artists & participants

press release only in german

Er war der bestbezahlte Starfotograf seiner Zeit. Budapest – Berlin – New York hießen die Stationen seines Erfolgs. Er fotografierte Sportler und Tänzer in Aktion, holte die Modefotografie aus den Studios und setzte das statische Medium Fotografie in Bewegung. Martin Munkácsi (1896-1963) gilt als wichtigster Pionier des modernen Bildjournalismus. Der Wandel des Mediums und wechselnder Zeitgeschmack ließen ihn jedoch bald in Vergessenheit geraten. Die große Retrospektive im Martin-Gropius-Bau „Martin Munkácsi – Fotografien“ gibt jetzt dem gebürtigen Ungarn seine einzigartige Position in der Geschichte der Fotografie zurück.

Die Ausstellung zeigt mehr als 350 Fotografien aus den Jahren 1923 bis 1963, darunter 300 Originalabzüge. Zahlreiche Aufnahmen wurden nach ihrem Erscheinen in Zeitungen und Magazinen kein zweites Mal veröffentlicht und sind deshalb inzwischen nahezu unbekannt. Jahrelang dauerte die Suche.

Bedeutende amerikanische Museen hatten die Schenkung des Munkácsi-Archivs nach seinem Tod 1963 abgelehnt. Seine Bilder und Negative wurden in alle Welt verstreut, ein Großteil des Nachlasses ging verloren. Nur das Ullstein-Archiv in Berlin und die Sammlung F.C. Gundlach in Hamburg besitzen noch geschlossene Konvolute seines Lebenswerks aus den ungarischen, deutschen und amerikanischen Schaffensphasen.

Budapest – Berlin – New York In Ungarn schlug sich der junge Reporter aus armen Verhältnissen vor allem mit Berichten und Fotos von Sportereignissen durch. Zufällig wurde er mit seiner Kamera Zeuge einer Rauferei, die tödlich endete. Seine Fotoserie entlastete den Angeklagten und machte auf den Fotografen aufmerksam. Er war zur rechten Zeit am rechten Ort. 1928 kam Martin Munkácsi nach Berlin. Der Zeitungsmarkt boomte, die Berliner Zeitungsmacher pflegten enge Kontakte nach Ungarn. Auch Laszlo Moholy-Nagy zog es 1928 nach Berlin; 1931 folgte Ernö Friedmann, der sich später Robert Capa nannte.

Munkácsis Fotos erschienen im angesehenen Mode-Magazin Die Dame, in koralle, Uhu und Vu sowie in anderen in- und ausländischen Blättern. Vor allem arbeitete er für die innovative Berliner Illustrirte Zeitung des Ullstein-Verlags, die eine Auflage von mehr als einer Million Exemplaren hatte. Munkácsi lieferte zahlreiche Titel, prägnante Reportagen und brillante Bildessays. Ihr formaler Aufbau ist noch heute vorbildlich. Stets hat er journalistische Genauigkeit mit hohem formal-ästhetischen Anspruch verbunden. Munkácsi avancierte zu einem der hervorragendsten Vertreter des „Neuen Sehens“ und der Moderne in der Fotografie schlechthin.

Munkácsi sah sich nicht als spezialisierter Sport- oder Modefotograf, vielmehr als „Mädchen für alles“. In Berlin fotografierte er ärmliche Kellerbehausungen ebenso wie die noblen Wohnräume der Prominenz. Er hielt das fröhliche Leben im „Luna Bad Wannsee“ (1931) fest oder den kraftvollen Schlag beim „Polo-Wettkampf in Berlin Frohnau“ (1929) und er faszinierte mit einzigartigen Luftaufnahmen von einer Fliegerschule für Frauen unweit von Berlin.

Für die Berliner Illustrirte Zeitung reiste Munkácsi in die Türkei, nach London, New York, Sizilien und Ägypten. Aus Liberia, dem ersten unabhängigen Staat in Afrika, brachte er 1930 ein Aufsehen erregendes Bild mit: „Drei Jungen laufen in die Brandung“. Die Rückenansichten der schwarzen Kinder zwischen Sand und Gischt beeindruckten Henri Cartier-Bresson. „Es war diese Fotografie, die für mich der Funke war, der das Feuerwerk abbrennen ließ. […] Plötzlich begriff ich, dass es der Fotografie möglich ist, die Ewigkeit zu erreichen – durch den Moment. Es ist die einzige Fotografie, die mich beeinflusst hat. In diesem Bild ist eine solche Intensität, eine solche Lebensfreude, ein solches Wunder, dass ich noch heute von ihm fasziniert bin“, bekannte der französische „Meister des Augenblicks“ 1977. Auch Munkásci wusste den richtigen Augenblick mit seiner schweren einäugigen 9 x 12 Spiegelreflexkamera zu erfassen.

Er konnte in Sekundenschnelle abdrücken und nahm sich dabei noch Zeit zum Denken: „Think while you shoot!“, war sein Wahlspruch. Munkácsi fotografierte Motorradfahrer im spritzenden Schlamm (um 1923) oder „Mit hundert Kilometern“ (1929), er stellte Flugzeuge wie Ikonen der Technik ins Bild und flog selbst mit dem Zeppelin nach Südamerika, immer geprägt von Tempo und Dynamik. Neben dem Sport, vor allem dem Fußball, faszinierte ihn der Tanz. „Fred Astaire auf den Zehenspitzen“ (1936) scheint kurz vor dem Abheben, während „Die Operetten-Soubrette Rosi Barsony bei ihren hinreißenden Grotesk-Tänzen“ (1933) bereits in der Luft schwebt.

Bedrohlich schieben sich dagegen die Stiefel der „Reichswehrtruppen in Marschformation“ ins Bild. Am 21. März 1933 fotografierte er den „Tag von Potsdam“, das geschichtsträchtige Ereignis, an dem der greise Staatspräsident Paul von Hindenburg das Land Adolf Hitler überantwortete. Die „BIZ“, die Berliner Illustrirte Zeitung, erschien mit einer Sonderausgabe, die noch der jüdische Chefredakteur Kurt Korff verantwortete. Zwei Monate später wurde der Verlag arisiert. Martin Munkácsi verließ 1934 Deutschland und ging, wie viele prominente Mitarbeiter des Verlages, ins Exil. In New York nahm er den Vertrag an, dem ihm die berühmte Carmel Snow, Chefredakteurin von Harper’s Bazaar, schon ein Jahr zuvor angeboten hatte dotiert mit 100 000 Dollar.

Starfotograf mit Stargagen In den USA wurde er vollends zum Star. Er revolutionierte die Modefotografie, indem er die Models – auch im Winter – in Bademoden am Strand entlang laufen ließ, um etwa ein flottes Cape in schwungvoller Bewegung zu präsentieren. Mit seinen spektakulären Modestrecken beeinflusste er auch das Bild der modernen, erfolgreichen, selbstständigen und dynamischen westlichen Großstadtfrau. Munkácsi veröffentlichte außerdem sehr erfolgreich in Life und holte sich den lukrativsten Vertrag seiner Karriere beim Ladies’ Home Journal für die Serienproduktion „How America lives“. Zwischen 1940 und 1946 schuf er 65 der insgesamt 78 Beiträge über das alltägliche Leben der Amerikaner quer durch alle sozialen Schichten. Weitere Höhepunkte seines Schaffens sind ungewöhnliche Porträts von Hollywoodstars wie Jean Harlow, Katharine Hepburn, Leslie Howard, Jane Russel und Marlene Dietrich. Später fotografierte er für die Werbung und betätigte sich als Kameramann beim Film. Martin Munkácsi starb weitgehend vergessen und verarmt 1963 in New York an einem Herzinfarkt, den er während des Besuchs eines Fußballspiels erlitt.

In der großen Retrospektive im Martin-Gropius-Bau werden ausgewählte Exemplare jener Zeitschriften zu sehen sein für die Munkácsi tätig gewesen ist: die Budapester Illustrierte Pesti Napló, die Publikationen seiner Berliner Jahre wie die Berliner Illustrirte und Uhu sowie diejenigen seiner amerikanischen Zeit, Harper‘s Bazaar, Life und Ladies‘ Home Journal. Außerdem sind Erstausgaben seiner Eigenpublikationen und der Monographien zu seinem Schaffen sowie bedeutende fotografische Jahrbücher, in denen er vertreten war, zu sehen.

Herausragend ist eine Reihe der wenigen noch erhaltenen Meisterwerke seiner Modefotografie. Seine ästhetischen Überzeugungen werden illustriert durch das Dummy eines geplanten, jedoch nicht mehr realisierten Buches. Private Aufnahmen zeigen den Fotografen bei der Arbeit und in der Freizeit.

Lebensdaten 1896 im ungarischen Kolozsvár als Sohn eines kinderreichen Malermeisters geboren. 1921 Seine ersten Sportfotos werden in Budapest veröffentlicht. 1928 Übersiedlung nach Berlin. 1934 Emigration in die USA. 1963 Martin Munkácsi stirbt am 14. Juli in den USA

Die Ausstellung war 2005 unter dem Titel „Martin Munkácsi. Think while you shoot!“ im Internationalen Haus der Photographie – Deichtorhallen Hamburg zu sehen.

In Berlin ermöglicht durch den Hauptstadtkulturfonds

Kuratoren F.C.Gundlach, Enno Kaufhold, Klaus Honnef

Katalog Erschienen im Steidl Verlag: Martin Munkácsi. Herausgegeben von F. C. Gundlach, mit Essays von Klaus Honnef und Enno Kaufhold, Steidl Verlag, 352 Seiten mit ca. 300 Tritone-Tafeln, 24 x 29 cm, Hardcover, 2005, ISBN 3-86521-099-6

Weitere Sportfotografien von Martin Munkácsi sind in der Ausstellung Faszination Fußball – Photographien aus der Frühzeit des Spiels 1900 bis 1940 – Offizieller Beitrag des Kunst- und Kulturprogramm zur FIFA WM 2006™, im Willy-Brandt-Haus Berlin vom 22. Juni bis 31. Juli 2006 zusehen.

Pressetext

only in german

Martin Munkacsi. Budapest – Berlin – New York
Retrospektive des großen Fotografen
Veranstalter: Berliner Festspiele.
Eine Ausstellung der Deichtorhallen Hamburg
Kuratoren: F.C.Gundlach, Enno Kaufhold, Klaus Honnef

Stationen:
15.04.05 - 14.08.05 Deichtorhallen Hamburg
05.08.06 - 06.11.06 Martin Gropius Bau, Berlin