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Michael Kunze (*1961 in München) ist eine Ausnahmeerscheinung in der deutschen Kunstlandschaft. Seine Malereien stecken voller literarischer, philosophischer, kunst- und architekturhistorischer Reflexionen. Er überführt diese in rätselhafte, irrational anmutende Szenerien, architektonische Konstrukte oder utopische Landschaften. Zusammenhänge und mögliche Bedeutungen bleiben äußerlich verschleiert, Konfrontationen verschiedener Bildelemente wirken mitunter widersinnig und fordern zu einem intensiven Dialog mit dem die Betrachter spaltenden Werk auf.

Die Ausstellung in Düsseldorf präsentiert Arbeiten aus den letzten 20 Jahren seines Schaffens, das sich wie ein endloser Kommentar zu Arnold Böcklins „Toteninsel“ lesen lässt: Von hier aus spaltet sich, so Kunze, die Moderne in einen offiziellen, geradlinigen und einen nicht-offiziellen, verschlungenen Pfad auf. Für ersteren Weg stehen Cezanne, Impressionismus, und der darauf folgende Avantgardereigen, der bis ins späte 20. Jahrhundert unser „amtliches“ Moderneverständnis prägt. Die toteninsulare „Schattenmoderne“ hingegen geht einen weniger fortschrittsgerichteten, stattdessen labyrinthischen, zirkulären, und oftmals düster und mythisch erscheinenden Weg. Hier folgten auf Böcklin Giorgio de Chirico, der frühe Surrealismus, dann im späteren 20. Jhd. Filmschaffende wie L. Bunuel, P.P.Pasolini, A. Tarkowski, bis hin zu Lars von Triers „Antichrist“. In der Bildenden Kunst fungierten auf dieser Seite Einzelgestalten wie Balthus, Francis Bacon oder Anselm Kiefer, die allesamt einem heidnisch geprägten, bildbejahenden, d.h. antiprotestantischen Bildverständnis verpflichtet waren,- allerdings jenseits von popkulturellen, spätmodernen Verbindlichkeiten zwischen „Karl Marx und Coca-Cola“.

Innerhalb dieser Genealogie versucht Kunze Zusammenhänge herzustellen, die heute fast in Verges sen heit geraten sind. Ein zentrales Motiv hierfür sind die „Halkyonischen Tage“: Der von Kopfweh geplagte F. Nietzsche verwendete diese Metapher in Zeiten der Besserung seines Leidens: Gemeint ist damit eine kurze Phase zur Wintersonnenwende, an denen es an den Küsten des Mittelmeers kalt und windstill ist. Halkyon ist der Eisvogel, der in diesen Tagen seine Brutzeit hat. Die kulturkritischen Implikationen der Metapher, die in Nietzsches Zarathustra mit der Vision einer insgesamten Zeitenwende in Verbindung gebracht werden, sind das Thema von Kunzes transhistorischen Bildwanderungen.

Immer wieder malt Michael Kunze architektonische Kompositionen unter einem an Claude Lorrain erinnernden, bewölktem Himmel, die in theatralisch inszeniertes, mediterranes Licht getaucht sind. Dominierend sind die vielschichtigen Kontraste auf inhaltlicher und formaler Ebene. Fragmente moderner und vormoderner Baukunst treffen aufeinander und gehen gleichzeitig in einem Ganzen auf, das überkommene Entwicklungsmodelle in Frage stellt. So schlägt Kunze etwa eine Brücke zwischen Mies van der Rohe und der totalitären Architektur des 20. Jahrhunderts oder zwischen Frank Lloyd Wrights „Waterfalls-Villa“ und der „Villa d'Este“ in Tivoli. Dabei führt er deren vermeintliche Unvereinbarkeit ad absurdum.

Dargestellte Figuren sind bisweilen kontrovers diskutierte Provokateure wie in den „Les Messieurs d’Avignon“, Schauspieler aus zitierten Bühnen- oder Filmwerken, oder schablonenhafte Gesichter, die körper- und ausdruckslos, wie aus Computerspielen schematisiert, beliebig und austauschbar wirken. Darüber hinaus erscheinen surreal bis dekonstruktiv verschach telte Bühnenprospekte, durchsetzt von narrativen Fallen, Reminiszenzen an die elegischen Flucht räu me de Chiricos, oder die in ihrer wahnhaften Monumentalität unentrinnbar gewordenen „Carceri“ Piranesis. Die Kontexte stellt Kunze oft in eine nur atmosphärische Verbindung, um aber gerade von hier aus wieder einen Eintauchpunkt in die hermetische Texthaltigkeit seiner Bildquellen zu ermögli chen. Er überlässt es zumeist dem Betrachter, die Bezüge aufzunehmen, sie einer möglichen „Lösung“ zuzuführen oder den rätselhaft aufgeladenen Stillstand der Dinge unangetastet bestehen zu lassen.

Hinweise auf Referenzen geben nicht nur Michael Kunzes Bilder und deren Titel, sondern auch seine Texte, von denen einige im aktuellen Katalogbuch erscheinen werden. Diese tragen zwar zum näheren Verständnis seiner Intention bei, sind jedoch nicht als theoretische „Gebrauchs anweis ung“ zur malerischen Praxis zu verstehen. Sie können als gleichberechtigte Äußerungen in demselben Labyrinth gelten, das auch seine seit 20 Jahren in Griechenland gemachten Fotografien beschreiben, – angesichts ruinöser und verlassener Örtlichkeiten, deren fotografisches Abbild idealisierende und archäologisch-dokumentierende Aspekte verbindet. Die Verknüpfung verschiedener Ebenen, die Vermischung von Traum und Realität, Bewusstem und Unbewusstem kennzeichnen Michael Kunzes Bilder. Es entstehen palimpsestartige Gemälde, durch deren vielschichtige theoretische Lagen mit literarischen, kunsthistorischen und filmischen Referenzen sich der Betrachter „durchschaufeln“ muss und somit zum hermeneutischen Dialog herausgefordert wird. Denn „nicht Malerei als Malerei ist interessant“, bekundet Michael Kunze, „sondern Malerei als Literatur, Literatur als Fotografie, Fotografie als Readymade, Readymade als Film, Film als Architektur, Architektur als Musik etc.“

Zur Ausstellung erscheint ein umfangreicher Katalog (ca. 400 Seiten) mit Texten von Michael Kunze, Udo Kittelmann, Gregor Jansen und Veit Loers im Verlag der Buchhandlung Walter König.

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Michael Kunze
Hal­kyo­ni­sche Ta­ge