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MINIMAL ART
12. FEBRUAR BIS 24. APRIL 2022

Mit der Ausstellung Minimal Art präsentiert das Bucerius Kunst Forum herausragende Werke der US-amerikanischen Gründungsväter der Minimal Art der 1960er Jahre und stellt diese deutschen und zeitgenössischen Positionen gegenüber. Im Fokus stehen dabei die Betrachtenden und ihre individuelle Wahrnehmung der objekthaften Werke im Raum. Dadurch wird die Idee einer Demokratisierung der Kunst wieder lebendig, nach der die Minimal Art von jedem gleich und ohne Vorwissen erfahren und verstanden werden kann. Die Schau konzentriert sich dafür auf siebzehn ikonische Werke von Carl Andre, Dan Flavin, Donald Judd, Sol LeWitt, Robert Morris, Imi Knoebel, Charlotte Posenenske, Gerold Miller, Frank Gerritz und Jeppe Hein, um jedem der raumgreifenden Objekte den angemessenen Platz zu geben. Die Auswahl der paradigmatischen Werke macht sowohl die wesentlichen Merkmale der Minimal Art als auch die charakteristischen Besonderheiten im Oeuvre der jeweiligen Künstler:innen nachvollziehbar. Dabei handelt es sich um Leihgaben aus deutschen Museen und Privatsammlungen wie der Christoph Seibt Collection Contemporary Art, Hamburg.

Entstanden in den USA der 1960er Jahren als Gegenbewegung zum Abstrakten Expressionismus, rebellierten die Künstler der Minimal Art gegen jegliches Subjektive, Symbolische und Illusionistische in der Kunst. Durch die reduzierte Formensprache, die Verwendung neuartiger, industriell gefertigter Materialien und ein hohes Maß an Oberflächenästhetik revolutionierten Carl Andre, Dan Flavin, Donald Judd, Sol LeWitt und Robert Morris die Kunst. Mit ihren Werken sind sie, größtenteils aus der Malerei kommend, in den dreidimensionalen Raum gegangen. Zentrale Elemente ihrer Kunst waren Form, Material, Volumen, Oberfläche, Farbe und das Verhältnis zum Raum und den Betrachtenden. Durch den konsequenten Verzicht auf Referenzen, Anspielungen und Bezüge sind die Werke ohne Vorkenntnisse für alle gleich erfahrbar und verständlich. Auch in Deutschland entstand eine neue Art des Minimalismus, vertreten durch Imi Knoebel oder Charlotte Posenenske.

Das Wechselspiel zwischen Objekt, Raum und Betrachtenden sowie der Gedanke der Demokratisierung von Kunst sind die kuratorischen Leitlinien der Ausstellung. Die Schau beginnt mit dem Werk 45 Degree Swipe von Carl Andre von 1969, das aus 7 Stahlplatten besteht, die nebeneinander auf dem Boden gelegt ein langgezogenes Rechteck ergeben. Die Besucher:innen werden so mit dem Kunstwerk auf dem Boden konfrontiert und es entsteht ein erstes irritierendes Moment, ob dieses zu betreten ist. Die Beziehung zu den Betrachtenden entsteht dadurch, dass sie sich zum Werk verhalten müssen, sich entweder entlang, darum herum oder darüber bewegen. Die Beziehung des Werkes zum Ausstellungsraum ergibt sich bereits aus dem Titel der Arbeit, nachdem sie in einer Raumecke so zu installieren ist, dass zwischen Werk und Wänden 45° Segmente entstehen.

Die individuelle, körperliche Erfahrung setzt sich im weiteren Verlauf der Ausstellung fort. So zum Beispiel bei Dan Flavins Werk Untitled (to Barnett Newman) four von 1971, bei dem das farbige Licht der vier Leuchtstoffröhren die Erscheinung des Saals und des eigenen Körpers verändert. Der Raum dient der Arbeit, bei der die roten und blauen Leuchtstoffröhren zur Wand gedreht sind, als Projektionsfläche. Diese kann sich sogar auf das Publikum ausdehnen, wenn es sich dem Leuchtstoffobjekt nähert.

Auch das berühmte Werk Untitled (Stacks) von Donald Judd von 1991 spielt mit den Lichtwirkungen und Spiegelungen von Plexiglas. Es besteht aus zehn übereinander angeordneten identischen Kästen, deren Umrandung aus Edelstahlblech und die Ober- und Unterseiten aus bernsteinfarbenem Plexiglas sind. Die übereinander positionierten Scheiben spiegeln sich gegenseitig und erfüllen die Zwischenräume mit einem orangefarbenen Licht. Der Freiraum wird zusammen mit den einzelnen Elementen zu einer Einheit. Donald Judd brach mit den Konventionen der europäischen Kunstgeschichte, indem er sich gegen den Illusionismus stellte: Der Raum wurde vom Kunstwerk nicht mehr vorgetäuscht, sondern neu definiert.

Die Ausstellung schließt mit dem zeitgenössischen Werk Changing Neon Sculpture des dänischen Künstlers Jeppe Hein aus dem Jahr 2006. Es referiert in der Form auf Sol LeWitts ebenso in der Ausstellung vertretenen Werk Cube-Cube und in der Verwendung von Leuchtstoffröhren auf Dan Flavin. Im Unterschied zu ihren Werken ändert Changing Neon Sculpture jedoch sein Erscheinungsbild im Sekundentakt, indem die Neonröhren in wechselnder Konstellation aufleuchten. Sobald sich die Betrachtenden dem Werk nähern, friert das Wechselspiel für die Dauer ihrer Anwesenheit ein. Der oder die Besucher:in wird so zum agierenden Subjekt. So endet die Ausstellung erneut mit einem irritierenden Moment, in dem das Kunstwerk Zentrum des subjektiven Erlebens ist.

Zur Ausstellung erscheint im Hirmer Verlag ein Katalog mit Aufsätzen ausgewählter Expert:innen und Werkbeschreibungen aller ausgestellten Kunstwerke. Prof. Dr. Tobias Vogt, Direktor des Instituts für Kunst und Visuelle Kultur der Universität Oldenburg, thematisiert die Demokratisierung allein im Titel der Werke und Tatjana Schäfer, Kuratorin an der Pinakothek der Moderne, stellt die Minimal Art dem Lifestyle des Minimalismus gegenüber (ca. 130 Seiten mit farbigen Abbildungen der ausgestellten Werke, 29,90 Euro in der Ausstellung).