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Michel Majerus wurde nur 35 Jahre alt, und doch hinterlässt der Künstler ein vielschichtiges und umfangreiches Werk. Während einer Schaffenszeit von nur zehn Jahren gelang ihm ein einzigartiges Statement zur Malerei, das auch heute nichts an Aktualität verloren hat. Majerus arbeitete mit unterschiedlichen Techniken, variierte Themen und Motive aus der Computerwelt, aus Comics oder Werbung. Zugleich bediente er sich in der Kunstgeschichte bei Künstlern wie Frank Stella, Andy Warhol, Willem de Kooning und anderen Vertretern der Pop Art und Minimal Art. Mit dieser Samplingmethode, die verschiedene Elemente frei und unhierarchisch kombiniert, schuf er seine eigene Bilderwelt und gab dadurch der Malerei neue wichtige Impulse. Aufgrund der großen Formate seiner Arbeiten und ihres installativen Charakters konnten bislang nur wenige Museen sein Werk in allen Facetten zeigen. Diese Lücke schließt das Kunstmuseum Stuttgart von 26. November 2011 bis 9. April 2012 mit einer über hundert Gemälde und Installationen umfassenden Werkschau, darunter Leihgaben aus Los Angeles, New York, London, Paris, Berlin und Stuttgart.

Das Werk des Michel Majerus kehrt mit der Stuttgarter Ausstellung an seinen Anfangspunkt zurück: Der Künstler studierte von 1986 bis 1992 an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart u. a. bei K. R. H. Sonderborg und Joseph Kosuth. Anschließend ging er nach Berlin und lebte ein Jahr in Los Angeles. Bis zu seinem Tod im Jahr 2002 nahm er an zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland teil und ist heute weltweit in Museen und Privatsammlungen vertreten. Da die groß2 zügig geschnittenen Räume im Erd- und Untergeschoss des Kunstmuseum Stuttgart mit ihren hohen und langen Wänden den raumgreifenden Arbeiten von Michel Majerus in besonderer Weise entgegenkommen, wird die Sonderausstellung erstmals nicht im Kubus präsentiert. Die dadurch gewonnenen räumlichen Möglichkeiten erlauben es, das Gesamtwerk in all seinen Facetten vom Frühwerk der Stuttgarter Jahre bis zu den späten Arbeiten aus seiner Zeit in Los Angeles zu präsentieren. Auf über 2.500 Quadratmetern lässt der Wechsel von verdichteten und sich öffnenden Bereichen zudem überraschende Aus- und Durchblicke zu, sodass Majerus’ Umgang mit Raum – ein zentrales Thema seines künstlerischen Schaffens – eindrucksvoll zur Geltung kommt.

Typisch für den 1967 geborenen Künstler sind Arbeiten, die wie die aus Holzboxen bestehende Installation »A 1-7, T 1-7, H 1-7, M 1-7« (1996) oder die »sinnmaschine« (1997) den Raum auf ungewohnte Weise besetzen oder gar einen eigenen Raum schaffen. Die über hundert Meter lange Wandarbeit mit dem ohne Leerzeichen gesetzten Schriftzug »one by which you go in, one by which you go out« lässt sich erst entziffern und tatsächlich erfahren, wenn man das gesamte Untergeschoss des Museums abschreitet. Besonders komplex ist die Raumgestaltung bei der letzten Installation, die der Künstler 2002 vollendete, bevor er bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam. Durch einen kleinen Eingang betritt der Besucher das Werk »controlling the moonlight maze« und befindet sich sofort inmitten eines Werkes aus vier großformatigen Bildern. Anstatt also – wie in der klassischen Malerei – vor einer Bildfläche zu stehen, die einen imaginären Raum entwirft, definiert der aus Stahlträgern gebaute quadratische Kubus hier einen konkreten Raum.

Um seine Ideen umzusetzen, nutzte Majerus ein breites Repertoire an Verfahren und Techniken: Neben Acrylmalerei auf Leinwand kommen Siebdruck, Collage, Neon- und Videoarbeiten oder Computerprint zum Einsatz, entwarf er Arbeiten auf Aluminium, PVC, Holz sowie großformatige Wandgemälde. Der Mix vollkommen unterschiedlicher Maltechniken und die freie Kombination kunsthistorischer Verweise mit ver3 schiedensten Bildmotiven aus der Konsumwelt mit Logos, Slogans, Icons und Comiczitaten bringen das unhierarchische Bildverständnis von Michel Majerus zum Ausdruck. Dabei nutzte er die technische und kulturelle Entwicklung zu Beginn des 21. Jahrhunderts sehr bewusst: »Ich genieße es, in den 90ern Kunst zu machen, weil es jetzt erst möglich ist, zum ersten Mal eine Arbeit zu verfolgen, die sich nicht zwanghaft zu lange auf einer Stelle aufhalten muss.« Den Einsatz neuester technischer Mittel und Möglichkeiten wie Computer, Photoshop und Beamer begründete er unter anderem damit, »möglichst ökonomisch effektiv« und zeitsparend produzieren zu können. Die Verfahrensweisen spiegeln aber auch Majerus’ Interesse an heutiger Ikonografie, an Populärkunst und Jugendkultur wider. Mit seinem vielschichtigen »Neben- und Übereinander« von Stilen und Motiven reagierte er auf die Bilderflut der massenmedialen Gesellschaft und im Netz. Raimar Stange bezeichnete Majerus einmal treffend als »Bilderaufbereitungsmaschine«; nach Nicolas Bourriaud bestehen die Werke von Majerus aus den »mnemonischen Spuren visueller Eindrücke«. In der Videoarbeit »michel majerus« aus dem Jahr 2000 flimmert der Namenszug des Künstlers in immer neuen Konstellationen über die Bildschirme. Majerus griff einzelne Standbilder aus dem Film heraus und verarbeitete sie im Medium Malerei. Das, was sich zuvor nacheinander entwickelt hat, ist nun auf nebeneinander platzierten Leinwänden festgehalten. Der Namenszug des Künstlers zersplittert nach und nach, und es entsteht ein zunehmend abstraktes Bild. Die kurz vor seinem Tod entstandene Werkserie ist ein Beispiel für seine Arbeitsweise, Motive in immer neuen Variationen zu präsentieren. Majerus selbst verglich diese Methode mit der Samplingtechnik der Techno-Musik: »Am Techno interessieren mich die erweiterten Produktionsmöglichkeiten im dem Sinne, dass alle möglichen Einflüsse dafür verwendbar sind und darin verschmolzen werden können.«

Entsprechend vielfältig sind auch die Quellen, aus denen der Künstler schöpft. So integriert Michel Majerus zahlreiche kunsthistorische Zitate in sein OEuvre. Neben Verweisen auf die Pop Art, Minimal Art und Farbfeldmalerei macht die Stuttgarter 4 Ausstellung dies exemplarisch an der Rezeption von Frank Stellas Bildern deutlich. Die Werkauswahl belegt, wie vielfältig Majerus die Arbeiten des älteren Künstlers verarbeitete. Bei einigen Werken wird aus einem Fragment einer Stella-Arbeit das alleinige Bildthema, bei anderen Arbeiten finden sich Comic-Charaktere gleichberechtigt neben Motiven von Frank Stella und Figuren aus Jean-Michel Basquiats Bildsprache.

Neben diesem Themenraum, der kunsthistorischen Bezügen gewidmet ist, legt die Ausstellung weitere Schwerpunkte auf das Früh- und Spätwerk des Künstlers. In den beiden »Stuttgarter Räumen« werden erstmals die während und kurz nach seiner Studienzeit an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste entstandenen Arbeiten gezeigt. Hier sind hauptsächlich kleinformatige Gemälde und Drucke zu sehen. Ganz anders präsentiert sich sein während eines Los Angeles-Aufenthaltes 2000/2001 entstandenes Spätwerk mit riesigen Bildformaten. Im »Los Angeles«- Themenraum erinnert das Abbild einer großformatigen Videokassette in »xxx« (2001) an die Pop Art mit ihrem Interesse an Oberflächen und aus der Alltagswelt entnommenen Motiven. In der Zusammenschau zeigt die Stuttgarter Ausstellung einen Künstler, der in seinem Werk ebenso präzise und schnörkellos wie poetisch und ironisch verspielt auf die Kunstgeschichte und digitale Zeitalter reagiert und damit den Spielraum und die Möglichkeiten der Malerei erweitert hat.

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Michel Majerus
Kuratorin: Ulrike Groos

siehe auch
Michel Majerus. If we are dead, so it is
16.03.2012 - 20.05.2012 Temporäre Großskulptur auf dem Schlossplatz Stuttgart