Titel der Ausstellung herleitet.

Tobi Maier ist Kritiker und Kurator und lebt in New York.