press release only in german

Mary Kelly (*1956 in Dublin, Irland) absolvierte nach einem Bachelor in Psychologie und Philosophie (1977) ein Studium der Fächer Kunst und Experimentalfilm am Dún Laoghaire College of Art and Design, Dublin, und beendete es 1998 mit Auszeichnung. Im letzten Jahr schloss sie das National College of Art and Design mit einem Masters Degree in Fine Arts ab. Die Galerie Bugdahn und Kaimer hat das Werk von Mary Kelly bereits 2001 in der Ausstellung How to Butterfly a Leg of Lamb gezeigt, einem Gemeinschaftsprojekt mit Abigail O’Brien. Die jetzige Präsentation ist die erste Einzelausstellung der Künstlerin außerhalb von Irland.

Mary Kelly arbeitet mit den Medien Photographie und Film und unterzieht in ihrem bisherigen Werk die Domäne des Privaten einer künstlerischen Analyse. Ritualisierte Aspekte unseres sozialen Lebens, wie z.B. das menschliche Grundbedürfnis des Essens, sind darin thematisiert und der Spielraum zwischen distinguiertem Tafelritual und archaischem Einverleiben (etwa beim Stillen eines Säuglings) wird mit distanziertem, formal perfektem Gestus in bestechender Brillanz aufgezeigt.

In der Ausstellung sind 16 unter Acrylglas kaschierte Lambdachrome-Photoarbeiten im Format 120 x 120 cm bzw. 160 x 120 cm und der Videoloop The Blue Room (8 min.) zu sehen, die anlässlich eines Artist-in-Residence Aufenthalts im Portlaoise Gefängnis im Jahr 2003 entstanden sind.

In Weiterentwicklung ihres Themas des Privaten demonstrieren diese Arbeiten, die in einem irischen Gefängnis aufgenommen wurden, wieviel Individualität möglich ist, wenn die erfahrene Sanktion eben im Entzug des privaten Lebensraums und der Dinge, die man besitzt, besteht: Zugleich überschreitet die Künstlerin das Tabu, eine Institution „unter Verschluss“ ihrer Gesellschaft zugänglich zu machen. Neben Einblicken in das „Außen“ – The Shower, The Stairway, sowie der Aufenthaltsraum, den das Video zeigt und schließlich der endlose Flur (= Landing), nach dem der gesamte Zyklus auch benannt wurde – präsentiert sich dem Betrachter das „Innerste“, nachdem die Türen von 12 Zellen geöffnet wurden. Indem Kelly diese Photoarbeiten immer identisch anlegt und eine altarbildähnliche Dreiteilung in die Abschnitte Außenwand-Türöffnung-Außenwand vornimmt, wird das Destillat des Subjektiven durch die Serialität der Bildersequenz relativiert und die Dominanz der Institution spürbar. Auch das Innenleben der Zellen folgt wiederum bestimmten Parametern: in der Mitte das Bildtiefe definierende Fenster, darunter ein Bord, schließlich die Vertikale des querstehenden Betts. Um so deutlicher heben sich vor diesem Hintergrund die Details der Differenz ab. Pflanzen, Gardinen, Bücher, Textilien, Photos, Poster und Kleidungsstücke dokumentieren, dass Menschen immer – auch unter extremen und restriktiven Bedingungen – einen Ausdruck des Persönlichen, ein Zuhause in ihrer unmittelbaren Umgebung schaffen. „The little rules, the personal habits that are the link to society and to other people, and to yourself – that’s how we stay alive. Wherever you are in space, in your own home, or other people’s home, it could be any of us, in our space – that’s how we make the world liveable-in“ (Mary Kelly). Die uniform in fahlem Grün gestrichenen Außenwände geben den Arbeiten eine Grundtonalität, von der sich das gedämpft bunte Mosaik des lichtgesättigten Inneren leise, aber bestimmt unterscheidet.

Einen Gegenpol dazu repräsentiert die Farbtöne des Blue Room, der von einem Insassen kurz zuvor bewusst in diesen Farben gestrichen wurde. In drei verschiedenen Ausschnitten entwickelt sich die Geographie dieses Raums: seine linke Ecke mit einem Sandsack, die Mitte mit einem Fenster, und die rechte Seite mit einem weiteren Fenster und einem zweiten Sandsack. Der Zuschauer hört, wie jemand keuchend einen der beiden Punchingbags bearbeitet, aber in seinem Blickfeld befindet sich jeweils nur der Sandsack, der gerade in den letzten Pendelbewegungen verharrt. Der Boxer bleibt unsichtbar, das Ursache-Wirkung-Kontinuum aufgebrochen. Der Wechsel von einer Einstellung zur nächsten geschieht in einem Überblenden und dem traumartigen Fade-in des neuen Bildes. Wie bei den Photoarbeiten gibt es ein Dazwischen, eine Leerstelle, den Ort des Betrachters und seiner Reflexion. Das Video lässt sein Gegenüber in einem geradezu physischen Gefühl des Unbehagens, der Gespanntheit zurück. In einer Welt, in der alles überdeutlich sichtbar und permanenter Zugriff auf Information überall möglich ist, gestattet diese Arbeit dem Betrachter auf sehr subtile Weise keinen kontrollierenden Überblick und ist Ruptur, Vakuum. Kontemplative, statische Sequenzen und stakkatoartige Geräusche wurden gegeneinander komponiert. Trotz der Einbezugs von Bewegung und Ton ist The Blue Room eher ein vertieftes Tableau als ein Film.

The Landing bezieht seine Stärke aus der Weigerung, ein reines Dokument der Sozialkritik zu sein, ohne dabei in Ästhetizismus abzurutschen. Gerade dass in Kellys Arbeit die Insassen selbst nie auftauchen, zeugt von Respekt; und zugleich lädt sich durch die Abwesenheit ihrer Protagonisten die äußere Realität auf und gewinnt an Intensität.

Gabriele Wurzel

Vernissage Samstag, 4. Dezember 2004, von 16 – 19 Uhr.