press release only in german

20. Mai – 16. Juli 2022

Miroslav Tichy. 69 works

Es muss im Jahr 2003/2004 gewesen sein, als ich zum ersten Mal vor einem Werk von Miroslav Tichy stand und was ich sah beeindruckte mich sehr. In perfekten feinen Holzrahmen waren schwebend, mit viel weißem Abstand zum Rahmen seltsam entrücke, unscharfe Fotos von Frauen zu sehen, die aus einer anderen Zeit und Welt zu sein schienen.

Der Künstler Miroslav Tichy war mir gänzlich unbekannt und was ich zu hören bekam war umso erstaunlicher:
Sein ehemaliger Nachbar und Jugendfreund, der Psychiater, Künstler und Kunstexperte Roman Buxbaum erkannte den Schatz Tichys und konnte ein Stapel Fotos nach langen Überredungskünsten sichern. Buxbaum hat die Bilder Harald Szeemann gezeigt, der begeistert das Werk Tichys 2004 auf der Biennale in Sevilla der breiten Öffentlichkeit vorgestellt hat.

Miroslav Tichy war ein Outsider Künstler, ein Sonderling, der ein unwahrscheinliches, bis dahin fast gänzlich unbekannten Werk hinterlassen hat.

Tichy der 1926 in einem kleinen Dorf in Mähren, Tschechien geboren wurde besuchte die Kunstakademie in Prag. Sein Stil war dem Kubismus und Expressionismus zugeordnet, sein Hauptmotiv schon damals war die Frau. Wegen der damaligen politischen Situation gerät Tichy immer wieder in Schwierigkeiten und war mehrmals im Gefängnis und in der Psychiatrie. Mehr und mehr kapselte sich Tichy von der Gesellschaft ab und lebte völlig zurückgezogen in seiner eigenen Welt.

Das Objekt seiner Begierde waren die Frauen. Aus alten Holzkästen, Konservendosen, Brillengläser, Bierdeckel und Teer bastelte er funktionierende Fotokameras, um dann täglich durch die Straßen zu flanieren, auf der Suche nach Frauen, von welchem er heimlich ein Foto schiessen konnte. Oft stand er auch am Zaun des Schwimmbades und schoss aus der Hüfte heraus, ohne durch den Sucher zu blicken. In einer voyeuristischen Obsession entstanden hunderte, ja tausende Fotos von Frauenkörpern, häufig in sexualisierten oder erotischen Posen. In seiner verwahrlosten Kammer ohne Heizung entwickelte er dann die Fotos mit einem selbst gebauten Vergrößerungsapparat und überarbeitete mache Abzüge zeichnerisch. Manchmal auch umrandete er die Fotos mit einem gezeichneten Rahmen, manchmal verzierte diese handgefertigten Passe-Partouts auch mit Blumen oder Ornamenten. Diese Fotos stapelte er ohne Schutz vor Wind und Wetter in seiner Bude. Die Fotos verschmutzten und vergammelten. Manche haben Kratzspuren und sind fleckig, weil sie unter dem Teppich oder Mäusedreck lagen. Diese Unscharfen und verwackelten, manchmal über- manchmal unterbelichteten und mit Schlieren oder Fingerabdrücken übersäten Fotos haben alle eine etwas der Zeit entrückten, romantische und traumhafte Stimmung. Bilder, denen etwas poetisch Naives und zugleich ungeschminkt Voyeuristisches anhaftet und sich in ihrem eigenen Kosmos bewegend etwas Manisches und Obsessives in sich tragen.