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Max Beckmann (1884-1950) zählt nicht nur zu den herausragenden Malern, sondern auch zu den großen Druck-graphikern des zwanzigsten Jahrhunderts. Die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe zeigt dies vom 19. Februar 2005 an in einer umfassenden Ausstellung. Zu sehen sind rund 130 Blätter aus der für Beckmanns Entwicklung entscheidenden Phase zwischen dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs - der für den Künstler eine tiefe Krise darstellte, aber auch eine grundlegende Neuorientierung auslöste - und der vorübergehenden Konsolidierung Mitte der zwanziger Jahre. Der in Leipzig geborene Künstler, der in Braunschweig aufwuchs und in Weimar studierte, fand durch die intensive Beschäftigung mit den Techniken der Kaltnadel-radierung, der Lithographie und des Holzschnitts zu einer neuen Formensprache und einem sehr individuellen Stil. Beckmann hält zwar an der Illusion von Räumlichkeit auf der Bildfläche und der Figuration fest, sein deformierender Umgang mit der Perspektive und der menschlichen Proportion wird allerdings zu hoch wirksamen modernen Ausdrucksmitteln. In dieser Zeit bildet Beckmann auch eine persönliche Ikonographie aus, die in zunehmendem Maß symbolische Züge trägt.

Schon in seiner Akademiezeit in Weimar hatte sich der Künstler mit den wichtigsten druckgraphischen Techniken, mit Radierung, Holzschnitt und Lithographie, auseinander gesetzt. Nicht zufällig steht am Anfang seiner Bemühungen, 1901, ein Selbstbildnis. Selbstdarstellungen wurden - als isoliertes Bildnis oder in szenischen Zusammenhängen - zu einem roten Faden seines gesamten Schaffens. Unter ihnen kommt der Radierung "Selbstbildnis mit steifem Hut" von 1921 ein besonderer Rang zu: Beckmann präsentiert sich in korrekter bürgerlicher Straßenkleidung zwischen einer aufrecht sitzenden Katze, die ihm etwas einzuflüstern scheint, und einer Petroleumlampe. Das Tier und der Gegenstand stehen symbolisch für die zwei Seiten des Künstlers: das Nächtliche, Unergründliche, Unterbewusste und Animalische einerseits, den hellen Verstand andererseits. Trieb und Ratio verbinden sich auf geheimnisvolle Weise; Beckmann ist scharfer Beobachter, Analytiker und Visionär. Ziel seiner Kunst ist - in Beckmanns eigenen Worten - eine "transzendente Sachlichkeit".

Noch 1918 schrieb der Künstler, die Vorkriegszeit sei "ungesund und ekelhaft" gewesen, geprägt von "geschäftlicher Hetze", von der "Sucht nach Erfolg und Einfluss". Im Unterschied zu vielen anderen empfand er allerdings kaum Erleichterung, schon gar nicht Begeisterung, als der Krieg im August 1914 Realität wurde. Die Radierung "Kriegserklärung" macht dies deutlich: Dicht drängen sich die Menschen. Vorne wird die verhängnisvolle Nachricht gelesen, vielleicht auch vorgelesen. Ernst und Entsetzen sprechen aus den Mienen. Beckmann selbst stellt sich hier mit Hut und geschlossenen Augen dar - als Visionär, der die unheimliche Szene imaginiert und das große Unheil kommen sieht. In der Realität erlebte er dieses Grauen, den Schrecken des Grabenkrieges, sowohl an der Ost- als auch an der Westfront, nachdem er sich freiwillig zum Sanitätsdienst gemeldet hatte. Die Radierung "Sturmangriff" ist eine Erinnerung an das Gesehene.

Für Beckmann bedeutete diese Krise den Durchbruch zu einer modernen, gleichzeitig ganz und gar individuellen Ausdrucks-weise: Als Reaktion auf eine zu Bruch gegangene Welt fällt der traditionelle Bildraum in sich zusammen, die Perspektive zersplittert, die Proportionen verschieben sich auf groteske Weise. Nichts bindet den Künstler mehr an die alten Regeln. Beckmann denkt, wie schon die französischen Kubisten vor dem Krieg, über "die Architektur des Bildes" nach, über das Changieren von Fläche und Raum, das Verhältnis der geraden zu den gekrümmten Linien, über das Spiel mit formalen Kontrasten.

Auf die Gewalt der Nachkriegszeit, die Unruhen, Aufstände und politischen Morde, Chaos und Not reagierte Beckmann mit dem Mappenwerk "Die Hölle", das aus zehn großformatigen Lithographien besteht. Daneben zählen die Mappen "Jahrmarkt" von 1921 und "Berliner Reise 1922" zu den Höhepunkten der Druckgraphik Beckmanns, die in der Karlsruher Ausstellung zu sehen sind. Bedeutsame Einzelblätter werden außerdem präsentiert, die sich zu thematischen Gruppen zusammenfügen.

Die Karlsruher Ausstellung endet mit dem Jahr 1924. Von da an wendet sich Beckmann mit verstärkter Konzentration der Malerei zu, die Druckgraphik hingegen tritt in den Hintergrund. Das bis zu diesem Zeitpunkt entstandene druckgraphische Werk ist eindrucksvoll, sowohl in qualitativer wie auch in quantitativer Hinsicht: Zwischen 1914 und 1924 schuf Beckmann 156 Radierungen, 72 Lithographien und 16 Holzschnitte. Gut ein Drittel der in der Ausstellung gezeigten Blätter macht der Bestand der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe aus, der bereits vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten umfangreich war, dann im Rahmen der Aktion "Entartete Kunst" stark dezimiert wurde, seit 1949 aber wieder kontinuierlich wächst. Abgesehen von Gemälden und Zeichnungen, umfasst er derzeit 53 Blätter an Druckgraphik, darunter einige seltene Arbeiten. Die übrigen Werke der Ausstellung sind Leihgaben aus bedeutenden öffentlichen und privaten Sammlungen. Vor den Augen der Besucher entfaltet sich das ganze Panorama der Beckmann'schen Kunst, deren Ziel es war, "den Menschen ein Bild ihres Schicksals zu geben."

Es erscheint ein umfangreicher Katalog mit Beiträgen von Stephan von Wiese und Ursula Harter (Düsseldorf/Frankfurt), von Norbert Nobis (Hannover), Klaus Gallwitz (Baden-Baden), Christiane Zeiller (München) und Holger Jacob-Friesen (Karlsruhe)

Pressetext

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Max Beckmann - Druckgraphik 1914-1924